Reise 5/2005

Landschaftspflege als Weltkulturerbe

Leben auf drei Stufen

Der Bregenzerwald möchte Weltkulturerbe werden. Den besonderen Schutzstatus, der sonst vor allem Bauwerken, historischen Stadtkernen oder Industrieanlagen vorbehalten ist, möchten die Gemeinden zwischen Bodensee und Lechtaler Alpen für ihre einmalige Methode der Landschaftsnutzung zugesprochen bekommen: die Dreistufenbewirtschaftung.

Foto: Kevin Artho/Au-Schoppernau Tourismus

In den Hochalpen produzieren die Milchbauern ihren einzigartigen Bergkäse.

Hubert Manser ist kein Skifahrer. Obwohl der Himmel tiefblau durch die beschlagenen Scheiben der Sennerei schimmert und draußen der schönste Tiefschnee wartet, wirft der Senner nicht einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Berge. Die Käseproduktion nimmt seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

In drei großen runden Kupferkesseln brodelt die Milch, die die Bauern in aller Früh angeliefert haben, vor sich hin. Dampfschwaden füllen den gefließten Raum. Manser zerrührt mit einem messerscharfen Rechen die Klumpen, die sich in der Milchsuppe bilden, legt Feuerholz unter den Kesseln nach, bereitet die kreisrunden Formen für den Käse vor, überprüft die Leitungen, enteist die eingefrorene Molkeleitung, reinigt jedes Gefäß und jedes Instrument, das er benutzt, sofort unter fließendem Wasser und verkauft nebenher noch kiloschwere Käsescheiben an Hausfrauen und Gastwirte.

Der kräftige, honiggelbe Bregenzerwälder Käse ist eines der Markenzeichen der Region, zu deren touristischen Höhepunkten unter anderem die „KäseStrasse“ gehört. Der Jahrhunderte alten Tradition der Käseproduktion verdankt der Bregenzerwald auch sein spezielles Landschaftsbild. Dreistufenbewirtschaftung nennen die Bergbauern eine fast ausgestorbene Form der Weidekultur, die sich den klimatischen Bedingungen im Gebirge anpasst. Im Winter und Frühjahr sind die Kühe im Tal. Anfang Juni, wenn die Wiesen in den mittleren Lagen schneefrei sind, treiben die Milchbauern ihre Herden auf die sogenannte Vorsäß auf ungefähr 1200 Höhenmetern. Dann schließt Hubert Manser die Sennerei in Rehmen. Dort braucht man ihn dann nicht mehr, denn nun macht jeder Milchbauer seinen Käse selbst oben auf seiner Alpe. Erst im Hochsommer, wenn auch die Nächte auf den Gipfeln frostfrei sind, kommen die Kühe ganz nach oben auf 1700 Meter Höhe, wo die leckersten Kräuter wachsen und der beste, würzigste Bergkäse entsteht.

„Der Bregenzerwald ist eine der ganz wenigen Regionen weltweit, die noch silofreie Milch produzieren“, sagt Anton Wirth, Bürgermeister des Bregenzerwald Örtchens Andelsbuch. Silofrei, das heißt, dass die Tiere kein vergorenes Silofutter bekommen, sondern sich das ganze Jahr über von frischem Gras oder Heu ernähren.

Schön für die Kühe, die nicht in engen Produktionshallen stehen müssen, sondern, wann immer es geht, auf die Weide kommen. Schön für Käsefreunde, denn je frischer und würziger das Futter, um so aromatischer und kräftiger wird der Käse. Und schön fürs Auge, denn die vielen Bergbauernhöfe, die sich wie Spielzeughäuschen die Hänge hinauf ziehen, prägen die Landschaft im Bregenzerwald. Im Sommer liegen sie wie ein Versprechen an den höchsten Bergflanken und locken Wanderer mit einem Glas frischer Buttermilch oder einer Brotzeit mit cremig-jungem Bergkäse. Im Winter sind sie unter einer dicken Schneeschicht versteckt und nur die Dächer, die aus den Schneehügeln herausragen, verraten die Existenz einer Behausung.

Geht es nach den Gemeinden des Bregenzerwaldes, dann soll die einmalige Bewirtschaftungs- und Besiedlungsform von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt werden. Denn sonst, so befürchten die Einheimischen, wird es bald keine Dreistufenbewirtschaftung und keinen Bergkäse mehr geben. Daher tragen die Gemeinden nun alle Unterlagen zusammen, die den Bregenzerwald auszeichnen könnten. 2007 soll die UNESCO über die Zukunft der Region entscheiden.

Immer weniger Milch

Auf einer Tafel in der Rehmener Sennerei vermerkt Hubert Manser jeden Tag mit Kreide die angelieferten Milchmengen. 153 Liter ist an diesem Tag die größte, 17 Liter die kleinste Menge eines Lieferanten. 22 Betriebe mit Milchvieh gibt es noch in der Gemeinde Au, zu der Rehmen gehört. Wer 25 Kühe im Stall hat, gehört hier zu den Großen unter den Milchbauern.

Foto: Au-Schoppernau Tourismus

Kein Skifahrer: Den Senner Hubert Manser zieht es nur im Sommer zum Käse machen in die Berge.

Noch hat Hubert Manser genug zu tun. Der Dampf in dem gekachelten Raum ist inzwischen so dicht, dass der Senner kaum zu sehen ist. Drei Kessel köcheln vor sich hin. Immer wieder schrillt der Temperaturmesser: zu warm, zu kalt! Manser legt Holz nach oder schiebt das Feuer zur Seite. Endlich sprudelt die Käsesuppe per Rohrleitung in die bereit gestellten Formen. Der körnige Frischkäse setzt sich ab, die Molke rinnt aus allen Ritzen. Manser hievt mit elegantem Schwung die Formen auf den benachbarten Arbeitstisch, schrubbt die Kessel und spritzt Tische und Boden ab.

Um zwölf Uhr mittags ist hier Schluss. Erst abends kommen die Bauern mit der frischen Milch. Der Schnee glitzert in der Sonne. Die Haltestelle des Skibusses ist direkt gegenüber. Aber Hubert Manser wird Schürze und Gummistiefel nicht gegen Anorak und Skier tauschen. Er lebt im Rhythmus der Dreistufenwirtschaft: Im Winter bleibt er im Tal. Erst wenn der Schnee abgetaut ist, zieht es ihn mit seinen Tieren hoch in die Berge.

Regine Gwinner

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