Reise 2/2006

Fahrradtour

Mit Technik auf Tour

1600 Kilometer weit war Martin Kissel mit dem Fahrrad in Deutschland unterwegs, einmal der Länge nach von Süd nach Nord, von Freiburg nach Hamburg. Wie er seine Route fand, wo die Karten versagten, die Schilder fehlten, das GPS-Gerät schließlich spurte, schildert der fairkehr-Autor von Etappe zu Etappe.

Foto: www.Photocase.com

Foto: www.Photocase.com

Die letzte August-Woche schenkt Sonne pur, täglich um die 30 Grad. Und ich sitze immer noch in Freiburg fest. Eine Woche habe ich regelrecht durch schlechte Vorbereitung vertrödelt. Ich möchte mit satellitengestützter Navigation quer durch Deutschland fahren, habe aber noch keinen blassen Schimmer, wie sie funktioniert. Bislang hatte jedes technische Gerät Murphys Gesetz an mir zu testen gepflegt. Immer wieder rufe ich Hans-Wilhelm Hurt von der Landesvermessung und Geobasisinformation Niedersachsen (LGN) in Hannover an. Ich bin über das Internet auf ihn gestoßen. Die LGN bietet auf ihrer Homepage gute Tipps zur GPS-Nutzung an, u.a. auch digitalisierte Touren, sogenannte Overlays, die man direkt auf das GPS-Gerät laden kann.

Hans-Wilhelm Hurt ist die Ruhe in Person. Meine zahlreichen Anrufe bringen ihn nicht aus dem Konzept. Warum denn jetzt wieder was und warum nicht funktioniere? „Ganz einfach“, höre ich am anderen Ende der Leitung, und die anschließende Erklärung bringt mich immer einen Schritt weiter. Und Herr Hurt versprach mir, dass ich in kürzester Zeit die Sache verstehen und, wenn es einmal liefe, nie wieder ohne GPS radeln wolle.

Montag, 5. September 2005: Zwei Satteltaschen, eine Lenkertasche und ein Rucksack. Das GPS-Gerät – es ist nicht größer als ein Handy – ist am Lenker montiert, allerdings habe ich immer noch keine Daten geladen. Irgendwann ist mir die Geduld abhanden gekommen. Bis nach Hamburg habe ich viel Zeit, rede ich mir ein, bis dahin würde ich es schon verstehen. Eine Radkarte für den Abschnitt Südbaden habe ich mir auch nicht gekauft. Die Hoffnung, die Beschilderung der Radwege würde schon ausreichen, um mich ans jeweilige Ziel zu bringen, sollte sich als Irrtum herausstellen.

Etappenziel: Bühl bei Baden-Baden

Fahr einfach den Rhein entlang Richtung Norden, dann kann nichts passieren, sage ich mir. Die Beschilderung des Rheintal-Radweges macht mir allerdings ziemlich schnell klar, wo es nicht langgeht. Wer zum Beispiel plötzlich an drei Seiten von Rheinarmen umgeben ist, weiß definitiv, dass er sich verfahren hat. Es bleibt nur noch der Weg zurück. Einige Kilometer zurück, um genauer zu sein, auf staubigen Rollsplit-Pisten. 45(!) zusätzliche Kilometer „Bonus-Track“ kommen so am ersten Tag zusammen. Das kann ja heiter werden!

Etappenziel: Dahn im Pfälzer Wald

Die Lösung dieses ersten Problems – schlechte Beschilderung – bringt der zweite Tag. Sie heißt „Veloroute Rhin“ und verläuft auf der linken, der französischen Rheinseite. Perfekte Beschilderung, nahezu komplett asphaltierte Wege und wesentlich attraktivere Routen als auf der deutschen Seite. „Warum bin ich nicht schon früher rüber zu den Franzosen gewechselt?“ führe ich Selbstgespräche. Die Strecke durchs Elsass, den Bienwald und den Pfälzer Wald nach Dahn entschädigt mich komplett. Bei Sonne an einem plätschernden Bach durch einen kühlen Wald zu gleiten ist Seelenbalsam.

