Reise 4/2006

Traditionsbier

Vor dem Zoigl sind alle gleich

In Windischeschenbach in der Oberpfalz wird ein ganz besonderes Bier gebraut: der traditionsreiche Zoigl. Er ist nicht nur ein Getränk, sondern eine Lebensart: Zoigl steht für Geselligkeit, Gemütlichkeit, Zusammengehörigkeit. Zehn Gastwirte in dem kleinen Ort an der tschechischen Grenze produzieren das Bier nach einem jahrhundertealten Rezept.

Foto: Archiv Windischeschenbach
Untrügliches Zeichen für den Ausschank: An der Stange über der Eingangstür baumelt der sechszackige hölzerne
Zoiglstern.

Der Waldi ist da. Der Schorsch und der Luck sind auch da. Und der Konny und der Didi. Alle hocken sie beim „Posterer“ im Herrgottswinkel um den Stammtisch herum und trinken Zoigl. Im Nachbarraum genießen zwei Maler in Arbeitskluft den Feierabend neben einer Gruppe junger Männer und einem verliebten Paar in feinem Zwirn. Die antike Wanduhr tickt, der Emaille-Ofen bullert. Rappelvoll ist die kleine Stube an diesem frühen Freitagabend. Zoiglwirt Günter Zimmermann kann das Bier gar nicht so schnell zapfen, wie es seine Frau Manuela an die Holztische schleppt.

„Hier bist du immer willkommen, egal wo du herkommst“, brummt der wohlbeleibte Waldi, der früher beim Bauhof arbeitete, und nimmt einen kräftigen Schluck aus dem Stamperl. „Das Wichtigste ist die Geselligkeit. Da sagt man Servus, setzt sich an den Tisch und gehört sofort dazu.“ Wenn man denn als Gast aus der Fremde den Oberpfälzer Zungenschlag versteht, gegen den Oberbayerisch fast schon wie Hochdeutsch klingt. Didi, Amtsrat in Bayreuth, mischt sich ein: „Egal was einer is, ob er Handlanger is oder Generaldirektor, das is wurscht.“ Vor dem Zoigl sind alle gleich: Es gibt keine Reservierung und keine Sitzordnung, man rückt zusammen und ist per Du. Und die süffige Halbe kostet in allen Zoiglstuben volkstümliche 1,40 Euro, die Brotzeit 3,50 Euro.

Der süßlich schmeckende Zoigl ist ein untergäriges, ungefiltertes Traditionsbier aus der nördlichen Oberpfalz. Und Windischeschenbach mit seinen 5700 Einwohnern ist das Zentrum des Zoigl. Seit dem Jahr 1455 ist hier das Braurecht verbürgt, das an Haus und Grundstück gebunden und im Grundbuch eingetragen ist. Nach wie vor betreiben die „Brauenden Bürger von Windischeschenbach“, ein vereinsähnlicher Zusammenschluss, das Kommunbrauhaus, für das sie als Mitgliedsbeitrag ein „Kesselgeld“ entrichten müssen. Von den 38 Anteilshabern brauen nur noch zehn aktiv. Ein Jahr im Voraus legen die Wirte einvernehmlich fest, wer an welchem Wochenende seine Wirtschaft öffnen darf. „Geh’n ma am Zoigl!“ – das ist es, was die meisten Einheimischen jedes Wochenende, sommers wie winters, am liebsten tun. Kein Problem: Von Freitag bis Montag empfangen im Wechsel zwei Zoiglstuben bierdurstige Besucherinnen und Besucher. Dann baumelt an der Stange über der Eingangstür der sechszackige hölzerne Zoiglstern. Er gleicht dem Davidstern und symbolisiert die drei am Brauen beteiligten Elemente Feuer, Wasser und Luft sowie die im Mittelalter bekannten Zutaten Wasser, Malz und Hopfen. Die Hefe als Brauzusatz fehlte damals noch. Seit Jahrhunderten zeigt der Stern den Weg zum Bier. Aus dem Zeiger ist mundartlich der Zeigel und später der Zoigl geworden.

Günter Zimmermann hat vor zwei Jahren in seinem Geburtshaus seine Zoiglwirtschaft „Zum Posterer“ eröffnet. Als Reminiszenz an die alte Post, die früher hier drin war, hat er mit seiner Frau Manuela die Granitmauern gelb gestrichen und mit Postschildern und alten Kutscherlampen dekoriert. Um ihre Stube rustikal zu möblieren, sind sie über Flohmärkte gestreift und haben über eBay ausrangierte Kirchenbänke ersteigert. Im Hof haben sie ein modernes Kühlhaus mit Edelstahltanks für 2500 Liter gebaut. Günter, der eigentlich in der IT-Branche arbeitet, hat sich das Bierbrauen selbst beigebracht. Jetzt steht er einmal im Monat für vier Tage hinter der Theke, fast rund um die Uhr, vom Frühschoppen bis zum nachmitternächtlichen Absacker. Zwei Kräfte helfen in der Küche, und sein Bruder, der Metzgermeister, liefert Leberkäs, Presssack und Wurst für die Brotzeit. Auch die anderen Zoiglwirte betreiben ihre Wirtschaft nur im Nebenjob.

