Politik 3/2006

VCD Bahntest 2006

Verloren im Tarifdschungel

Die Vorteile einer Bahnfahrt ins Ausland liegen auf der Hand: Entspanntes und zugleich umweltfreundliches Reisen ist für viele Menschen attraktiv. Jedoch haben die Beraterinnen und Berater in den DB-Reisezentren und Reisebüros oftmals Schwierigkeiten, die optimale Verbindung zu ermitteln. Das ist eines der Ergebnisse des VCD Bahntests 2006 „Unterwegs durch Europa“.

Foto: db ag/lautenschläger
Bahnfahren in Europa kann kompliziert sein: Ab der deutschen Grenze gelten andere Preissysteme, und nicht immer hat das Beratungspersonal den Durchblick.

Der Familienrat hat getagt. Der Urlaub soll nach Italien gehen. Die Anreise? Die Mutter will nicht wieder im Stau stehen. Der Vater will, dass der Urlaub sofort beginnt. Die Kinder wollen die Umwelt schonen. Ergebnis: Anreise mit der Bahn. Leider hilft das sonst so praktische Internet beim Thema Auslandsverbindungen nicht wirklich weiter. Also sucht die Familie das DB-Reisezentrum im Bahnhof auf, in der Hoffnung, dort kompetent und umfassend informiert zu werden. Doch ist sie damit wirklich gut beraten? Dieser Frage ging der VCD Bahntest 2006 nach. Im Auftrag des Verkehrsclubs überprüften die Testerinnen und Tester des Qualitätsforschungsinstituts Quotas die Beratungsqualität der DB-Reisezentren und Reisebüros bei Bahnfahrten ins benachbarte europäische Ausland (s. Kasten).

Ergebnis: Nur in 65 Prozent der Fälle wurde eine optimale Beratung vorgenommen. Mehr als 23 Prozent der empfohlenen Verbindungen waren unnötig teuer, in fünf Prozent der Fälle konnten die Berater keine Preisauskunft geben, fast vier Prozent der Verbindungen waren unnötig lang. Ein Beispiel für eine zu teure Verbindung: Eine Familie mit zwei Kindern, 15 und sechs Jahre alt, gab an, von Köln in die Schweiz nach Chur reisen zu wollen. Die beiden Erwachsenen und das 15-jährige Kind besaßen eine BahnCard 50 und kauften die Karten für die Hin- und Rückfahrt fünf Wochen im Voraus. Die Servicemitarbeiter ermittelten eine Verbindung für 423 Euro. Die Familie hätte zweimal umsteigen müssen. Die optimale Verbindung hätte knapp 230 Euro gekostet, 193 Euro weniger. Außerdem hätte die vierköpfige Familie nur einmal umsteigen müssen. Diese Fehlberatung war zum einen darin begründet, dass lediglich der Sparpreis 25 angeboten wurde, obwohl der Sparpreis 50 für eine andere Verbindung noch verfügbar war. Zudem wurde das 15-jährige Kind voll berechnet, obwohl es im Rahmen der TEE Rail Alliance, einer Kooperation der Deutschen, Schweizerischen und Österreichischen Bahn, möglich gewesen wäre, das Kind auf einer TEE-Familienkarte kostenlos mitzunehmen. Das Beispiel zeigt exemplarisch, dass besondere Schwierigkeiten bei der Beratung von Familien bestehen. Während das Ergebnis bei den Einzelreisenden mit 81 Prozent optimalen Beratungen noch recht positiv ausfällt, müssen sich Familien mit mageren 48 Prozent begnügen.

Einige Tests waren so angelegt, dass zu einem optimalen Angebot die Kaufempfehlung einer BahnCard 25 notwendig gewesen wäre. Das heißt, obwohl die Kunden die BahnCard noch hätten erwerben müssen, wäre der Gesamtpreis trotzdem niedriger gewesen. Mit der BC 25 ist es nämlich möglich, Rabatt auf alle Sparpreise zu erhalten und außerdem den Mitfahrerrabatt zu nutzen. In lediglich einem Viertel der beschriebenen Fälle empfahl das Beratungspersonal jedoch tatsächlich eine BC 25.

