Magazin 2/2006

Der Fall Susanne Koch

In der Schweiz musste sich ein siebenjähriges Mädchen vor Gericht verantworten, weil es auf dem Zebrastreifen angefahren wurde. Nach deutschem Recht wäre das nicht möglich.

Foto: MEDIA-N/N. Novak

Überraschendes Betreten eines Fußgängerüberwegs – so lautete das angebliche Vergehen der Susanne Koch aus Schaffhausen in der Schweiz. Das damals siebenjährige Mädchen war im August 2004 auf dem Zebrastreifen von einem Auto erfasst und verletzt worden, als es hinter einem Bus die Straße überquerte. Das Kind sei plötzlich auf die Fahrbahn gerannt, sagte der Autofahrer nach dem Unfall aus. Der Mann wurde freigesprochen, das Mädchen verklagt.

Im Februar dieses Jahres urteilte der Jugendrichter, dass Susanne keine Straftat begangen, sondern den zum Zeitpunkt des Unfalls nur provisorisch markierten Fußgängerüberweg völlig regelkonform betreten habe. Da der Bus ihr die Sicht versperrte, nahm sie das Auto erst wahr, als sie schon auf dem Zebrastreifen stand. Vor Schreck lief sie los. Das Kind sei nicht zu belangen, da es in der Situation überfordert gewesen sei, lautete das Urteil. Hinzu kam, dass der Autofahrer mit etwa 40 km/h unterwegs war – zu schnell in der Umgebung einer Haltestelle, an der Kinder aus dem Bus stiegen. Bei angemessener Geschwindigkeit hätte der Mann vermutlich rechtzeitig bremsen können.

Der Fall Susanne Koch schlug in der Schweiz hohe Wellen. Zahlreiche Medien berichteten, die Vertreterin der Jugendanwaltschaft sah sich heftigen Angriffen ausgesetzt. In der Schweiz ist es zwar tatsächlich möglich, Kinder ab dem siebten Lebensjahr bei einem Verkehrsunfall strafrechtlich zu belangen. „Doch das wird kaum praktiziert“, erklärt Marco Hüttenmoser, Leiter der Dokumentationsstelle „Kind und Umwelt“ in der Schweiz. „Meist führt die Jugendstaatsanwaltschaft mit dem Kind ein Gespräch. Danach wird es mit einigen Ermahnungen wieder entlassen.“

Im Fall Susanne bestanden Eltern, Verteidigung und das Mädchen darauf, dass es sich nicht regelwidrig verhalten habe – und bekamen Recht. Der Schweizer Gesetzgeber zog Konsequenzen: Er will die Altersgrenze, ab der ein Kind für einen Verkehrsunfall zur Rechenschaft gezogen werden kann, auf zehn Jahre anheben.

In Deutschland geschah das bereits im August 2002, als ein neues Schadensersatzrecht in Kraft trat. Danach sind Kinder unter zehn Jahren bei einem Unfall mit einem motorisierten – nicht parkendem – Fahrzeug nicht haftbar. Vorher lag die Altersgrenze bei sieben Jahren. Im Unterschied zur Schweiz können hierzulande Kinder bis 14 für einen Fehler im Straßenverkehr nicht strafrechtlich belangt werden. Es geht ausschließlich um zivilrechtliche Ansprüche wie Schadensersatz oder Schmerzensgeld. Die Anhebung der Altersgrenze auf lediglich zehn Jahre ist bei Experten umstritten. „Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass Kinder erst jenseits der zehn voll zur Verantwortung zu ziehen sind“, sagt Martin Delank, Fachanwalt für Verkehrsrecht aus Wildeshausen. Er setzte sich für den VCD auf dem Verkehrsgerichtstag 2002 in Goslar dafür ein, die Haftungsgrenze auf 14 Jahre zu erhöhen, entsprechend den Bestimmungen im Strafrecht. Diese Position machte sich das Verkehrsministerium bisher allerdings nicht zu eigen.

Kirsten Lange

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