„Nach vier Tagen bin ich immer völlig kaputt“, gesteht Günter. Warum macht er dann den Wirt? „Wir wollen hier an der Zoigl-Tradition festhalten“, sagt er und lächelt müde. Außerdem brummt seine Wirtschaft – neben den einheimischen Stammgästen entdecken immer mehr Auswärtige den Zoigl.

Trend ohne Disko-Gedudel

Windischeschenbach, das Zentrum des Zoigl, liegt in einem dünn besiedelten Landstrich an der tschechischen Grenze zwischen Fichtelgebirge und Bayerischem Wald, drum herum viel Natur, das reizvolle Tal der Waldnaab, mächtige Burgruinen, Dorfgasthöfe und als Höhepunkt die viel besuchte kontinentale Tiefbohrstelle KTB, „das tiefste Bohrloch der Welt“.

Foto: Archiv Windischeschenbach
Der Stammtisch ist reich gedeckt und alle sind gekommen.

In der verkehrsberuhigten Hauptstraße mit herausgeputzten, farbig angestrichenen Häusern lockt der neu eröffnete Imbiss mit Döner für 1,99 Euro. Vor zwei Jahren haben die Bleikristallfabrik und die Porzellanfabrik dichtgemacht. Insgesamt kostete das tausend Arbeitsplätze, die Jüngeren ziehen weg, viele müssen in die Kreisstadt Weiden pendeln.

„Die größte Wachstumsbranche sind die Zoigl-Wirtschaften“, sagt der 28-jährige Bürgermeister Andreas Meier. „Die einzige“ wäre korrekter. Als eine der ersten Amtshandlungen hat der junge CSU-Mann Windischeschenbach zur „Hauptstadt des Zoigl“ erklärt und die offiziellen Schriftstücke mit einem Logo aus Zoiglstern und zwei kleinen Bierkrügen versehen.

Die Zoiglstuben waren ursprünglich Wirtshäuser auf Zeit. Ein paar Mal im Jahr räumten die Inhaber ihr Wohnzimmer aus, stellten einige Tische auf, fertig. War ein Zoigl gut, dann ging das wie ein Lauffeuer herum. Noch heute wird bei „Da Roude“ am Marktplatz die Küche der Familie zur Zoiglstube umfunktioniert, wenn der Besucherandrang groß ist. Wirt Anton Heinl schwört auf die Qualität und die Verträglichkeit des Kommunbraubiers. „Das ist ein naturbelassener Stoff wie Frischmilch, ohne Schaum, ohne Filterung, nur mit natürlicher Kohlensäure.“

Das denkmalgeschützte Kommunbrauhaus in der Braugasse ist das Herz des Zoiglwesens. „Hier wird noch wie vor 500 Jahren produziert: überm Holzfeuer in der offenen Sudpfanne“, erklärt Heinz Lindner, der Wirt vom „Stern“. Wenn der Kamin im Brauhaus raucht und das kochend heiße Bier von der Sudpfanne ins Kühlschiff hochgepumpt wird, riecht man das im ganzen Ort. „Dann kommen die Leute ins Brauhaus gelaufen, dann gibt es im Bräustüberl ein Bier und eine Brotzeit“, erzählt Lindner. Gestern hat „Da Roude“ gebraut. Jetzt fährt Wirt Heinl mit dem Traktor vor, pumpt die Würze in ein großes Fuhrfass aus Aluminium und bringt sie in den hauseigenen Gärbottich. Dort reift sie mit Hefe versetzt in vier bis zwölf Wochen zum schankfertigen Zoigl heran. Jeder Wirt braut sein eigenes Bier, deshalb hat jedes Bier seinen eigenen, unverwechselbaren, mal eher hopfigen, mal eher malzigen Geschmack. Um ihr Rezept machen die „Brauenden Bürger“ ein großes Geheimnis.

Der Zoigl ist trendy. Das hat sich vereinzelt bis München, ja sogar bis Berlin herumgesprochen. Denn in den Zoiglwirtschaften kommt man noch ganz ohne Disco-Gedudel und Fernsehen und Raufereien aus. Und trotzdem amüsiert sich auch die Jugend. „Geh’n ma am Zoigl!“

Günter Ermlich

Alle Adressen der Zoiglwirte in Windischeschenbach und der Zoiglkalender mit Öffnungsterminen unter
www.zoiglbier.de

 

Anreise: Mit der Deutschen Bahn aus Richtung München und Frankfurt bis Nürnberg, weiter mit dem RegionalExpress bis Weiden, dann mit der Vogtlandbahn nach Windischeschenbach.

Unterkunft: Gasthof-Metzgerei zum Weißen Schwan, Pfarrplatz 1, 92670 Windischeschenbach, Tel.: (09681) 1230, EZ: 30 Euro, DZ: 50 Euro. Hotel Oberpfälzer Hof, Hauptstraße 1, 92670 Windischeschenbach, Tel.: (09681) 788, EZ: 30 Euro, DZ: 50 Euro.

Auskunft: Tourist-Information Windischeschenbach, Tel.: (09681) 401240, E-Mail: tourismus@windischeschenbach.de

 

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