Titel 1/2006

LÄNGSTE PIPELINE DER WELT

Schwarzes Gold und Petrodollars

Im Frühjahr sollen die letzten Abschnitte der BTC-Pipeline fertig gestellt werden. Die 1800 Kilometer lange Ölröhre aus der Kaspischen See an die Mittelmeerküste soll den Westen unabhängiger vom arabischen Öl machen. Doch das Drei-Milliarden-Dollar-Projekt ist nicht unumstritten. Die BTC verläuft durch ökologisch sensible Regionen und erdrutschgefährdete Bereiche.

Foto: Timo Vogt
Technik der Superlative: Mehr als einen Meter Durchmesser misst die
Pipeline in Georgien.

Der bullige Schotte Bill Craig freut sich schon, dass es bald losgehen soll. Seit 17 Jahren ist er für das Energieunternehmen BP im Namen des Öls in aller Welt unterwegs. Hier in der gut bewachten Pumpstation1 nahe der ostgeorgischen Trabantenstadt Rustawi kommt die BTC in der baumlosen Steppe ans Tageslicht. Bill Craig tätschelt die im Durchmesser über einen Meter messende Pipeline wie eine alte Bekannte, für deren Namen die Städte Baku, Tiflis und Ceyhan entlang des Weges durch den Kaukasus und Ostanatolien Pate standen. Acht Pumpstationen sollen bald dafür sorgen, dass das in der Kaspischen See geförderte Rohöl den Tanker-Verladeterminal im türkischen Ceyhan erreicht. 1760 Kilometer muss das schwarze Gold durch drei Länder zurücklegen und benötigt dafür zwei Wochen – wenn alles gut geht.

400 Kilometer östlich weht mit dem Wind des Kaspischen Meeres ein beißender Geruch über die sich rasant ausdehnende Metropole Baku. Der Ölgeruch prägt die Stadt genauso wie die neuen hohen Büro- und Wohngebäude oder die schweren Luxus-Jeeps auf den Straßen. Die Hauptstadt Aserbaidschans lebt seit über 100 Jahren vom Öl. Doch mit dem Abschluss des „Jahrhundertvertrages“ vor zehn Jahren begann ein neuer Boom. Die postsowjetische Republik öffnete sich damals für westliche Ölkonzerne und ging mit ihnen eine Allianz ein. Diese sprach den Firmen Förderrechte zu und sicherte der despotischen und korrupten Regierungsclique um die Alijew-Familie Einnahmen für den Machterhalt. Aserbaidschan ist nicht Mitglied der OPEC und deshalb auch nicht an die Preise dieser Organisation gebunden. Dieser Umstand macht das kaspische Öl für westliche Multikonzerne aus Europa und den USA interessant. Hundert Kilometer vor der Küste Bakus gelegen werden im Meeresboden fünfeinhalb Milliarden Barrel Erdöl vermutet. In der See über dem Azeri-Chirag-Gunashli Ölfeld (ACG) ankern riesige Bohr- und Förderplattformen. Im April letzten Jahres begann eine dieser Plattformen damit, das erste Öl für die BTC ans Festland zu pumpen und die großen weißen Tanks des Exportterminals Sangachal südlich der Hauptstadt Baku zu füllen. Wenig später wurden die ersten Abschnitte der Pipeline feierlich in Betrieb genommen.

Die Superröhre bricht das russische Transportmonopol

Bei der Streckenführung der BTC setzten sich die USA gegen Russland durch und sicherten damit ihren Einfluss in der Region. Der Kaukasus ist ein strategisch wichtiger Stützpunkt für die USA. Von hier aus kann schnell ein Zugang zu weiteren kasachischen Ölvorkommen geschaffen werden. Die US-Militärpräsenz fungiert als Schutzmacht in der Region gegen Russland und als Zementierung der geopolitischen Ansprüche im Hinblick auf den Iran und Zentralasien. Seit Jahren schon bilden US-Militärs die georgische Armee aus. Wirtschaftlichere und kürzere Trassen für die seit einem Jahrzehnt geplante Pipeline von Aserbaidschan nach Westen wurden schnell verworfen. Die von den USA gestellten Bedingungen waren eindeutig. Keine Streckenführung über das Territorium Russlands, des Irans oder Armeniens. Zu groß war die Befürchtung, die Pipeline könnte zum Druckmittel in zukünftigen Konflikten der Weltpolitik werden und jene Staaten könnten die Ölhähne zudrehen. Die nun fast fertig gestellte BTC-Pipeline liegt im Grund und Boden von Staaten, die man auf seiner Seite wähnt.

