Titel 5/2006

Beispiel Rhein-Sieg-Eisenbahn

Bahn für die letzte Meile

Viele lokale Gleisanschlüsse von Firmen kappte das DB-Unternehmen Railion in den letzten Jahren. „Unwirtschaftlich“ lautete die Begründung. Hier liegt eine Chance für kleine Privatbahnen, die den Transport von der Fabrikhalle bis zum nächsten Güterverkehrs-Knoten übernehmen.

 
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  In auffallendem Magenta platziert die Rhein-Sieg-Eisenbahn ihre Marke auf der Schiene.

Gerhard Mansel kriegt „zwei Helle“. „So heißt das Signal neben dem Gleis, mit dem uns der Fahrdienstleiter freie Fahrt gibt“, erklärt der freiberufliche Lokomotivführer. Die V60 der Rhein-Sieg-Eisenbahn (RSE) setzt sich hoppelnd in Bewegung. Die Ladung: Vier Stahlcoils à 16 Tonnen Gewicht. Um diese schwergewichtigen Teile auf der Straße zu transportieren, hätten sich alternativ vier Lkw in Bewegung setzen müssen. Die Fahrt geht von Troisdorf bei Bonn um Köln herum nach Kerpen-Sindorf. Bei 60 km/h Höchstgeschwindigkeit dauert der Transport rund eine Stunde.

Mansel ist 54 Jahre alt und gelernter Schiffsbauingenieur. Nachdem vor drei Jahren der Betrieb, bei dem er lange Jahre beschäftigt war, pleiteging, verwirklichte er seinen Jugendtraum. Er wurde Lokomotivführer. „Jetzt fahre ich für verschiedene Privatbahnen“, erklärt er zufrieden, „für die bin ich flexibel einsetzbar und sie müssen mich nicht voll beschäftigen.“ Im weiteren Nebenberuf ist er Vorsitzender des VCD-Kreisverbandes Oberberg. Mansel erklärt während der Fahrt die vielen Schalter und Hebel, die in so einer Lok bedient werden müssen. Als wir auf die Stahlkonstruktion der Kölner Südbrücke einbiegen, bietet sich uns ein Dom-Panorama der besonderen Art. „Das sind die Momente“, seufzt Mansel, „in denen mir der neue Job so richtig Spaß macht.“

 
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  Tonnenschwere Stahlcoils transportiert die RSE mitten in die Produktionshalle.

In Kerpen-Sindorf angekommen, wartet allerdings harte Rangierarbeit auf den Lokomotivführer. Mit einer Funksteuerung kann Mansel das tonnenschwere Gerät bewegen wie eine Modelleisenbahn. Die V60 zieht die fünf leeren Waggons aus der Produktionshalle der Firma Siepe heraus und parkt sie auf einem Seitengleis. Dann manövriert Mansel den vollen Zug zentimetergenau in die Fabrikhalle. Mit einem Deckenkran hievt ein Siepe-Mitarbeiter die Stahlcoils auf die vorgesehenen Positionen. In einer halben Stunde ist der Umschlag erledigt. Faszinierend ist, wie viele Tonnen Stahl reibungslos direkt ans Produktionsband geliefert werden können.

Wäre es nach Railion, dem Güterverkehrsunternehmen der Deutschen Bahn AG, gegangen, gäbe es diese Form der Anlieferung nicht mehr. „Am Abend vorher hatten der Bundesverkehrsminister und Bahnchef Mehdorn noch im Fernsehen angekündigt, dass sie mehr Güter auf die Schiene verlagern wollen“, erinnert sich Heinz Müller, der Einkaufsleiter der Firma Siepe. Am nächsten Morgen hatte er die Kündigung seines Gleisanschlusses von Railion auf dem Tisch. Das war im Dezember 2004. Müller hielt das für einen schlechten Scherz. Rund 8000 Tonnen Stahl-Coils hatte seine Firma bis dahin übers Jahr von Railion anliefern lassen. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Bahn diese Menge für unwirtschaftlich hält“, sagt Müller. Außerdem hatte die lapidare Bahnabsage handfeste Konsequenzen für den Mittelständler. Die gesamte Produktion war auf die Bahnanlieferung des Rohmaterials auf der einen Seite der Halle ausgerichtet. Hätte die Anlieferung auf der anderen Seite per Lkw erfolgen müssen, hätte Siepe die gesamte Produktionskette umbauen müssen. Ein enormer Aufwand. Aber Müller denkt nicht nur betriebswirtschaftlich. Die 8000 Tonnen hätten rund 500 Lkw-Fuhren bedeutet. „Wir wollten die Straßen nicht noch mehr mit dicken Brummern verstopfen“, erklärt Müller. Seit gut einem Jahr beliefert nun die RSE Siepe, und Müller ist sehr zufrieden.

