Reise 6/2005

Skiwandern in Karelien

In Finnlands äußerstem Nordosten, an der Grenze zu Russland, können Ski-Langläufer den Wintersport in seiner reinsten Form betreiben: Lautlos gleiten sie durch die verschneite Landschaft, erleben die stille Natur, kommen auf weiten Strecken von Gasthaus zu Gasthaus – und auch schon mal an ihre eigenen Grenzen.

Foto: Archiv

Fast die Hälfte Kareliens wird von Gewässern bedeckt, darunter die beiden größten Seen Europas, Ladoga und Onega. Das übrige Gebiet, das zum größten Teil zu Russland gehört, ist vorwiegend bewaldet.

Wir schnuppern die frische Luft, überlegen, ob wir einen Pullover brauchen oder nicht, und schauen der strahlenden Sonne entgegen. Die Bäume sind noch weiß vom Frost. Nach acht Kilometern Loipe im dick verschneiten Wald laufen wir ins Kirchendorf Valtimo ein. An ein paar Einfamilienhäusern vorbei – und schon sind wir mitten im Zentrum am See. Auf dem Badesteg sind Leute. Im See sprudelt das Wasser, eine Pumpe hält das Eisloch frei. Es schwimmen drei Frauen direkt vor unserer Loipe! Sie lachen uns zu: Ein Bild wie für Touristen gemacht! Minna Murtonen, unsere 35-jährige Führerin aus Nordkarelien, meint, dass es gar nicht so kalt sei, das Wasser hätte immer noch plus vier Grad.

Wir laufen über den weiten See, hier können wir skaten. Unsere Gruppe ist gemischt: Fünf Frauen, vier Männer, der jüngste Läufer ist erst 30 Jahre alt, die Älteste, eine Frau aus Hamburg, zählt schon 65 Jahre und hat die meiste Erfahrung. Heute glitzert der Schnee und der Rückenwind verleiht uns Flügel. In einer halben Stunde sind wir über die Bucht und klettern auf einen Berg. Wir haben einen weiten Blick über die Landschaft, vielleicht dreißig Kilometer weit: vorn ein Bauernhof, dort ein verlassenes Haus, Felder, dahinter nichts als Wälder.

Beim Skating sind die Beine schwer geworden und wir ahnen schon, dass die Muskeln am Abend weh tun werden. Oben machen wir eine Pause, kochen Tee am Lagerfeuer und essen unsere Butterbrote. Das Brennholz knistert. Der Atem geht wunderbar leicht, die Luft riecht nach Harz und Frühling. Hasenspuren laufen kreuz und quer im Gebüsch und Elchspuren überqueren die Loipe im tiefen Schnee. Man sieht nur die Abdrücke ihrer Bäuche. Diese Tiere sehen wir leider nie, aber es ist schön, zu wissen, dass sie hier im Wald wohnen. Die Bären schlafen noch, erzählte der Wirt vom letzten Gasthaus.

Abends in die Sauna

Am Nachmittag, nach sechs Stunden Skilaufen, 27 Kilometern und vielen Pausen erreichen wir unsere nächste Unterkunft. Die Wirtin an der Tür sagt, dass wir in die Sauna gehen können, sobald wir etwas heißen Saft getrunken haben. Ab in die Sauna! – diese wohlige Wärme und Entspannung tut gut. Der Körper verlangt schon danach.

In der Nacht eine klirrende Kälte, wahrscheinlich minus 25 Grad, nach dem Frühstück auf die Loipe. Das Skilaufen macht wieder Spaß, auch wenn wir zuerst noch die Anstrengung von gestern spüren und die Muskeln steif sind. Nach etwa zwei Stunden gleichmäßigen, aber auch anstrengenden Laufens machen wir Rast auf einem Bauernhof. In der Stube sitzen Opa und Oma mit ihren beiden spielenden Enkelinnen. Die Wirtin kocht uns Kaffee und serviert allerlei Leckeres auf ihrem großen Stubentisch. Es ist sehr schön, zu sitzen und zu sehen, wie gemütlich die Leute hier wohnen.

Mit der Dämmerung laufen wir über das Eis zur Rauchsauna. Sie riecht gut, ist schwarz, dunkel, die Wärme ist sanft, unendlich wohltuend, durchdringend, zeitlos, beruhigend. Hier wollen wir nicht nur saunen, heute Abend wollen wir auch ins Eisloch. Noch ein Aufguss, um uns das Rausgehen in die Kälte zu erleichtern. Unsere Leiterin Minna macht es vor. Wir laufen hinaus und tauchen uns mit einem Schrei ins Eisloch. Es kribbelt am ganzen Körper, als wir wieder in der wohlig dunklen Wärme auf der obersten Bank hocken. „Es tut uns doppelt gut, dem Körper sowieso – und der Seele, dass wir es geschafft haben“, sagt Minna.

Der Körper im Takt der Gedanken

Als wir eine lange Strecke über den gefrorenen Pielinen See laufen kommen Zweifel auf, ob er uns trägt. „Der Pielinen friert schon im November zu und taut erst Anfang Mai auf“, beruhigt uns Minna, „das Eis ist mindestens 50 Zentimeter dick. Manchmal steht Wasser auf dem Eis, weil der Fluss auch im Winter Wasser zum See bringt. Aber das heißt nicht, dass unter dem Wasser nicht wieder Eis wäre!“ Der See sieht unheimlich weit aus. Wir können überall laufen: Nebeneinander können wir uns besser unterhalten, hintereinander haben wir etwas Windschatten. Wenn ich das Ufer anschaue, sehe ich, wie schnell wir sind. Sonst haben wir das Gefühl, dass der Horizont gar nicht näher kommt. Der Körper ist im Takt der Gedanken – ein unheimliches Gefühl von Freiheit auf dieser weiten Piste. „Das ist meditatives Skilaufen“, meint Anna aus Hamburg.

Foto: Archiv

Als Erinnerung blieb mir, dass es unendlich schön war. Es war nicht so wichtig, wie das Wetter war oder worüber wir gesprochen haben. Das Schönste war die gleichmäßige Bewegung, das gute Gefühl, sich jeden Tag fitter zu fühlen und es zu sein. Und natürlich die Sauna, das Bier danach und das Bett. „Billig sind die Freuden des Verrückten“, sagt ein finnisches Sprichwort, „halpoja on hullut ilot“.

Liisa Klippel

Diese einwöchige Skitour von Hütte zu Hütte mit Gepäcktransport veranstaltet Äksyt Ämmät, Infos über www.aksytammat.fi oder per e-Mail: aksyt@aksytammat.fi

 

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