Reise 1/2006

Kirgisistan

Faszination Seidenstraße

Der zentralasiatische Staat Kirgisistan an der legendären Seidenstraße ist eine Region mit beeindruckender Naturvielfalt: Es gibt Steinwüsten und Obstgärten, tief eingeschnittene Täler und saftig grüne Hochplateaus, bewaldete Gebirgslandschaften und hochalpine vergletscherte Zonen. Schon die Anreise per Bahn ist ein Abenteuer.

Foto: Benedikt Bisping

Pferde und Kamele auf Du und Du – in der zentralasiatischen Steppe ein vertrauter Anblick.

Frisch geputzt stehen die Waggons im Moskauer Kasanskaja Bahnhof, bereit für die 4000 Kilometer lange Fahrt nach Zentralasien. 2500 Kilometer haben wir schon hinter uns: Von Nürnberg sind wir über Wien in die russische Hauptstadt gefahren. Unser Ziel: die historische Seidenstraße, ein Netz von Karawanen-Wegen, über das ab 115 v. Chr. Waren aus China, wie Gewürze, Seide, Glas und Porzellan, nach Europa gebracht wurden.

Bereits am Bahnsteig in Moskau ist orientalisches Flair zu verspüren: Alles steht voller Kisten, ganze Familien und Freundeskreise sind gekommen, um ihre Lieben zu verabschieden, die sich auf die Rückreise in ihre zentralasiatische Heimat machen. Die typisch russischen Vier-Bett-Abteile werden unser Zuhause für die nächsten drei Tage. Der Zug setzt sich langsam in Bewegung, die grellen Lichter der Metropole Moskau verblassen. Nächstes Ziel: die Stadt Lugovaya in Kasachstan. Von dort aus geht es weiter bis an die Grenze zu Kirgisistan.

Kamelhaarsocken bei gleißender Hitze

An den größeren Bahnhöfen hält der Zug zehn oder zwanzig Minuten. Diese Gelegenheit ergreifen fast alle Passagiere, um sich die Beine zu vertreten und sich mit frischen Lebensmitteln einzudecken, die von fliegenden Händlern angeboten werden. Der Verkauf findet auch im Zug statt: Die Händler nutzen Teilstrecken, um den Reisenden ihre Ware anzubieten. Für uns ist das ungewohnt, manchmal fühlen wir uns wie in einem fahrenden orientalischen Basar. Handgestrickte Kamelhaarsocken oder Nierenwärmer finden allerdings bei 35 Grad im Schatten keinen reißenden Absatz.

Während der Fahrt blicken wir stundenlang zum Fenster hinaus. Die unendliche Weite der kasachischen Grassteppe zieht uns in ihren Bann. Bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen gibt es immer wieder Neues zu entdecken, und schließlich möchte niemand die ersten Kamele verpassen.

In Kirgisistan angekommen, führt uns unsere Rundreise auf den Wegen der Seidenstraße von der Hauptstadt Bishkek über Bergpässe direkt in das UNESCO-Biosphärenreservat Issyk-Kul-See. Der zweitgrößte Bergsee der Welt war jahrzehntelang für westliche Besucher gesperrt. Mit durchschnittlich 2800 Sonnenscheinstunden pro Jahr war der See zu Sowjetzeiten ein beliebtes Ferienziel für sonnenhungrige Parteiobere und Badeurlauber aus den „Bruderstaaten“. Auch sozialistische Olympioniken und aus dem Weltall zurückgekehrte Kosmonauten nutzten das heilsame Höhenklima – die einen zu Trainingszwecken, die anderen zum Akklimatisieren.