Quelle: Quotas
Grafik 1: Anteil bestmöglicher und ungünstiger Empfehlungen

Erfreulicher sieht das Ergebnis des VCD Bahntests 2006, wie in den vergangen Jahren, beim Thema Engagement und Freundlichkeit aus. Die DB-Reisezentren erhielten dabei insgesamt etwas bessere Noten als die Reisebüros (s. Grafik 2). Hier zeigt sich, dass die Gründe für die Beratungsfehler weniger beim Personal zu suchen sind, als bei der mangelhaften Software und dem offensichtlich zu komplexen Auslandstarifsystem. Die Buchungssoftware ist offensichtlich nicht in der Lage, alle bestehenden Auslandsvergünstigungen zu berücksichtigen oder den Beratern einen deutlichen Hinweis darauf zu geben. Zwar hat die Deutsche Bahn inzwischen eine neue Software namens NVS – Neues Vertriebssystem – eingeführt, die wesentlich komfortabler als die Vorgängerversion sein soll. Dennoch verbleiben verschiedene Schwierigkeiten. Der VCD-Bundesvorsitzende Michael Gehrmann bringt es auf den Punkt: „Die Buchungssoftware enthält nicht alle Angebote und notwendigen Verknüpfungen für eine optimale Beratung.“

Quelle: Quotas
Grafik 2: Engagement und Freundlichkeit (in Schulnoten)

Die Software legt zwar den Grundstein für eine optimale Beratung, dennoch ist es unerlässlich, dass das Personal zumindest die gängigen Vergünstigungen und Verbindungen ins benachbarte Ausland kennt und berücksichtigt. Gerade bei Auslandsreisen mit der Bahn erwarten die Fahrgäste von den Beratern Hinweise auf Sondertarife und Globalpreise, die neben der Fahrkarte auch die Platzreservierung umfassen, die sie am Automaten oder im Internet nicht bekommen. Das Preissystem umfasst bei Verbindungen ins Ausland eine Vielzahl von Sonderbedingungen. Viele Berater hatten Probleme, sämtliche länderspezifischen Vergünstigungen gegeneinander abzuwägen. „Wir brauchen ein einfaches Preissystem, das europaweit einheitliche Strukturen aufweist“, fordert deshalb VCD-Bahnexpertin Heidi Tischmann.

Foto: db ag/reiche
Bei der Beratung von Familien, die eine Auslandsreise planen, muss die Bahn nachbessern.

Zum Schluss ein Tipp für alle, die mit der Bahn ins Ausland fahren wollen: Bevor sie ein DB-Reisezentrum oder ein Reisebüro aufsuchen, sollten sie einen Blick in die Broschüre der Deutschen Bahn zum Thema Europareisen werfen. Noch besser allerdings ist es, sich das aktuelle Sonderheft des VCD „Zügig durch Europa“ zu besorgen.

Thomas Krautscheid,
Projektleiter Qualitätsforschungsinstitut Quotas

„Zügig durch Europa“ ist erhältlich unter:
VCD, Kochstraße 27, 10969 Berlin,
Tel.: (030) 28051-0, www.vcd.org, >Shop, >Neuheiten
E-Mail: mail@vcd.org, Hintergrundpapier zum VCD Bahntest unter www.vcd.org/bahntest.html

 

 

 

Die Quotas-Testmethode

Insgesamt wurden 180 Tests durchgeführt, davon 120 in DB-Reisezentren und 60 in Reisebüros, überwiegend mit DB-Lizenz. Die Untersuchungsmethode bestand wie in den vergangen Jahren aus einem zweiwöchigen Testkundenverfahren. Die Testerinnen und Tester fragten nach fünftägigen Städte- oder zweiwöchigen Urlaubsreisen, entweder für Einzelpersonen oder Familien, d.h. Eltern plus 15- und 6-jähriges Kind. Die Qualitätstester nahmen eine verdeckte Recherche am Schalter vor, d.h. sie nannten lediglich die vorgegebenen Strecken und ihr Reisenden-Profil – Anzahl, Alter, BahnCard und Zeitraum. Anschließend ließen sie sichdurch die DB- oder Reisebüro-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter beraten.

Regeln für die optimale Reiseverbindung:
Preis: möglichst günstig
Zeit: möglichst schnell
Umstiege: möglichst wenige

Das ganze war an Bedingungen geknüpft, die in Zusammenarbeit mit einem auf Bahnreisen spezialisierten Reisebüro entwickelt worden waren:
1. Eine günstigere, aber längere Verbindung musste eine Ersparnis von 12 Euro pro Stunde zusätzlicher Fahrt bringen.
2. Pro zusätzlichem Umstieg sollte es eine Ersparnis von vier Euro bei Städtereisen und von acht Euro bei Urlaubsreisen geben.

 

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