Foto: Timo Vogt
Risse in der Wand: Eines der vielen von Erdrutschen beschädigten Häuser im georgischen Bergdorf Dgvari, wo trotz aller Proteste die Pipeline vergraben wurde.

Ölpipeline streift den georgischen Nationalpark

Bedenken vor den Umweltgefahren der BTC hat Kacha Torlodawa, Sprecher der Umweltorganisation WWF in der georgischen Haupstadt Tiflis. Der WWF betreibt den Borjomi-Kharagauli Nationalpark im Südwes-ten des Landes. Der Nationalpark umfasst über ein Prozent des Staatsgebietes der Kaukasusrepublik und soll zur Erhaltung einzigartiger Tiere und Pflanzen der Region um den westgeorgischen Kurort Borjomi beitragen. Die BTC wurde durch die sogenannte Pufferzone um das Schutzgebiet verlegt. Zwar schließt Torlodawa direkte Auswirkungen der Pipeline auf den Park aus, denn zwischen der Ölleitung und der Parkgrenze liegen mehrere Kilometer. Schlimmer sei jedoch, dass die BTC oberhalb des Städtchens Borjomi in einem stark erdrutschgefährdeten und seismisch aktiven Gebiet gebaut worden sei und sie den Borjumula Fluss quere. Ein Leck in der Röhre in Flussnähe könne eine Katastrophe auslösen. „Was nutzt es uns, wenn BP zusichert, der Ölfluss durch die BTC könne im Schadensfall innerhalb von zehn Minuten abgestellt werden?“, fragt Kacha Torlodawa, „tausende Gallonen Öl wären dann schon im Fluss und würden das einzigartige Borjomi-Tal verseuchen.“ Unter Volllast kann die Pipeline bis zu einer Million Barrel am Tag exportieren. In jeder Sekunde würden so zukünftig rund 1185 Liter Öl durch die Leitung strömen.

Der georgische Staat wird mit dem Pipelinebetrieb jährlich viele Millionen Dollar Transitgebühren einnehmen. Doch die Region um Borjomi lebt von ihrem Ruf in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Und eben jenes Image des Kurortes, in dem schon frühere Zaren und Dikatoren entspannten, steht mit dem Betrieb der BTC auf dem Spiel.

Seit hundert Jahren wird in Borjomi Wasser abgefüllt. In der Sowjetunion war das als besonders gesund geltende Wasser aus Georgien bekannt und noch heute gehen 90 Prozent der Produktion nach Russland. Die Jahresproduktion der Georgian Glass und Mineral Water Company (GG&MW) steigt zusehens. Im Jahr 2004 waren es schon stolze 40 Millionen produzierte Flaschen. Die GG&MW wurde in den 1990ern mit Hilfe der Weltbank wieder aufgebaut. Der damals marode Betrieb arbeitet heute wirtschaftlich und hat Entwicklungspotenzial. So viel, dass Danone in die GG&MW investieren wollte. Doch als die Pipelinepläne offenbar wurden, zog sich der französische Konzern wieder zurück. Zu heikel schien wohl das Geschäft mit Wasservorkommen zu sein, über denen eine Erdölleitung mit den Dimensionen der BTC gebaut werden sollte.

Ölkonzerne investieren in die Infrastruktur

In der südgeorgischen Stadt Tsalka freuen sich die Menschen über die Ölleitung. Auf einem Hügel vor der Stadt lagern die schwarzen Rohre mehrere Meter hoch gestapelt. Ein Bagger belädt die Trucks einer deutschen Spezialfirma mit den tonnenschweren Rohrelementen. Die Pipeline verläuft hier einige Kilometer nördlich am Ufer eines großen Sees, der als Trinkwasserreservoir für die 50 Kilometer entfernte Hauptstadt Tiflis dient. Mit der Pipeline kamen 200 Jobs in die Stadt. Fahrer und Hilfsarbeiter wurden unter den Georgiern rekrutiert. Angestellt mit Zweimonatsverträgen verdienen sie in der Pipeline-Bauphase ein vielfaches des landesüblichen Lohns. BP bringt auch neue Asphaltdecken und Ausländer, die in den kleinen Geschäften Geld ausgeben.

