Titel 4/2006

Lokale Auswirkungen

Borkum unter Palmen

Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wintertourismus sind Bereiche, die der Klimawandel hierzulande besonders treffen wird. Wissenschaftliche Studien kommen zu dem Schluss, dass die Menschen beginnen müssen, sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen. Diese Erkenntnis setzt sich nur langsam durch.

Fotomontage: Marcus Gloger
Auf Borkum könnten im Jahr 2100 Palmen wachsen. Nach Aussagen des Botanikprofessors Donat-Peter Häder könnten sie sich auf den Nordseeinseln und an geschützten Küstenstreifen ansiedeln – dort, wo die Temperaturen dank der relativ warmen See auch im Winter kaum mehr unter den Gefrierpunkt sinken.

Die Elbe trocknet aus, jeden Sommer gibt es Tausende Hitzetote und im Schwarzwald fällt im Winter kaum noch Schnee – so könnten die Folgen des Klimawandels in Deutschland aussehen.

Dass sich das Klima hierzulande bis zum Jahr 2100 spürbar ändern wird, steht fest. Und mittlerweile liegen auch Erkenntnisse darüber vor, welche Region in welcher Form davon betroffen sein wird. Das Max-Planck-Institut für Meteorologie erstellt im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) detaillierte Modellrechnungen. Erste Ergebnisse wurden im April dieses Jahres präsentiert. Sie zeigen, dass die durchschnittliche Jahrestemperatur im Süden und Südosten Deutschlands um bis zu vier Grad ansteigen könnte, im Nordosten im Sommer Dürren drohen und die Anzahl der Schneetage in den Alpen und Mittelgebirgen um bis zu 70 Prozent zurückgehen könnte. Die Horrorszenarien sind also nicht aus der Luft gegriffen, wenn alles so weiterläuft wie bisher.

Mensch, Wirtschaft und Politik müssen sich so früh wie möglich auf die Klimaveränderungen einstellen – diese Sichtweise setzt sich bei Unternehmern und Politikern nur langsam durch. Helfen könnten die Fortschritte in der Klimaforschung. In den vergangenen Jahren lieferten Wissenschaftler zunehmend spezialisierte Regionalmodelle, die die globalen Klimamodelle ergänzten. „Die regionalen Informationen haben die Klimaschutzdiskussion neu angestoßen. Die Menschen wissen jetzt konkreter, was der Klimawandel für sie bedeuten könnte“, sagt Clemens Haße vom Fachgebiet Klimaschutz im UBA.

Neue Arten auf dem Acker

Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung PIK für das UBA aus dem vergangenen Jahr hebt unter anderem die Landwirtschaft, Forstwirtschaft und den Wintertourismus als besonders vom Klimawandel betroffen hervor. Doch von diesen drei Bereichen räumt lediglich die Forstwirtschaft der Anpassung an die Folgen eine hohe Bedeutung ein.

Die deutschen Wälder werden in den kommenden Jahrzehnten unter Hitze, Wassermangel, Sturm und Schädlingsbefall leiden. Besonders gefährdet sind die von Trockenheit bedrohten Regionen Ost- und Südwestdeutschland. „Die Wälder werden nicht sterben, aber die Verbreitungsgebiete der Baumarten verschieben sich“, sagt Wolfram Zimmeck, Experte für Klimawandel beim Deutschen Forstverein. „Arten, die viel Feuchtigkeit brauchen, wie Buche und Fichte, werden aus dürregefährdeten Bereichen in Deutschland verschwinden.“ Es würden bereits jetzt zunehmend Baumarten wie Linde, Akazie und Kiefer angepflanzt, die mit Hitze und Trockenheit besser klarkommen. In den Landesforstverwaltungen ist man sich schon seit einigen Jahren im Klaren darüber, dass der Klimawandel ein Problem für die Holzwirtschaft darstellt. Und auch bei den Besitzern von Privatwäldern, oftmals Landwirten, sei das Bewusstsein vorhanden, so Zimmeck – immerhin solle mit den Wäldern Geld verdient werden: „Wald ist ein langfristiger Produktionsstandort. Was ich heute pflanze, kann ich erst in etwa 80 Jahren ernten.“ Diese Abhängigkeit von langfristiger Planung führe dazu, dass die Forstwirtschaft sich schon heute auf die Umweltveränderungen von morgen vorbereite.