Für Rainer Bohnet, den Geschäftsführer der Rhein-Sieg-Eisenbahn, ist der Gütertransport auf der letzten Meile ein gewichtiges Standbein seiner kleinen Privatbahn. „Mit MORA C hat Railion einen Kahlschlag bei den Kleintransporten in der Fläche betrieben“, holt er aus. MORA C stehe beschönigend für „Marktorientiertes Angebot Cargo“, meine aber de facto die Konzentration auf die Fernverbindungen. Die abgekoppelten Kunden hat Bohnet für seine Bahn eingesammelt. Er kooperiert dabei mit Railion und mit anderen Privatbahnen.

„Oft war Railion auch nicht flexibel genug“, hat er erfahren. Die DB-Tochter habe den Firmen die Pistole auf die Brust gesetzt. Entweder es reiche für eine tägliche Bedienung der Strecke oder es sei eben nicht rentabel. Die RSE geht auf die Wünsche der Kunden ein und liefert auch nur an zwei Tagen in der Woche. Eigentlich ist das auch gut für die „große Bahn“. Um beim Beispiel von Siepe zu bleiben: Die Stahlcoils kommen teilweise aus Eisenhüttenstadt und aus Österreich im Langlauf bis Troisdorf. „Wenn wir nicht die Feinverteilung übernehmen würden, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Lieferung gleich komplett auf den Lkw verlagert würde“, sagt Bohnet. Was dem VCD-Kreisvorsitzenden von Bonn/Rhein-Sieg/Ahr auch politisch missfallen würde. Die Transportkosten spielten dabei eine untergeordnete Rolle und der Lkw sei keineswegs teurer als die Bahnbelieferung.

So bedient die RSE eine weitere Firma in St. Augustin bei Bonn mit feuerfesten Steinen und Granulaten und fährt Stahlschrott von Weißenthurm nach Andernach. An einem Autohändler in Zülpich ist Bohnet gerade dran. Die Lieferung der Autos von Antwerpen und Rotterdam würde Railion nur bis Troisdorf anbieten. Kein gutes Angebot für den Autohändler. Hier setzt Bohnets Konzept wieder an. Mit der Sicherung der letzten Strecke könnte die ganze Lieferung auf der Schiene bleiben. Insgesamt beobachtet Bohnet aber auch ein Umdenken bei Railion. „Die Bereitschaft zu Kooperationen mit kleinen Bahnen wächst“, stellt er fest. Insbesondere der Kölner Railion-Vertreter sei außerordentlich kooperativ. Die RSE schleppt jedoch nicht nur schwere Lasten von A nach B. Morgens früh und abends spät beladen deren Mitarbeiter am Bahnhof Troisdorf die Waggons von DB AutoZug mit Autos und Motorrädern. Außerdem betreuen die RSE-Angestellten die AutoZug-Reisenden. „Ein schönes Basisgeschäft über die ganze Woche“, freut sich der Unternehmer Bohnet.

Sechs Mitarbeiter sind inzwischen fest angestellt bei der RSE, und Minijobber und Ladehelfer kommen beim AutoZug-Geschäft nach Bedarf dazu. Rund zwei Millionen Euro Umsatz macht die RSE im Jahr. Eine kleine Erfolgsgeschichte.

Manchmal erlebe man allerdings skurrile Geschichten im Bahngewerbe. „Als wir vor einem Jahr eine neue Lok für rund 600000 Euro kaufen wollten“, erzählt Bohnet, „hat das Firmenkundencenter der Sparkasse abgelehnt. Begründung: Sie sähen keine Möglichkeit, das Risiko abzuschätzen.“ Eigentlich hätten die Bänker von Anfang an nicht verstanden, dass es neben der DB auch andere Bahnen geben könne. Die Lok fährt inzwischen längst für die RSE, es gibt eben auch informierte Bänker.

Neben dem Bahnverkehr ist die RSE auch Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen. Das Wortungetüm besagt, dass die RSE Eisenbahnstrecken managen kann. „Wir pachten Strecken und stellen sicher, dass sie weiter sicher befahrbar sind“, sagt Bohnet. 100 Kilometer werden so schon von der RSE betreut, wie zum Beispiel die Oleftalbahn im Nationalpark Eifel. „Ein wichtiges Standbein“, sagt Bohnet, „weil hier hohe Qualifikation notwendig ist und wir somit nicht austauschbar sind.“

 
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  Gerhard Mansel beherrscht die vielen Uhren, Hebel und Schalter seiner Lokomotive.

Ebenfalls nicht austauschbar ist die RSE bei der lokalen Großkirmes in Bonn – dem Pützchens Markt. Hier brachte die RSE Anfang September in fünf Tagen fast 11000 Fahrgäste zu Riesenrad und Geisterbahn – für den Kleinbetrieb eine Herkulesleistung. Gerhard Mansel war auch wieder mit von der Partie.

Michael Adler

 

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