Fotos: Martin Kissel

Rhin oder Rhein? Auf der französischen Seite ist der Radweg nicht nur durchgehend asphaltiert und wesentlich besser beschildert – die Route ist auch attraktiver als auf der deutschen Seite.

In Dahn habe ich Zugang zu einem Computer und beschließe, einen Tag Pause einzulegen, um jetzt endlich das GPS flottzubekommen. Fehlende oder unsinnige Beschilderung soll mich zukünfig nicht mehr in die Irre leiten, ab morgen soll mich das Navigationsgerät ans Ziel bringen.

Mit Hilfe der topographischen Karte auf CD und der vor Ort erworbenen Radkarte digitalisiere ich die Strecke bis nach Saarbrücken, indem ich den Radweg auf der digitalen Karte nachzeichne. Wie mit einem Stift markiere ich auf der digitalen Karte mit der Maus den genauen Verlauf der Radwege, wie sie auf der Papierkarte angezeigt sind. Ich erstelle somit eine digitale Kopie, deren Daten ich dann vom PC auf das GPS übertrage. Auf dem Display des GPS-Gerätes wird dann nach der Übertragung der genaue Verlauf der jeweiligen Tour mittels einer Linie vorgezeichnet. Ein Pfeil gibt den Standort an, an dem man sich gerade befindet, und zeigt die Richtung an, in die man sich bewegt. Bewegt sich der Pfeil auf der vorgegebenen Linie, ist man richtig. Kommt man vom rechten Weg ab, verlässt auch der Pfeil die vorgegebene Linie.

Dumm nur, dass die Radkarte aus Papier nur bis Blieskastel geht, das Ziel aber Saarbrücken ist. Dazwischen fehlen mir rund 25 Kilometer. Also suche ich mir auf der digitalen Karte des GPS freihändig eine Route, von der ich annehme, dass es eine einigermaßen schöne Strecke sein könnte. Damit begehe ich einen mächtigen Fehler: Ich setze die Markierungspunkte viel zu weit auseinander.

Etappenziel: Saarbrücken

Bis Blieskastel ist die Route im Kasten, das GPS bringt mich sicher voran. Auch die offensichtlich willkürlich angebrachten Radwegeschilder unterwegs können mich nicht von der Richtung abbringen. Das GPS weiß, wo es langgeht. So kann ich bei strahlendem Sonnenschein die wunderschöne Landschaft des Pfälzer Waldes genießen, ohne auf Schilder achten oder eine Karte herauskramen zu müssen. Es ist ein unglaublicher Genuss.

 

Fotos: Martin Kissel

 
Verloren im Schilderwald? Mit einem GPS-Gerät müssen sich Fahrradfahrer nicht mehr auf die Beschilderung verlassen.  

Hinter Blieskastel ist aber leider Feierabend mit der programmierten Route nach der Fahrradkarte. Jetzt greift die Kür, die ich mit viel zu wenig Markierungspunkten versehen habe. Da der Richtungspfeil auf dem GPS immer die direkte Richtung zwischen zwei Punkten anzeigt, kann ich viel zu oft die Richtung nicht einhalten, weil es dazu keine Straße gibt. Hätte ich für alle 200 realen Meter auf der digitalen Karte einen Punkt gesetzt, wäre die Sache perfekt gewesen. So muss ich mich wieder durchfragen, was mich unter anderem statt nach Ommersheim nach Ormesheim bringt. Dumm nur, das dieses Dörfchen auf einem stattlichen Höhenzug liegt. Die Steigung kann ich nur schiebend und keuchend überwinden. Ich komme dadurch reichlich spät in Saarbrücken an.

Etappenziel: Trier

Der Saar-Radweg bringt mich am nächsten Tag von Saarbrücken nach Trier. Ich fahre wieder ohne GPS. Meine „Bett & Bike“-Wirtin hat mir versichert, dass ich keine Karte bräuchte, denn der Radweg sei sehr gut ausgeschildert. Sie sollte Recht behalten. Allerdings auch der ältere, hilfsbereite Mann, der mir unterwegs den Rat gab, in Trier unbedingt das Moselufer zu wechseln, die rechte Seite ab Trier sei auf mehreren Kilometern eine einzige Katastrophe. Außerdem sei die Beschilderung lausig. Allein, ich sollte diesen wichtigen Rat nach meiner Ankunft in Trier vergessen haben.

