Titel 4/2005

Trends auf dem Automarkt

Männerfantasien und Frauenwünsche

Wovon träumen Männer? Und was kaufen Frauen? Und muss man tatsächlich die Tiefenpsychologie bemühen, um zu verstehen, welche Modelle Erfolg haben? ZEIT-Autor Burkhard Straßmann macht sich Gedanken über kuriose Entwicklungen auf dem Automarkt.

Fotos: Marcus Gloger

Und das Goldene Lenkrad 2006 erhält – Tusch! – der Landwind! Stürmischer Beifall, standing ovations. Chinesische Geschäftsleute, die sich geheimnisvoll lächelnd verbeugen.

Und Ratlosigkeit bei Nichteingeweihten. Wie bitte? Landwind? Wer sich nicht sonderlich für Autos interessiert, wird sich die Augen reiben. Es sind aber tatsächlich exotische Newcomer wie der chinesische Geländewagen Jiangling Landwind, die in der depressiven Automobilbranche derzeit für Stimmung sorgen. Und die im kommenden Jahr womöglich ein paar Trophäen abräumen.

In Zeiten, da Hersteller großer Limousinen dem Käufer umgerechnet einen Kleinwagen dazu schenken müssen, um überhaupt noch Umsatz zu machen, ist schon sensationell, was der holländische Rennfahrer und Jungunternehmer Peter Bijvelds geschafft hat: Dem Europa-Importeur des Landwindes rennen die Leute die Bude ein. Was bei Bijvelds auf den Hof kommt, ist schon verkauft. Verwöhnte Motorjournalisten, die ein Neufahrzeug gerne zwei bis vier Wochen lang testen, dürfen sich mal ein Stündchen in den Jeepersatz setzen. Und warum verkaufen sich die anachronistischen Kolosse, die äußerlich an den betagten Opel Frontera erinnern und nur mäßig verarbeitet sind, wie warme Semmeln? Weil der Landwind in sich zwei Megatrends vereint: den Trend zum Geländewagen. Und den Trend zum Billigauto. Mit knapp 17000 Euro liegt der „Billigheimer“ (Stern) fünfstellig unter der Konkurrenz.

Hauptsache billig und riesig

Trends im Automobilbau – das hieß jahrzehntelang immer nur: männlich-markant, sportlich-rasant, Vorsprung durch Technik und Freude am Fahren. Historisch ein wenig später standen Spritzigkeit oder eingebaute Fungarantie hoch im Kurs. Und seit der ersten Ölkrise und dem Aufschwung der Grünen redet man auch über Spritverbrauch, Abgas, die Umwelt. Der Neuwagenkauf, traditionell das Ergebnis einer Bauchentscheidung, schien öfter auch mal den Kopf zu beschäftigen. Und nun das: Hauptsache billig. Hauptsache riesig. Gern martialisch. Spritverbrauch egal.

In auffälliger Analogie zur gesellschaftlichen Entwicklung geht der Trend auch beim Fahrzeugkauf zum Einigeln, Gürtel-enger-Schnallen und sich Durchschlagen. Autos müssen Sicherheit vermitteln, Geborgenheit, vielleicht sogar Wohnzimmergefühle. Dagegen Öko? Das war einmal. Schnee von gestern. Wenn nicht gerade Stau ist, wird geheizt, was das Zeug hält. Wo schon die Kompakt- oder Golfklasse weit über 180 km/h fahren kann (und fährt), wirken Begriffe wie „Richtgeschwindigkeit 130“ und die alten Aufkleber „Freiwillig 100“ wie Erinnerungen an die Postkutschenzeit. Die beiden Dreiliterautos aus dem Volkswagen-Konzern sind aus dem Sortiment geflogen: zu teuer, kein Bedarf. Alternativantriebe, Solarmobile etc.: Eine bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpfte Branche.

Umwelt ohne Relevanz

„Das Thema Umwelt kommt nicht zur Sprache – es hat keine Relevanz mehr.“ Das konstatiert trocken die soeben erschienene „Mobilitätsstudie 2005“ von Aral. In einer „qualitativen Untersuchung zu Auto und Verkehr“ hat das Marktforschungsinstitut Rheingold in Tiefeninterviews festgestellt: „Es gibt kein schlechtes Gewissen mehr.“ Die Ökobewegung der saturierten 70er Jahre, „analog zum christlichen Fasten nach Völlerei“ entstanden, repräsentiere eine Art selbstauferlegter Sühne. Heute dagegen, in Zeiten der Knappheit, des Stillstands, der zurückgenommenen Wünsche bestehe „wenig bis gar kein Bedürfnis nach persönlicher Sühne.“ Ökosteuer und die hohen Spritkosten sind schon Strafe genug. Und umweltgerechtes Handeln ist nur dann noch interessant, wenn es sich rechnet, also bares Geld spart.