Tsiala Khvintelani strahlt über ihr rundes Gesicht, wenn sie erzählt, wie BP ihre Schule unterstützt hat. Die Schuldirektorin kam vor acht Jahren nach Tsalka und übernahm den Dienst in einer der zwei Schulen der Stadt. Vor zwei Jahren erschien BP und finanzierte mit dem „Improved Schools Project“ eine Grundrenovierung der Schule. Neben neuen Toiletten und Öfen wurde eine Solaranlage installiert, die die Stromversorgung des ebenfalls neuen Internetcafés in der Schule sicherstellt. Große Augen bekommen die Schüler, wenn sie an den zehn nagelneuen Rechnern arbeiten dürfen. „BP hat uns auch einige Monate lang Zuschüsse auf unsere Lehrergehälter gezahlt,“ berichtet Tsiala, „und sie haben uns versprochen, auch weiterhin in Tsalka zu investieren.“ Insgesamt investiert BP drei Millionen Dollar entlang der rund 250 Kilometer langen georgischen Sektion der BTC-Pipeline in die Infrastruktur von Schulen.

Investitionen erhofft man sich im Bergdorf Dgvari nicht mehr. Die 600-Seelen-Gemeinde schmiegt sich an den Nordhang des Berg Oschara, der 2600 Meter hoch aufragt. Acker- und Weideland in kleinen Rechtecken umrahmt den Ort im Südwes-ten Georgiens, im Kleinen Kaukasus. Doch die Idylle trügt. Das Drama begann vor 35 Jahren. Damals wurde der Ort mit seinen in ärmlichen Verhältnissen lebenden Bewohnern zum ersten Mal von einem Erdrutsch erschüttert. Seitdem ist der Abhang des Oschara nicht mehr zur Ruhe gekommen. Unentwegt rutscht das Land hinab ins Tal. Und alle Menschen, Häuser und Wege rutschen langsam mit.

Foto: Timo Vogt
Sonnen im Schatten des Öls: Am Strand von Baku liegen Touristen in der Frühlingssonne, während am Horizont die neuen Bohrplattformen das Öl aus dem Grund des Kaspischen Meers pumpen.

Sicherheitsrisiken werden in Kauf genommen

Tamara Gogoladze zeigt auf ihr Haus – oder das, was davon noch steht. Zwei weggebrochene Mauern haben das Wohnzimmer freigelegt. Eine blaue Plane und einige Bretter sollen diese offene Wunde notdürftig vor den Einflüssen des rauhen Wetters schützen. Stützen halten die Decke, damit sie nicht auch noch in sich zusammenfällt. „Alles ist kaputt und ich bin allein mit all dem hier“, klagt die 84-jährige Frau.

Der langsame, aber stetige Erdrutsch hat kein Haus in Dgvari verschont. Im Sommer 2003 kamen dann plötzlich Bagger. Da erst erfuhren die Bewohner, dass oberhalb ihres Dorfes die BTC-Pipeline im talwärts gleitenden Erdreich vergraben werden soll. Die Angst der Bewohner vor einer Zunahme der Erdbewegung und damit einhergehenden Zerstörung Dgvaris durch die Bauarbeiten an der Pipeline seien durch BP vom Tisch gefegt worden. Verzweifelt blockierten die Bewohner die Baustelle vier Tage lang. Daraufhin habe BP eine Zahlung von zwei Millionen Dollar an die georgische Regierung geleistet, damit diese sich dem Problem Dgvari annähme.

Als wäre es ihre letzte Hoffnung, klammern sich die Menschen Dgvaris an eine vage Aussage der Regierung, sie zu entschädigen. Mit dem Geld könnten sie sich an einem anderen Ort eine neue Existenz aufbauen, erklärt der Kleinbauer Besik Gogoladze. „Doch ich habe große Angst, dass wir wegen der in Georgien grassierenden Korruption leer ausgehen könnten“, sagt er bitter.

In der Pumpstation PSG 1 brüllt Ölarbeiter Bill Craig laut in sein Handy: „Was, verdammt noch mal, sollen diese verfluchten Sirenen?“ Er schreit, um gegen den plötzlich ausgelösten schrillen Gasalarm in der großen Anlage anzukommen. Auf dem Gelände selbst sind keine Reaktionen festzustellen. Keiner der überwiegend indischen Arbeiter legt sein Werkzeug aus der Hand und rennt davon, um sich zu retten. Es ist Bill sichtlich peinlich, weiß er doch, dass der verdutzte Besucher nur nach einer strengen Unterweisung in Arbeitsschutzbestimmungen diese Pumpstation betreten durfte. Jeder Besucher wird deutlich angewiesen, Arbeiter umgehend zu denunzieren, die offensichtlich Schutzvorschriften verletzen. Auch wird klargestellt, dass bei Alarm das Gelände schnellstmöglich zu verlassen sei, denn Sicherheit werde selbstverständlich sehr groß geschrieben bei diesem BTC-Pipeline-Projekt durch den Kaukasus ans Mittelmeer.

Timo Vogt

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