Titel 6/2005

Getrennte Familie

Allein in München

Faramarz Radfar (51) aus Leubsdorf am Rhein muss jede Woche für vier Tage nach München, wo sein Schreibtisch steht. Seine Lebensgefährtin und der gemeinsame Sohn bleiben die Woche über allein zurück.

Foto: www.marcusgloger.de
Bitte zurückbleiben: Faramaz Radfar auf dem Weg nach München. Lebesgefährtin Martina Wiesmann und Sohn Pouyan leben die Woche über vom Vater getrennt.

Seine drei Wurst- oder Käsebrote für unterwegs schmiert er am Vorabend, denn morgens bleibt kaum Zeit. Um 4.30 Uhr klingelt der Wecker von Faramarz Radfar – dann kommt es auf die Minute an. Die Regionalbahn von Leubsdorf am Rhein nach Koblenz fährt um 4.50 Uhr, und 20 Minuten für Morgenwäsche, Anziehen, Zähneputzen und den fünfminütigen Fußweg zum Haltepunkt sind nicht allzu viel. Zum Glück ist so früh am Tag noch wenig los auf Deutschlands Bahnstrecken und der Zug deshalb „ziemlich pünktlich“, sagt Radfar.

Viel schief gehen darf auf dem sechsstündigen Weg zur Arbeit in München nicht – schon in Koblenz bleiben nur fünf Minuten zum Umsteigen in den Intercity zum Frankfurter Flughafen-Bahnhof, wo Radfar noch einmal die Pferde wechseln muss: Von dort geht es mit dem ICE nach Süden in Bayerns Hauptstadt, wo der Schreibtisch des Iraners mit deutschem Pass steht. Wenigstens auf dieser letzten Etappe kann er beruhigt ein Nickerchen einlegen, ohne fürchten zu müssen, das Umsteigen zu verschlafen.

Der hochgewachsene 51-Jährige hat bis zu seiner Ausreise aus dem Iran 1985 dort als Chemie-Ingenieur gearbeitet und später in Dortmund Informatik studiert. Heute arbeitet er als Programmierer bei einer Tochterfirma der British Telecom, freiberuflich und zu einem sehr ordentlichen Tagessatz. Sein Vertrag gilt jeweils nur für drei Monate und muss dann verlängert werden, aber längere Kündigungsfristen haben viele andere Arbeitnehmer in Deutschland auch nicht. Wenn Faramarz Radfar am frühen Dienstagmorgen sein Haus verlässt, schlafen seine Lebensgefährtin Martina Wiesmann (36) und ihr gemeinsamer Sohn Pouyan (7) noch. Abschied wird am Abend vorher genommen. Jeweils freitags so gegen 23 Uhr wird Radfar wieder zu Hause sein. In der Zwischenzeit wohnt er in München in der Wohnung von Martina Wiesmanns Schwester und deren Freund. Das Zimmer kostet ihn 250 Euro und ist spärlich möbliert: ein Schreibtisch und eine Matratze auf dem Boden. „Er ist furchtbar anspruchslos und lebt quasi aus dem Koffer“, sagt Martina Wiesmann. Während sie sich – ganz Frau – auch so einen Unterschlupf „nett einrichten würde“, ist ihr Lebensgefährte mit dem Vorhandenen zufrieden. Er brauche „nur ein Buch zum Lesen“, sagt Radfar.

Seit vier Jahren führt er nun schon sein ungeplantes Leben als Fernpendler. In seinem alten Job in Bonn war er unzufrieden und kündigte. Als Freiberufler begann er auf Dreimonatsbasis in München. Natürlich war da die Hoffnung, dass aus der freien eine feste Stelle werden könnte. Dann hätten sie die gerade erstandene Immobilie wieder verkauft, und Martina Wiesmann, die in Bad Honnef mit einer halben Stelle als Logopädin arbeitet, wäre mit Pouyan ebenfalls an die Isar gezogen. „Sie würde dort auf jeden Fall einen Job finden“, ist sich Faramarz Radfar sicher. „Und der Freizeitwert Münchens ist riesig und das Umland wunderschön.“ Selbst ohne feste Stelle war diese Option im Gespräch – „doch obwohl ich erst hinziehen wollte, habe ich dann doch einen Rückzieher gemacht“, sagt Martina Wiesmann. Was den Wechsel nach Bayern nicht gerade erleichtert, sind die enorm hohen Immobilienpreise im Münchner Raum. „Die sind für uns unbezahlbar“, sagt Faramarz Radfar. Also bliebe nur das Umland, sofern der Wohnort Bahnanschluss hätte, denn „aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen“ will die kleine Familie kein zweites Auto haben.

