Titel 4/2006

Klimawandel

Holland in Not

Die Zeit wird knapp. Zwar glauben 69 Prozent der Deutschen laut einer Umfrage des Magazins „Zeit Wissen“, dass der Klimawandel kommt. Die Gefahren, die von einem Temperaturanstieg um zwei bis fünf Grad ausgehen, werden aber verharmlost. Palmen an der Nordsee? Warum nicht! Die Malediven überschwemmt? Fliegen wir halt in die Karibik. Opfer bringen für den Klimaschutz will kaum einer. Nur 15 Prozent würden zur Abwendung der Klimaerwärmung höhere Spritpreise akzeptieren. Wissenschaftler warnen vor Veränderungen, wie sie die Menschheit noch nicht erlebt hat.

Foto: www.marcusgloger.de

Drei deutsche Kernkraftwerke wurden im Juli auf Sparflamme gefahren, weil die Elbe, die das Kühlwasser liefern sollte, mit knapp 30 Grad Wassertemperatur zu warm war. Ein Sprecher von Vattenfall, dem verantwortlichen Energieversorger, beruhigte die Bevölkerung in den Tagesthemen mit dem Verweis auf die Braunkohlekraftwerke in Ostdeutschland: Die könne man Gott sei Dank weiter auf Volllast fahren. In New York stöhnte die Bevölkerung unter einer Hitzewelle mit Temperaturen von über 40 Grad. Die Stromversorgung in den USA drohte unter der Last der auf Hochtouren laufenden Klimaanlagen zusammenzubrechen. Was momentan Linderung verschafft, ist gleichzeitig Ursache für die nächste Hitzewelle. Gänzlich offenbar wird die selbstzerstörerische Logik unseres fossilen Zeitalters in Grönland. Dort begrüßt man derzeit euphorisch das Abschmelzen der Gletschermassen. Unter dem Eispanzer werden nämlich große Mengen Erdöl vermutet, die man dann endlich rentabel erschließen könnte – Momentaufnahmen eines heißen Sommers.

Doch das Klima ist kein Faktor, der sich an Einzelereignissen messen lässt. Die Hülle aus Gasen, Staub und Wasserdampf, die die Erde umgibt, reagiert langsam und für die menschliche Wahrnehmung kaum nachvollziehbar.

War der Juli 2006 also ein weiterer Vorbote des Klimawandels oder nur ein warmer Sommermonat, wie es sie immer gegeben hat?

Nachdem der August in Deutschland wieder merklich kühler begann, ließen auch die Katastrophenwarnungen in den Zeitschriften wieder nach. Schnell war das Thema wieder verdrängt und aus den Schlagzeilen verschwunden. Aber Wetter ist nicht gleich Klima. Wenn es im Schwarzwald Anfang Juni schneit, hat das kaum eine Bedeutung für die Welttemperatur.

Der Klimawandel ist keine fixe Idee, er ist messbar. Das heißeste Jahr seit Beginn der Klimaaufzeichnungen im Jahre 1880 war das Jahr 2005, gefolgt von 1998, 2002, 2003 und 2004. Ein Rekordjahr jagt das andere. Das ist kein statistischer Zufall. Auch dass die Erhöhung der Weltdurchschnittstemperatur um 0,7 Grad Celsius im 20. Jahrhundert vom Menschen gemacht ist, bestreitet heute kein ernstzunehmender Wissenschaftler mehr.

„Der Klimawandel ist schon da“, mahnt Axel Friedrich, Leiter Umwelt und Verkehr, Lärm im Umweltbundesamt. Auch der Temperaturunterschied zwischen Norditalien und Süddeutschland betrage ungefähr 0,7 Grad. Jeder werde zugeben, dass es in Mailand anders aussehe als in München. Daraus resultiert Anpassungsdruck. Alte Apfelsorten würden am Bodensee nicht mehr gedeihen, Zugvögel einfach dableiben. Jahrhundertfluten mischten sich mit extremen Trockenheiten im Sommer. „Frühjahr und Herbst werden kürzer“, sagt Friedrich, „die Extreme nehmen zu.“

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor ernsten Folgen der Erderwärmung, die bereits eingetreten seien. Mit 20000 veranschlagt die WHO die zusätzlichen Toten des Hitzesommers 2003 in Europa. Extreme Wettersituationen bedrohten das Leben von Millionen Menschen. Die Ausdehnung von Wüsten verknappen das Trinkwasser. In anderen Gebieten nehmen die Niederschläge zu. Feuchtigkeit und Überschwemmungen begünstigen Durchfallerkrankungen und Malaria.

