Politik 4/2006

Alpenverkehr

Der Ultra-Tiefbahnhof

Die Schweiz will den Alpentransit in den Griff bekommen und baut den Gotthard-Basistunnel zur Lastwagenverladung auf die Schiene. Auf halber Strecke soll in den Graubündener Bergen für Passagiere ein gigantischer Bahnhof, die Porta Alpina, entstehen.

Foto: Nils Theurer
Das vorläufige Stationsschild am Betriebsbahnhof der Züge für die Unter-Tage-Arbeiter gibt das Ziel vor: Die Porta Alpina soll Wirklichkeit werden.

Kein lauter Tag heute. „Än ruhiger Tag hüt“, sagt Yves Bonanomi, zuständig für Besucher der Mega-Metro, und schlappt mit Gummistiefeln aus der oberen Etage des Doppelstocklifts. Schon auf der Treppe sieht er sich nach einer Untertage-Mitfahrgelegenheit um. Die Ohren beginnen, donnernde, dröhnende und dumpfe Zumutungen zu trennen. Sie kommen von einem unterirdischen Betonwerk, von rangierenden Grubenloks, vor allem aus einem Lüftungsschacht mit 40 Quadratmeter Querschnitt. „Ruhig“ heißt für Yves lediglich, dass kaum lärmende Bohrjumbos in Aktion sind heute, zudem nur unbeträchtliche Sprengungen.

Um zur unteren Haltestelle dieses tiefsten aller Aufzüge zu gelangen, führt im Talgrund beim Graubündner Ferienort Sedrun auf 1300 Metern überm Meer einen Kilometer weit ein ebener Stollen mitten unter die nächste Gipfelkette. Von dort brachte der obendrein flotteste Lift der Welt gerade lautlos durch die Dunkelheit Arbeiter zum achthundert Meter tieferen Schachtfuß. Hier unten wird seit Jahren am Gotthard-Basistunnel nach Norden und Süden gebaut.

Foto: Nils Theurer
Laut und stickig: der Verschiebebahnhof am Schachtfuß

Yves’ Mitfahrgelegenheit läuft ein: Die Lok eines Materialzuges nimmt ihn und den Besuch die zwei Kilometer zum Südvortrieb mit. Der Fotokoffer passt unter Yves’ Beine, er selbst zwängt sich in die Mitte. Der Lokführer beugt sich aus seinem rumpelnden Kraftpaket, um Sicht an den zu schiebenden Wagen vorbei auf die atemraubende Strecke zu erhalten. Spritzend arbeitet sich der Materialzug durch riesige Pfützen und über stufige Schienenstöße, über die die Lok mit lautem Knall walzt. Einige hundert Meter vor dem „Südvortrieb“, dort wo der Tunnel weiterwächst, endet die vorläufige Trasse. Hier hängen Aggregate, Bohrmaterial und Container an massiven Ketten von der Decke – im sumpfigen, noch unverkleideten Tunnelboden würde alles versinken.

Bereits über Tage erhielten die Tagesbesucher eine Einweisung für den sogenannten Selbstretter, den jeder im Rucksack mit sich trägt. Eine Stunde soll er Überleben ohne Sauerstoff ermöglichen, bei Anstrengung eine halbe. Wie Saurierarterien ziehen sich Lüftungsschächte durch den Loren-Rangierbahnhof. Trotz der Rohre, die kontinuierlich winterliche Bergluft über einen zweiten Schacht bis zu den Vortrieben führen, ist es heiß. Ein nasser, lauter, ermüdender Ort. Das soll sich in wenigen Jahren ändern. Genau am Fuß des gigantischen Lifts soll ein Alpenbahnhof entstehen.

Wie es dazu kam? Die schwindenden Übernachtungszahlen im Gebiet um diesen tiefsten Zwischenangriff bei Sedrun beflügelten seit Jahren die Graubündner, den ohnehin geplanten Nothaltepunkt am Schachtfuß zu einer Bahnstation auszubauen. Ein griffiger Name war bald gefunden – Porta Alpina –, allein das Geld fehlte. Dabei überzeugte das Argument der Befürworter, allen voran der Verein „visiun porta alpina“, dass Lift, Schacht und Strom ohnehin vorhanden seien. Tatsächlich kamen mehrere Planungen auf Kosten von 40 bis 50 Millionen Schweizer Franken zustande – ein Betrag, der bei der gesamten NEAT (Neue Alpen Transversale) alle paar Tage verbaut wird.