Böse Worte, statistisch abgesichert. Doch ist Geiz tatsächlich geiler als Öko? Während der Landwind gerade erst auf dem Markt ist und Aussagen über seine Marktchancen noch etwas spekulativ sind, fährt ein anderes Billigauto längst auf der Sonnenseite des Marktes. Der Dacia Logan wird in der Presse zwar abwechselnd als Aldiauto oder Hartzmobil verspottet. Er „sieht aus wie ein zusammengeschobener Ford Escort“ (ZEIT) und schneidet beim Crash-Test „sehr schlecht“ (Auto Bild) ab. Nebenbei ist er „schmutzig“ (taz), schluckt kräftig Benzin und kommt mit der ab 2006 nicht mehr akzeptierten Schadstoffnorm Euro 3 daher. Und doch ist der Logan in aller Munde und verkauft sich quasi ohne Werbung. Die in Rumänien von billigen Arbeitern statt von teuren Robotern zusammengeschweißte Familienkutsche ist weder hip noch cool, nicht schick, nicht schnell, nicht stark, sie taugt weder zum Träumen noch verschafft sie ihrem Fahrer Persönlichkeit. Ein Dacia Logan ist bloß ein Auto. Seine Referenz: der französische Mutterkonzern Renault. Seine Daseinsberechtigung: 7200 Euro Grundpreis. Für das Geld bekommt man bei der Konkurrenz einen halben Golf oder einen Drittel 3er BMW. Bei Porsche gibt es dafür einen Satz Keramikbremsen.

Der zweite Trend zum großen, gar gewaltigen Auto, der von den USA ausging und dort fast das gesamte Marktgeschehen bestimmt, hat sich inzwischen auch hierzulande etabliert. Geländefahrzeuge, die nie eine Grasnarbe berühren werden, SUV (Kleinlaster mit Tennisschlägern drin) und die kleinen Großraumfahrzeuge namens Van schaffen vor allem eins: Wohnraum auf Achse. Deutschland ist Stauland. 1000 Kilometer Stau addieren sich an Spitzentagen. Wer aber jeden Morgen und jeden Abend und erst recht im Urlaub im Stau steht, hat zwei Möglichkeiten: Er kann sich ununterbrochen aufregen, sich Magengeschwüre einfangen und auf den Herzinfarkt warten – oder umdenken.

Letzteres geschieht tatsächlich. Zwar ist der Stausüchtige, der wissentlich in die schlimmsten Ferienendstaus hineinfährt, eine Medienerfindung. Stattdessen begegnet man im Stau aber zunehmend einem neuen Typus des Autofahrers: dem relaxten Stauexperten. Man kann es bei den Berufspendlern beobachten: Sie haben sich längst im Stau als Normalzustand eingerichtet. Er ist völlig selbstverständlich ins Leben integriert. Eine der Konsequenzen formuliert die Aral-Mobilitätsstudie provozierend so: „Fahren an sich rückt in den Hintergrund. Das Drumherum wird wichtiger.“

Für immer mehr Menschen ist das Auto heute mithin „Basislager für individuelle Ansprüche“. Man kann auch sagen: rollendes Zuhause, Wohnzimmer, ja Teil der Intimsphäre. Hier ist man (endlich) allein, kann so laut, wie man will, Musik hören, rauchen ohne Schimpfe, bei abgeschaltetem Handy sogar ungestört dösen. Hier wird gegessen und getrunken (Cupholder!), im Handschuhfach liegt das Schminkzeug, im Kofferraum das Sportzeug. „Mobiles Cocooning“ nennen Trendforscher wie Matthias Horx das Einspinnen ins Auto, den letzten Schutzraum in einer feindlichen Umwelt, in der nicht einmal die eigene Wohnung sicher ist. Den Gedanken greift VW in einer Anzeigenkampagne auf. „Der neue Polo. Beruhigend sicher.“ Der Text verweist auf Sicherheitsfeatures wie ABS und Airbags. Der Subtext dagegen sagt: In diesem Auto kann dir niemand was. Keine Dampfwalze. Keine Rockerbande. Kein Monstertruck. Hier bist du ganz bei dir.