Messbar und berechenbar

Die Ursache für den menschengemachten Klimawandel ist bekannt. Die Menschen verbrennen derzeit pro Jahr eine Menge an Kohle und Öl, die erdgeschichtlich in einer Million Jahren entstanden ist. Die Folge ist messbar. Mit 380 Teilen Kohlendioxid pro Million Teilen (ppm) Luft haben wir den Wert seit Beginn der Industrialisierung um 100 Teile gesteigert. Daten aus Eisbohrungen reichen 700000 Jahre zurück. In dieser Zeit gab es nie einen höheren CO2-Wert in der Atmosphäre. Falls Gegenmaßnahmen ausbleiben, gehen alle Forscher im laufenden Jahrhundert mindestens von einer Verdoppelung der CO2-Konzentration im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten aus, also auf 560 ppm.

 

Die globale Erwärmung wird gegen Ende des Jahrhunderts zwischen 1,4 und 5,8°C liegen, je nachdem, wie viele Treibhausgase bis dahin abgegeben werden.

Berechnungen des Intergovermental Panel on Climate Change (IPCC)

 

Der Temperaturanstieg ist berechenbar. Die Wirkung des Treibhausgases CO2 ist kein Geheimnis, sondern Physik. Die Luft, die wir atmen, besteht zu 78 Prozent aus Stickstoff, zu 20,9 Prozent aus Sauerstoff und zu 0,9 Prozent aus Argon, Kohlendioxid macht zurzeit nur 0,038 Prozent unseres Luftozeans aus. Aber diese kleine Menge schafft den so lebenswichtigen Treibhauseffekt. Ohne CO2 läge die Durchschnittstemperatur auf der Erde bei -18 Grad Celsius, mit der Jahrtausende stabilen Menge von 0,028 Prozent wurde ein Schnitt von +14 Grad erreicht – ideal für Leben, wie wir es kennen.

Die Prognosen der Klimaforscher für die nächsten 100 Jahre sind in ihrer Richtung eindeutig, nur über das Ausmaß der Erwärmung wird noch diskutiert. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) bündelt seit 1990 alle fünf bis sechs Jahre die gesamte Forschung zum Klimawandel. Alle Rechenmodelle kommen zu dem Ergebnis, dass sich die Temperatur weltweit im 21. Jahrhundert um 1,4 bis 5,8 Grad erhöhen wird.

„Den letzten vergleichbaren Wandel gab es vor 15000 Jahren, als die letzte Eiszeit zu Ende ging“, macht Stefan Rahmstorf, Wissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimaforschung, die gravierenden Folgen der scheinbar kleinen Erwärmung deutlich. Mit einem Unterschied: Damals dauerte die Erwärmung 5000 Jahre, der Mensch schafft das in 100 Jahren.

Die Folgen der Erwärmung sind zum großen Teil unkalkulierbar. Die über Jahrtausende gewachsenen ökologischen Systeme der Erde sind komplex. Vergleichsweise leicht ist noch zu verstehen, dass die Gletscher in den Alpen schmelzen, wenn es wärmer wird. „Nur über 4000 Meter und am Großen Aletsch werden ein paar Eisreste übrig bleiben“, sagt der Schweizer Glaziologe Wilfried Haeberli.

Ein mögliches Szenario: Fehlender Wassernachschub aus den Alpen führt wahrscheinlich dazu, dass im Sommer die großen europäischen Flüsse austrocknen. Der Grundwasserspiegel sinkt, die sowieso hitze- und insektengeschädigten Wälder gehen zugrunde, was ein weiteres Absinken des Grundwassers zur Folge hat. Diese Entwicklung allein wirft schon sehr existenzielle Fragen auf: Ist das Trinkwasser noch gesichert? Was kann die Landwirtschaft noch in Deutschland produzieren? Welche Pflanzen und Tiere sind dann überhaupt noch in unseren Breiten lebensfähig? „Im Mittelmeerraum wird sich die Dürre weiter verschärfen“, prognostiziert Rahmstorf. Manche Forscher prophezeien Süditalien, Spanien, Portugal und Teilen Griechenlands ein Klima wie in der Sahelzone.