Etappenziel: Koblenz

Was der hilfsbereite Rentner nicht wusste: Auch die linke Moselseite ist ab Trier miserabel beschildert. Wer immer die Schilder aufgehängt hat, er hatte keine Ahnung. Zu oft muss ich raten, wo ich mich gerade befinde und wohin es geht. Ich vermisse das GPS schmerzlich. Und ich will heute noch bis nach Koblenz. Dabei übersehe ich ein kleines, nicht unwichtiges Detail: die Moselwindungen. Nach Koblenz sind es – wie ich nach der völlig unbrauchbaren Formel „Pi mal Daumen durch Luftlinie“ überschlägig berechnet habe – somit keine 100, sondern mehr als 200 Kilometer. Nach 80 Kilometern habe ich ohnehin genug. Jetzt erst mal Pause machen am Moselufer.

Nach Einkehrmöglichkeiten an der Mosel muss man nicht lange suchen. Die Kunst ist eher, sich für einen der zahlreichen schönen Plätze zu entscheiden. Da kommt mir ein Gasthaus in Zeltingen-Rachting gerade recht. Der Wirt hat Stehtische rausgestellt, genau das Richtige nach über vier Stunden im Sattel. Wie an der Bar, nur eben im Freien. Aber die Gespräche sind die gleichen „Wo geht’s denn hin?“ „Nach Hamburg!“ „Nach Hamburg? Aber doch nicht mehr heute?“ Das sehe ich ähnlich. An der Tür des Gasthauses klebt das „Bett & Bike“-Emblem. Ein Zeichen. Möglicherweise ein Wink des Himmels, zumal der liebe Gott das Kraftwerk Sonne vorübergehend abgestellt hat. Noch ein Weißbier und Schluss für heute.

Etappenziel: Koblenz (jetzt aber wirklich)

Der Tag verläuft unspektakulär. Es gibt auch wieder Schilder für Radler. In der Nähe einer Bootsanlegestelle am Moselufer warnt ein Schild im Wasser: „Durchfahrt für Fahrradfahrer gesperrt!“ Die Behörden hier haben wenigstens Humor.

Ein warmer Landregen sorgt schließlich für Entspannung. Herrlich, bei 25 Grad im strömenden Regen zu radeln! Die letzten Meter an der Mosel entlang zum Deutschen Eck. Oberhalb von Koblenz sehe ich schon die Festung Ehrenbreitstein. Jugendherberge ist ein absolutes Muss, auch wenn auf den letzten zwei Kilometern bis zu 18 Prozent Steigung zu bewältigen sind.

Etappenziel: Köln

Trotz des Regens und Nebels: Der Blick von der Festung auf das Deutsche Eck ist eine Wohltat. Mosel und Rhein kommen zusammen. Die großen Rheinkähne tuckern mit bedächtigem Tempo vorbei. Es gefällt mir, zuzusehen, was sich unten abspielt. Zwanzig Minuten später breche ich auf. Das Gefälle der Abfahrt flößt mir Respekt ein. Die Straße ist vom leichten Regen etwas rutschig geworden. Also, voll rein in die Eisen, sicher ist sicher!

Fotos: Martin Kissel

Alles eingepackt? Das GPS-Gerät ist klein und lässt sich leicht am Lenker befestigen.

Ich habe keine Karte, kein aktives GPS und Koblenz hat, wie so viele Gemeinden, an der Beschilderung für Radler gespart. Die Koblenzer sind hilfsbereit und wollen mir den Weg nach Köln weisen. Aber als schließlich der Rat kommt, ich solle zurück über die Mosel fahren, beschließe ich, mich in der Nähe des Rheins aufzuhalten, da wird sicherlich irgendwann mal ein Radweg kommen. Nach knapp einer Stunde habe ich einen Radweg gefunden, wenn auch nicht am Rhein. Egal, er führt Richtung Köln.