Ob die Porta Alpina eine tatsächliche Mobilitätsnachfrage bedient und die etwa eintausend Zuzügler mit Arbeitsplatz in Richtung der nördlichen und südlichen Tunnelportale bringen wird, ist ungewiss. Stefan Grass, Geschäftsführender Präsident der Sektion Graubünden im Verkehrs-Club der Schweiz, VCS, sieht den Megatiefbahnhof als Attraktion. Die Porta Alpina werde wie eine Seilbahn auf einen spektakulären Berg zunächst Touristen anziehen, die drei Weltrekorde – längster Tunnel, höchster und schnellster Lift der Erde – aneinanderreihen wollen. Vom VCS werde vielmehr die Entwicklung der Mobilitätsachse Chur–Disentis propagiert – dem nächsten größeren Ort talabwärts von Sedrun – wo bislang auf der einspurigen Schmalspurbahn wenige Ausweichstellen den Zugtakt diktieren. Grass vermisst bislang die konkreten Vorschläge für den großen raumplanerischen Anspruch der Porta-Alpina-Befürworter. Dennoch sieht er keine Konkurrenz: „Die 50 Millionen Schweizer Franken sind nicht viel und eine große Chance. Und wenn man in zehn Jahren sieht, dass es nicht die erforderliche Wirkung für die bislang abgelegene Region Surselva bewirkt oder der erhöhte Zugdurchsatz im Basistunnel die Halte verbieten sollte, kann man die Station ja wieder auf den Nothalt reduzieren.“

Sicher ist, dass mit der Station Porta Alpina der Tagestourismus zunehmen wird. Und das hat auf jeden Fall Konsequenzen für die bislang beschauliche oder – je nach Sichtweise – abgeschnittene Region. Kritiker befürchten einen Investitionsdruck in Richtung Hütten- und Zweitwohnungsbau und sähen es lieber, dass die Orte auf nachhaltigere Tourismusformen setzen. Auf keinen Fall dürfe Sedrun Retortenwohnsilo betuchter Zürcher Professoren werden.

Die umliegenden Ortschaften sowie das Graubündner Parlament, der Ständerat und der Nationalrat der Schweiz sehen der geplanten Station optimistisch entgegen. Und machen ein paar Millionen Schweizer Franken locker. Als im Februar ein Volksentscheid in Graubünden weitere 20 Millionen sicherte, sahen sich die Initiatoren am Ziel. Allein eine Zusage des Bundes über sieben Millionen Franken steht noch aus.

Durch die derzeit unter Tage noch vorhandenen Maschinen werden ab Oktober breitere Bahnsteige ausgebrochen, ebenso Warteräume hinter den notwendigen Druckschleusen und eine kolossale Bahnhofshalle. Bereits in die jetzige Kaverne am Fußpunkt des Lifts würde ein halbes Dutzend Einfamilienhäuser passen. Im Moment werden hier die Bohrjumbos repariert – jede der bis zu 25 Tonnen schweren Maschinen wurde kopfüber im Lüftungsschacht abgelassen.

Neben der Ausgestaltung unter Tage warten weitere große Aufgaben auf die Porta-Alpina-Planer: Zwar ist die Einrichtung halbwegs finanziert, die Betriebskosten bleiben aber ungedeckt. Auch müssen die Betreiber den Personentransport zum Umsteigen auf die oberirdische Schmalspurbahn optimieren. Die Wege sind weit: Von den Zugtüren auf 547 m über dem Meer werden Passagiere durch Druckschleusen ein paar hundert Meter bis zum Lift sowie vom Schachtkopf auf 1330 Metern über den waagerechten Stollen ans Tageslicht kommen. Nach bisherigen Planungen wird es durch diesen oberen Stollen per Bus zum Ort Sedrun (1440 m) gehen, das liegt an der nächsten Bergflanke. Wer für Druckausgleich sorgt, kann von dort per Seilbahn auf die Alp Tgom (1913m) oder mit etwas Ausdauer als Gletscher- oder Skitour bis zum Oberalpstock (3327m) durchstarten.

Nils Theurer

 

Gotthard-Basistunnel

Der Gotthard-Basistunnel ist der sensationellste Teil des schweizerischen Projekts NEAT (Neue Eisenbahn Alpen Transversale), beschlossen 1992 per Volksentscheid. Kern ist die konsequente Verlagerung alpenquerender Lkw auf die Schiene durch den Bau der Basistunnel an Gotthard und Lötschberg.

Infografik: fairkehr/Marc Venner

Mit dem Wegfall der zeitaufwändigen Gebirgsstrecken vor und nach den bisherigen Gotthard-Tunnelportalen auf 1100 m ü.M. können die Lkw künftig per Bahnverladung mit 160 km/h in längeren Zügen und enger Zugfolge befördert werden. Dies wird durch die „Basis“-Höhe des Tunnels auf rund 550 m ü.M. ermöglicht. Derzeit sind 60 Prozent der insgesamt 153,4 km Röhren, Schächte und Betriebsstollen vorangetrieben. Innenausbau und Installierung der Bahntechnik werden nach dem geplanten Gesamtdurchstich 2009 die Zeit bis 2016 in Anspruch nehmen.

In Sedrun befindet sich ein Besucherzentrum mit einigen Modellen (Eintritt kostenlos, Führung 10 sFr). Der waagerechte Stollen bis zum Schachtkopf kann nach Anmeldung befahren werden (20 sFr). Begehrt sind die seltenen Fahrten bis zum Schachtfuß (90 sFr), die jedoch bis Anfang 2008 ausgebucht sind. Sedrun ist mit der Schmalspurbahn auf der weltberühmten Strecke des „Glacier-Express“ sehr gut erreichbar.

www.alptransit.ch
www.basistunnel.ch
www.visiun-porta-alpina.ch

 

zurück zum Inhalt