Der Meeresspiegel wird ansteigen. „Ozeane reagieren träge“, sagt Rahmstorf. „Nach allem, was wir bisher wissen, wird der Meeresspiegel im Jahre 2100 im Mittel einen halben Meter höher liegen als heute.“ Auch zu diesem Thema gibt es Szenarien, die eine andere Dynamik möglich machen. Dass der Nordpol ab 2050 zum Teil ohne Eis sein wird, ist Konsens in allen Modellen. Wenn aber die weiße reflektierende Eisfläche zu dunklem Meerwasser schmilzt, absorbiert die Erde am Nordpol deutlich mehr Wärme als heute – mit ungeklärten Folgen.

Foto:www.marcusgloger.de

Das Schmelzen von im Meer schwimmendem Eis erhöht jedoch nicht den Meeresspiegel. Der Anstieg wird vor allem durch das Schmelzen der Festlandgletscher im Hochgebirge, auf Grönland oder in der Antarktis befördert. Wenn größere Stücke des Antarktischen Eisschilds ins Meer stürzen würden, könnte dies zu einem schnellen Anstieg des Meeresspiegels führen.

Schon ein geringfügig höherer Meeresspiegel kann im Falle von Sturmfluten tiefliegende Landflächen bedrohen. Bangladesh, die Niederlande, aber auch Florida, Louisiana, Manhattan und Norddeutschland sind gefährdet. Milliarden Euro müssen schon jetzt für den Küstenschutz eingeplant werden.

Der Klimawandel ist zu stoppen, und die bereits unvermeidlichen Folgen sind beherrschbar, wenn schnell das Richtige getan wird. Generell gilt, es hilft nur eine konsequente Doppelstrategie: Es muss alles getan werden, um die CO2-Emissionen zu senken, und gleichzeitig muss alles getan werden, um die Anpassung zu schaffen an den schon irreversiblen Klimawandel. „Beides wäre mit einem Mitteleinsatz von einem Prozent des Bruttosozialproduktes möglich“, erklärt Claudia Kempfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Wenn dieser Wandel der Klimapolitik nicht gelingt, wird kommenden Generationen die Rechnung präsentiert. Das DIW hat sie schon mal für das Jahr 2100 ausgerechnet: 20000 Milliarden US-Dollar.

Politik mit Weitblick

„Wir müssen unsere CO2-Emissionen bis 2050 um 60 Prozent weltweit senken“, nennt Rahmstorf das Ziel. „Dann können wir den Temperaturanstieg wahrscheinlich auf zwei Grad begrenzen.“ Axel Friedrich fordert 80 Prozent Reduktion für Deutschland. Als Industrieland müsse der Beitrag höher ausfallen. Rahmstorf und Friedrich sind sich einig darin, dass das technisch schon heute möglich wäre. „Wir haben gerade ein 2-Liter Auto bauen lassen“, berichtet Friedrich, „mit vier Sitzen, nur noch 550 Kilogramm Gewicht und dem gewohnten Sicherheitsstandard.“ Da liege die Zukunft, auch ökonomisch. Wer große Spritschleudern baue, wie General Motors oder Ford, der komme schon heute in arge Absatzschwierigkeiten. Außerdem fordert Friedrich ein Klimaanpassungsforschungszentrum.

„Wir brauchen in den nächsten zehn Jahren Beschlüsse, die weit über Kyoto hinaus gehen“, sagt Rahmstorf. Entscheidend sei dabei, konsequent auf regenerative Energieerzeugung umzustellen. „Parallel müssen wir Energie sparen, wo immer es geht. Autos wären doch auch mit der Hälfte des derzeitigen Energieeinsatzes zu betreiben.“ Auf eine Weltregierung könne man da nicht warten. Das würde definitiv zu lange dauern. Rahmstorf lobt das Instrumentarium, das das Kyoto-Protokoll mit dem Emissionshandel zur Verfügung gestellt hat. Man müsse jetzt nur noch die richtigen Ziele damit verknüpfen. „Dazu bräuchten wir wissenschaftlich besser gebildete Politiker, die auch längere Zeiträume als vier Jahre überblicken können“, sagt Stefan Rahmstorf.

Michael Adler

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