Titel 1/2006

INTERVIEW

67 Dollar Schutzgeld pro Ölfass

Die momentanen Ölpreise lassen den knappen Rohstoff immer noch viel zu billig erscheinen. Friedemann Müller, Leiter der Forschungsgruppe Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, fordert die Politik auf, umzusteuern.

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fairkehr: Wie sicher ist die Ölversorgung in der Zukunft?
Müller: Sehr unsicher. Das liegt an drei langfristigen Trends: 62 Prozent der Ölreserven liegen in der Golfregion. In den Hauptverbraucherländern geht die Produktion zurück und China und Indien steigen massiv in den Markt ein.
fairkehr: Ist deren Markteintritt auch für die hohen Preise verantwortlich?
Müller: Das ist der eine Faktor. Immerhin hatte China allein im letzten Jahr einen Anteil von 35 Prozent am Wachstum des Ölverbrauchs. Indien hinkt in der Entwicklung fünf bis zehn Jahre hinterher. Ein zweiter wesentlicher Faktor ist, dass die großen Ölförderländer Russland, Saudi Arabien und Iran kaum ausländische Investitionen zulassen. Dadurch fördern sie weniger Öl, als sie könnten. Das schadet ihnen aber nicht. Im Gegenteil: Wenn sie weniger produzieren, verdienen sie mehr.
fairkehr: Was macht der hohe Ölpreis mit Industrieländern wie Deutschland?
Müller: Die Industrieländer haben kaum Probleme, die Preissteigerungen zu verkraften. In Deutschland machten die Ölimporte im vergangenen Jahr gerade mal zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Die Achillesferse der Industriestaaten ist der Verkehr. Ein wachsender Anteil des teuer importierten Öls geht durch den Auspuff. Da die Mobilität und damit auch der Transport von Waren und Menschen zu fast 100 Prozent mit Öl funktioniert, sind die Industrieländer hier am stärksten gefährdet. Es müssen schnell Alternativen her, damit die Abhängigkeit geringer wird.
fairkehr: In Entwicklungsländern sind die Auswirkungen schon aktuell gravierender?
Müller: In ölproduzierenden Entwicklungsländern wirkt der Reichtum unterschiedlich. In Aserbaidschan und Kasachs-tan hat der hohe Ölpreis einen regelrechten Boom ausgelöst. In Nigeria führt der Streit verschiedener korrupter Gruppierungen geradewegs ins Desaster. Für ölbedürftige Länder ist der hohe Preis dagegen fatal. Kenia musste 2004 rund 400 Millionen Dollar mehr für Öl bezahlen. Das ist ziemlich exakt die Summe, die das Land an westlicher Entwicklungshilfe im gleichen Jahr erhalten hat.
fairkehr: Herrscht dort, wo es Öl gibt, mehr Gewalt und Krieg als anderswo?
Müller: Die hohe Militärpräsenz der US-Amerikaner im Golf ist ganz sicher ölbedingt. Das Rocky Mountain Institute hat für das Jahr 2000 – also vor dem 11. September 2001 und vor dem zweiten Golfkrieg – eine interessante Zahl errechnet. Die militärische Präsenz der US-Amerikaner am Golf, die Flugzeugträger, Schiffe und Militärbasen verschlingen Unsummen. Umgerechnet gaben die USA schon im Jahr 2000 für jedes Fass Öl aus der Golfregion 67 Dollar allein an militärischen Kosten aus. Diese Kosten müssten den Ölpreis entsprechend erhöhen.
fairkehr: Steigt die Kriegsgefahr, wenn das Öl knapper wird?
Müller: In der Golfregion steigt die Nervosität. China will seine eigenen Wege zum Öl sichern. Aber die besten Plätze sind von den USA besetzt. Mit einer Ausnahme: Iran. Die Chinesen könnten vom Iran aus sogar eine eigene Pipeline bauen. Deshalb wird China im UN-Sicherheitsrat keinen Beschluss gegen den Iran mittragen.
fairkehr: Was raten Sie der Bundesregierung? Wie sähe der Weg zu einer nachhaltigen Energiepolitik aus?
Müller: Drei Worte: Weg vom Öl. Eine Energiepolitik, die einfach so weitermacht wie bisher, führt unweigerlich in die Katastrophe. Wir müssen Alternativen zum Öl vor allem im Verkehr finden. Wir hätten auch Chancen dazu, wenn die Politik das Thema hoch genug auf die Agenda setzen würde.
fairkehr: Womit werden wir im Jahr 2050 heizen und Auto fahren?
Müller: Sicher nicht mehr mit Öl. Wenn die G8, die wichtigsten Industriestaaten, beispielsweise beschließen würden, dass ab 2025 keine ölbetriebenen Motoren mehr zugelassen sind, dann wäre das doch das Aufbruchsignal für die Autoindustrie. Leider wird die Diskussion bisher nicht in der Breite und Komplexität eröffnet, wie es notwendig wäre.
fairkehr: Die Lösung muss aber von der Politik kommen.
Müller: Ja, sicher. So verzerrt wie der Ölmarkt ist, funktioniert kein Marktmechanismus mehr. Horrende externe Kosten, die nicht zugerechnet werden, ein nach wie vor starkes Opec-Kartell. Von dort kommt kein steuernder Impuls. Da ist unbedingt die Politik gefragt.

Interview: Michael Adler

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