Politik 4/2006

ATMOSFAIR

Schadensbegrenzung

Fliegen ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Die Initiative atmosfair bietet Passagieren die Möglichkeit, für die von ihnen verursachten Klimagase zu zahlen und auf diese Weise in den Umweltschutz zu investieren.

Foto: photocase.com

Shoppen in Madrid, Geschäftsessen in New York, Surfen in Sydney – Fliegen macht’s möglich und kostet den Einzelnen dank zahlreicher Billiganbieter scheinbar immer weniger. Die Umwelt kostet’s immer mehr: Wissenschaftliche Schätzungen gehen davon aus, dass der Flugverkehr heute weltweit zwischen vier und neun Prozent zum vom Menschen verschuldeten Treibhauseffekt beiträgt. Deshalb hat sich vor gut zwei Jahren die Initiative atmosfair gegründet, ein Projekt der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch und des Reiseveranstalterverbands „forum anders reisen“. Gemäß dem Motto „Jeder ist für den eigenen Schmutz verantwortlich“ bietet atmosfair Flugpassagieren die Möglichkeit, für die von ihnen verursachten Emissionen einen speziell berechneten Beitrag zu zahlen. Das Geld fließt in Umweltprojekte in sogenannten Entwicklungsländern, mit denen dort Treibhausgase eingespart werden.

Bislang haben etwa 6000 Menschen, sowohl Urlauber als auch Geschäftsreisende, einen atmosfair-Beitrag gezahlt. 160000 Euro sind 2005 zusammengekommen. Aus Sicht des Geschäftsführers Dietrich Brockhagen ein gutes Ergebnis – zumal die gemeinnützige Gesellschaft über kein Werbebugdet verfügt, sondern über ihre Internetseite, die Zusammenarbeit mit Reisebüros und -veranstaltern sowie Mundpropaganda auf sich aufmerksam macht. Mittlerweile bieten rund 60 Reiseveranstalter ihren Kunden die Möglichkeit an, atmosfair zu fliegen. Darunter sind viele vom „forum anders reisen“, aber zunehmend auch solche, die nicht per se ein umweltbewusstes Publikum ansprechen – wie beispielsweise der Anbieter Frosch Sportreisen. Darüber hinaus zahlen inzwischen zehn Firmen und Organisationen für die Geschäftsflüge ihrer Angestellten einen freiwilligen Emissionsbeitrag.

Zurzeit unterstützt atmosfair drei Klimaschutzprojekte: Solarküchen in Indien, eine Energiespar-Siedlung in Südafrika und eine Anlage zur Abwasserbeseitigung bei der Palmöl-Produktion in Thailand. Der Vertrag mit einem Projektbetreiber aus Brasilien, der aus Abfällen Strom erzeugen will, ruht momentan, da bestimmte Auflagen nicht erfüllt werden. „Das Beispiel zeigt: Wer atmosfair bucht, kann sicher sein, dass sein Geld nur in seriöse und effektive Projekte fließt“, betont Brockhagen. Sie entsprächen dem im Kyoto-Protokoll festgelegten CDM-Standard (Clean Development Mechanism) und würden vor Ort vom TÜV Süddeutschland überprüft.

Kein ruhiges Gewissen

Das schafft offensichtlich Vertrauen: Das Interesse an atmosfair wächst, wie die täglich 2000 Anfragen übers Internet zeigen. Dennoch: Auch wer atmosfair fliegt, schadet dem Klima. „Wir verkaufen kein ruhiges Gewissen“, betont Geschäftsführer Brockhagen. „atmosfair ist eine Art der Schadensbegrenzung, wenn die Reisenden sich bereits fürs Flugzeug entschieden haben. Am besten für die Umwelt ist es allerdings, ganz aufs Fliegen zu verzichten.“ Diese Ansicht teilt der VCD-Bundesvorsitzende Michael Gehrmann. Die freiwillige Emissionsabgabe sei keinesfalls ein Ersatz für notwendige politische Instrumente wie beispielsweise eine Kerosinsteuer.

Angesichts der Tatsache, dass 2005 in Deutschland mehr als 83 Millionen Mal ein Mensch ins Flugzeug gestiegen ist, um ins In- oder Ausland zu reisen, wirken die 6000 atmosfair-Bucherinnen und -Bucher ohnehin wie ein winziger Tropfen auf der immer heißeren Erde. Brockhagen sieht ein wichtiges Ziel seiner Arbeit deshalb darin, die Einstellung der Menschen zu ändern: „Sie müssen sich bewusst machen: Wenn wir weiter so viel fliegen wie bisher, verkraftet das die Atmosphäre nicht. atmosfair setzt bei den Kunden an und appelliert an sie: Denkt doch nach und sucht Alternativen zur Flugreise! So wird aus dem Tropfen vielleicht mal ein Bach und dann ein Fluss.“

Kirsten Lange

Infos und Buchung: www.atmosfair.de
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