Noch höher führt uns unsere Reise hinauf, hinein ins Hochgebirge Tien Schan, ans Ufer des Song-Kul-Sees auf 3000 Metern Höhe. Dort steht ein Camp mit acht Jurten, runden Filzzelten, die das Zuhause der zentralasiatischen Nomaden sind. In einem Raum spielt sich das gesamte Familienleben ab. Zwischen Ende Juni und Anfang September können kleine Gruppen für einige Tage in dem Camp übernachten, das Leben auf den Sommerhochweiden kennen lernen und die Schönheit der Natur genießen. Nur drei Monate sind die Pässe schneefrei, in dieser Zeit werden die saftigen Wiesen des Hochplateaus von den Hirtenfamilien als Weideflächen für Schaf-, Pferde-, Rinder- und Yakherden genutzt.

Fotos: Benedikt Bisping

Leben in Kirgisistan: Hirtenfamilien haben ihre Jurten aufgeschlagen, kirgisische Händler bieten ihre Waren auf dem Basar feil.

Stutenmilch als Gastgetränk

Die Nacht verbringen wir auf einem Edelweißteppich. Die Wiesen sind übersät mit der in Europa selten gewordenen Pflanze. Am nächsten Morgen geht es unter einem nahezu wolkenlosen Himmel zu Fuß los, die nächsten grünen Bergrücken sind das Ziel. Hier oben, fernab von der Zivilisation, sind nur die Geräusche der Natur zu hören: das Rauschen des Windes, das Summen der Insekten und das Getrampel der davongaloppierenden Pferdeherden. In der Ferne am Horizont reihen sich die schneebedeckten Gipfel der Fünf- bis Sechstausender wie eine Perlenkette auf.

In einem breiten Flusstal weidet eine große Pferdeherde, die Stuten und ihre Fohlen sind angebunden. Mehrmals am Tag werden die Stuten gemolken, die Milch wird zum säuerlich schmeckenden kirgisischen Nationalgetränk Kumys verarbeitet. An einer Jurte steht die Gastgeberin bereit, um uns Weitgereiste herzlich zu empfangen. Jeder, der an einer Jurte vorbeikommt, wird eingeladen. In flachen Teeschalen wird uns die gegorene Stutenmilch angeboten. Für unsere mitteleuropäischen Geschmacksnerven ist Kumys gewöhnungsbedürftig. Auch die Hinweise der kirgisischen Begleiterin, wie gesund und nahrhaft die gegorene Stutenmilch ist, überzeugen nur theoretisch.

Beim Anstieg durch kniehohe Blumenwiesen auf einen der mit Gras bewachsenen Hügel fällt uns das Atmen schwer, auf 3200 Metern Höhe ist die Luft dünn. An der Kuppe angelangt, lassen wir unsere Blicke in die Ferne schweifen. Die wunderschöne Hochplateaulandschaft am Song-Kul-See zwischen den Gebirgsketten der Tien- Schan-Gipfel ist ein Bild für die Ewigkeit.

Zurück im Jurtencamp: Die Schatten werden länger, die Sonne verschwindet allmählich hinter dem Horizont. Die ersten Sterne sind am klaren Himmel zu sehen, bald kristallisiert sich die prächtig funkelnde Milchstraße heraus – zum Greifen nah.
Dr. Lydia Hufmann, Kirsten Lange

Weitere Reisetermine: 15.6.–3.7.2006, 5.–25.8.2006. Mehr Infos unter: www.bund-reisen.de

   
 
 

Gebirgsland Kirgisistan

Kirgisistan, auch Kirgisien genannt, ist etwa doppelt so groß wie Österreich und von den Hochgebirgen Tien Schan und Pamir geprägt. Die Gipfel des Tien Schan, auf deutsch „Himmelsberge“, erreichen an der Grenze zu China über 7400 Höhenmeter. Kirgisien legt viel Wert auf eine ökologisch intakte Hochgebirgslandschaft. 20 Prozent der Staatsfläche sind unter Schutz gestellt. Das nationale Biosphärenreservat umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Naturräume und schließt den zweitgrößten Hochgebirgssee der Welt mit ein, den Issyk-Kul-See auf 1600 Metern.

 

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