Später erfahre ich, dass es sehr wohl einen Radweg am Ufer gibt und er bestens ausgeschildert ist. Mit Angabe der Rheinkilometer, mit lehrreichen Tafeln zum Vater Rhein und rheinischem Schiefergebirge und, und, und. Sollte ich etwas übersehen haben? Die Antwort ist schlicht und ergreifend: offensichtlich ja! Die eigene Unzulänglichkeit sollte man nie unterschätzen.

Etappenziel: Köln

Köln, die Stadt der Glasscherben und Einbahnstraßen, erwartet mich mit einer Lektion: Augen immer auf die Fahrbahn, Plattfußgefahr. Gerne werden Hinweisschilder zum Radweg schon mal hinterm Gebüsch versteckt. Man muss sich ja ohnehin auf die Fahrbahn konzentrieren. Naja, ett hett noch immer jootjejange.

In Köln bleibe ich eine Woche bei Freunden. Rund 750 Kilometer liegen hinter mir. Ich beschließe, die restliche Tour mit GPS-Unterstützung zu fahren. Ich bin es leid, mich auf eine jämmerliche Beschilderung oder märchenhafte Wegerklärungen verlassen zu müssen. Ich besorge mir Kartenmaterial und übertrage die Routen am PC meiner Gastgeber auf die digitale Karte des GPS. Jetzt kann nichts mehr schief gehen, dachte ich.

Etappenziel: Ruhrgebiet

Ich verlasse Köln bei Kaiserwetter und fahre zielsicher den Rhein entlang in Richtung Duisburg. In Leverkusen erlebe ich allerdings noch einmal die Leiden eines Ortsunkundigen. Bei der Landesgartenschau wurde ein langer Zaun errichtet, der in keiner Karte verzeichnet ist. Also frage ich einen Radler, der mir entgegenkommt, wie ich denn zum rechten Rheinufer käme. „Da lang!“, sagt er ganz spontan und zeigt in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Ich weise ihn auf diesen Umstand hin, worauf er sich noch spontaner für die entgegengesetzte Richtung entscheidet. Ich entscheide mich für „dann eben da lang“ und erreiche nach verbotener Fahrt quer über die Wiesen der Landesgartenschau das rettende Rheinufer.

Etappenziel: Hamburg

Das GPS wird mich in den nächsten Tagen über Dortmund, Münster, Bielefeld, Ovelgönne und Freiburg an der Elbe nach Hamburg bringen. Nachdem ich Herne hinter mir gelassen hatte – einen letzten Tiefstpunkt in Sachen stundenlanges Verfahren, chaotische Wegweiser und fehlende Radwege – gab es keine falschen Auskünfte mehr und kein lästiges Kartenwühlen oder

-studieren. Keine lausige Beschilderung ärgert mich mehr bis Hamburg. Glücksgefühl im Weserbergland: Die hervorragend gute Beschilderung an der Weser zeigt 100-prozentige Übereinstimmung mit meinen GPS-Daten. Und die letzte Etappe der 1595,87- Kilometer-Tour mit Ziel Hamburger Rathausplatz entlang der Elbe fährt sich fast von allein.

Martin Kissel

   
 

Gut zu wissen

Das Navigieren mit GPS ist fantastisch. Wenn man es einmal kann! Eine Woche Vorbereitungszeit sollte man einplanen, um das Digitalisieren am PC zu erlernen und um alles einzugeben. Routine bekommt man am besten während einiger Probefahrten. Hilfreich sind auch die bereits zahlreich digitalisierten Touren zum Herunterladen (s.u.) Auf jeden Fall sollte man aber noch Fahrradkarten dabei haben. In Verbindung mit GPS ist das eigentlich sicher. Außerdem zeigt die Karte das räumliche Umfeld und das lädt vielleicht auch mal zu netten Abstechern ein.

Links für Routen und Karten: www.lgn.niedersachsen.de oder unter www.geolife.de

Unter www.garmin.de bekommt man einen guten Überblick über deren GPS-Geräteangebot. Das benutzte GPS zeichnet jeden Meter einer Bewegung auf. Gefahrene Touren lassen sich somit auf die digitalen Karten zurückübertragen und man kann seine Tour auf den Meter genau auf diesen Karten darstellen.

   
 

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