Das ist in der Landwirtschaft anders. „Wir kennen die Szenarien, die vermutlich auf uns zukommen“, sagt Hans-Joachim Weigel, Präsident der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig. „Aber wir können uns nicht schon heute prophylaktisch darauf einstellen und keinen Roggen oder Weizen mehr anbauen. In der Landwirtschaft sind die Entwicklungen kurzfristiger als in der Forstwirtschaft, die Landwirte arbeiten überwiegend mit einjährigen Ackerkulturen.“ Wissenschaftliche Modellrechnungen haben ergeben, dass die Erträge von Weizen, Roggen und Gerste in der ostdeutschen Elberegion bis 2055 um neun bis 14 Prozent zurückgehen könnten, die Weizenerträge in Baden-Württemberg um 14 Prozent.

„Aufgrund der Trockenperioden in diesem Jahr und in 2003 sind immer mehr Landwirte zwar der Meinung, dass Wetterextreme zunehmen“, sagt Weigel. „Ebenso viele sagen jedoch: Heiße Sommer gab es schon immer. Extreme Wetterereignisse wie Trockenheit oder starke Niederschläge lassen sich für einen bestimmten Ort und Zeitpunkt nicht vorhersagen. Die Frage ist dann: Inwieweit lohnt sich die Investition zum Beispiel in den Bau von Hochwassergräben, wenn ich nicht weiß, ob es wirklich ein Hochwasser geben wird?“

Der FAL-Präsident sieht den Klimawandel nicht als unlösbares Problem für die Landwirtschaft. Die Landwirte hätten sich schon immer an veränderte Bedingungen angepasst. „Sie können beispielsweise wärmeliebende Pflanzen wie Mais anbauen. Darüber hinaus können neue hitzeresistentere Sorten gezüchtet werden, vor allem bei Roggen und Weizen“, erklärt Weigel. Möglicherweise ruft der Klimawandel auch Arten auf den Acker, die in Deutschland bislang nicht heimisch sind: In 70 Jahren, so die Studie des PIK von 2005, könnte hierzulande Soja geerntet werden.

Hilfe zur Selbsthilfe

Die deutsche Wintersportindustrie wird dagegen unter einem Temperaturanstieg leiden. Gemäß der PIK-Studie ist damit zu rechnen, dass Wintersport in den Alpen nur noch in Höhen über 1500 Metern, in den Mittelgebirgen in Lagen über 800 bis 1000 Metern möglich sein wird. Selbst die ökologisch bedenkliche Beschneiung würde langfristig nicht weiterhelfen, da sich künstlicher Schnee nur bei Temperaturen unter vier Grad produzieren lässt. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass der Wintertourismus in Deutschland sich künftig auf Angebote wie Wandern, Kulturreisen oder Wellness-Aufenthalte konzentrieren sollte.

Die bayerische Staatsregierung lässt sich von diesen Prognosen nicht schrecken. Ein Sprecher im Wirtschaftsministerium teilte mit, man werde den Wintertourismus „offensiv weiterentwickeln und die bayerischen Gemeinden, Bergbahnunternehmen und Skiliftbetreiber bei ihren Bemühungen zur Sicherung dieses wichtigen Wirtschaftszweigs unterstützen“. Zurzeit führe man Gespräche mit Experten aus den Bereichen Tourismus, Gastronomie, Wissenschaft und Kommunalpolitik mit dem Ziel, einen „Masterplan Wintertourismus“ zu erstellen. Dieser Plan werde „natürlich auch die bislang erkennbaren Auswirkungen eines möglichen Klimawandels“ berücksichtigen. Clemens Haße vom UBA ist insgesamt optimistisch, was die Bereitschaft in der Gesellschaft betrifft, sich an den Klimawandel anzupassen. „In vielen Bereichen gibt es eine Bewusstseinsänderung. Das Umweltbundesamt unterstützt dies, indem es Hilfe zur Selbsthilfe liefert. Wir stellen die Modellrechnungen des Max-Planck-Instituts Unternehmen, Verwaltungen und Politikern kostenlos zur Verfügung und veranstalten Workshops. Mithilfe der Informationen sollen die Experten Anpassungsstrategien für ihren Bereich entwickeln“, erläutert Haße.

Darüber hinaus wollen UBA und Bundesumweltministerium eine nationale Strategie erarbeiten. Umweltminister Sigmar Gabriel sagte Anfang August in einem Gespräch mit der Tageszeitung „Die Welt“, ein politisches Konzept zur Anpassung an den Klimawandel in Deutschland sei unbedingt notwendig.

Kirsten Lange

Infos: www.umweltbundesamt.de/klimaschutz

 

zurück zum Inhalt