Die Pendelei hat die Beziehung aller drei Beteiligter verändert. „So wenig zu Hause zu sein finde ich nicht gut“, sagt Faramarz Radfar. Er vermisst Pouyan, und auch der findet Papas Abwesenheit „doof“. Das Telefon ist kein Ersatz für das, was Vater und Sohn so gerne mögen – Spielen und Herumalbern. „Die beiden haben eine intensive Beziehung“, sagt Martina Wiesmann.

Auf ihren Vorschlag hin konnte ihr Partner in der Firma durchsetzen, nur noch vier Tage in München zu arbeiten; montags erledigt er inzwischen Jobs für sein Unternehmen vom heimischen Computer aus. Das ist schon besser als vorher, weil Radfar so an Montagen für seinen Sohn kochen und zwischendurch mal mit ihm herumtollen kann. „Doch mir gefällt nicht, dass ich so wenig von ihm mitbekomme – was er in der Schule erlebt hat, was ihn sonst so bewegt“, bedauert der Wochenend-Vater.

Kostbares Wochenende

Auch das Zusammenspiel zwischen Pouyans Eltern hat sich gewandelt. „Wir haben früher abends viel unternommen, zum Beispiel einen Tanzkurs absolviert. Das geht jetzt nicht mehr; die Gemeinsamkeiten haben sich klar reduziert“, sagt Faramarz Radfar. Und seine Lebensgefährtin fügt hinzu: „Alles, was unser Kind betrifft, aber auch andere wichtige Dinge besprechen wir am Wochenende – wir telefonieren beide nicht gerne.“

Während viele andere Paare Arbeiten im Haushalt oder den Einkauf samstags erledigen, versucht Martina Wiesmann die wenigen gemeinsamen Tage nicht mit Putzkram und dergleichen zu belasten. Zwei Jugendliche aus der Nachbarschaft, die bei Bedarf auf den Sohn aufpassen, erlauben es dessen Eltern wenigstens, auch samstags oder sonntags mal zusammen auszugehen.

Doch wie alle Wochenend-Partner wissen, kann gerade der Anspruch, die knappe Zeit möglichst intensiv zu nutzen, zu Konflikten führen – und sei es nur, dass Faramarz Radfar zu Hause gerne fernsieht, weil er nur von dort mit seiner Satelliten-Antenne iranische TV-Programme empfangen kann. Seine Partnerin und er sind deshalb froh, dass sie schon seit 1993 zusammen sind. „Würden wir einander erst kurz kennen, wäre alles bestimmt schwieriger“, vermuten beide.

Dennoch spürt Martina Wiesmann „die Sehnsucht, wieder zusammen zu wohnen“. Zwar schätzt sie es durchaus, die Werktage selber organisieren und sich nicht nach ihrem Partner richten zu müssen. „Die Abende kann ich gestalten, wie ich will – Klavier spielen oder Gesangsunterricht nehmen – und muss mich mit niemandem absprechen“, berichtet sie.
Doch der Beziehungsteufel steckt in Details, an die man sich nur schwer gewöhnen kann. So tankt etwa der kleine Pouyan an Wochenenden begierig seine Papa-Batterie auf, wodurch die Mama abgemeldet ist – so weit sogar, dass sie von Pouyan trotz netter Bitten manchmal keinen Gute-Nacht-Kuss mehr bekommt. „Das geht nicht spurlos an mir vorbei“, räumt Martina Wiesmann ein. „Das tut ein bisschen weh.“

Walter Schmidt

 

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