Die VW-Anzeige ist eine Art Ausreißer. Die Reaktion der Automobilindustrie auf die veränderten Bedürfnisse der Kundschaft ist nämlich ansonsten erstaunlich konservativ. Zwar wachsen beinahe alle Pkw zumindest in die Höhe. Zwar lassen sich die Inneneinrichter als Regal- und Schrankersatz zahllose Ablage- und Verstaumöglichkeiten einfallen – der Citroën C8 bietet sage und schreibe 56 Ablagemöglichkeiten! Zierleisten mit Holzanmutung sollen Gemütlichkeit erzeugen, und zu den beliebtesten Posten auf der Zubehörliste gehören hochwertige Soundanlagen, Schnittstellen für den MP3-Player und Entertainment-Aufrüstungen mit DVD-Player und Bildschirmen für die Kinder.

Baustelle Sehnsucht: Steigt mit dem richtigen fahrbaren Untersatz die Traumfrau ein?

Andererseits setzt die Werbung nach wie vor fast ausschließlich auf die althergebrachten Themen Design, Power, Speed und Männerphantasien. „Potenza“ heißt der schnelle Reifen von Bridgestone. Das Auto als Ich-Krücke bewerben in dankenswerter Offenheit Peugeot und Cadillac gleichlautend: „Ein Ausdruck Ihrer Persönlichkeit.“

Was will die Frau?

Die nahezu einhellige Orientierung auf den männlichen Käufer erscheint dabei ökonomisch einigermaßen problematisch. Denn der dritte, zu erwartende Megatrend beim Automobil betrifft das frauentaugliche Auto. Immerhin, so kalkuliert die Werbebranche, verwalten Frauen 80 Prozent des Familieneinkommens. Autos kaufen nicht nur die immer zahlreicher werdenden weiblichen Singles. Seit vielen Jahren ist bekannt, dass es auch in der Familie in erster Linie die Frauen sind, die über den Neuwagen entscheiden. 60 Prozent der Pkw sind laut Zulassungsstatistik schon in Frauenhand. Die Reaktionen der Automobilindustrie auf diese Erkenntnis wirken daran gemessen erstaunlich halbherzig, fast schon rührend. So lädt Nissan schon mal zum „Frauentag“ ein, mit lila Luftballons, Prosecco und Reifenwechselkurs.

Was aber brauchen und wollen Frauen außer Türgriffen, an denen keine Fingernägel abbrechen und Fußmatten, in denen sich die Highheels nicht verfangen? Im vergangenen November feierte das neue Kompetenzzentrum „Frau und Auto“ der Krefelder Hochschule Niederrhein seinen einjährigen Geburtstag. Es ging neben frauenspezifischer Händlerschulung und allgemeiner Gender-Thematik besonders um den, wie Befragungen ergeben hatten, von Frauen geforderten Handtaschenhaken im Pkw. Das Kompetenzzentrum ging mit gutem Beispiel voran und präsentierte einen Prototyp. „Weil die Funktion des Handtaschenhakens nur im Freien demonstriert werden kann, beginnt die Veranstaltung auf dem Parkplatz“, stand auf der Einladung.

Auch ansonsten ist die Autofrau nicht zuletzt dank des Krefelder Kompetenzzentrums kein unbekanntes Wesen mehr. Sie wünscht sich günstigen Verbrauch, Sicherheit und bequeme Sitze, die leicht von Schokolade und Lehm zu reinigen sind. Außerdem viele Ablagemöglichkeiten, einen leicht vollzustopfenden, großen Kofferraum mit niedriger Ladekante. Eine leicht verstehbare Bedienungsanleitung, aber besser noch eine persönliche Einweisung beim Kauf. Und im Zweifel hätte sie statt eines eleganten Schlittens lieber einen Kleinen, Wendigen, der aber gern ordentlich Leistung haben darf. Immerhin 36 Prozent der Frauen nennen in einer aktuellen Marktstudie von Roland Berger ein kleines Auto – bis Golfklasse – ihr Traumauto.

Wichtig ist zudem der Knuddelfaktor. Viele Frauen lieben ihr Auto wie einen guten Freund und geben ihm sogar einen Namen. Das in dieser Hinsicht typische Frauenauto, so hat das Kraftfahrtbundesamt kürzlich festgestellt, bauen Franzosen, Italiener und Japaner. 41 Prozent aller Peugeot in Deutschland sind auf Frauen zugelassen. BMW und Mercedes dagegen bedienen offensichtlich ganz überwiegend Männerwünsche.

Auto ruft Werkstatt

Ausgerechnet Volvo, ein Hersteller, der für Schwedenstahl und eine ausgesprochen maskuline Designsprache bekannt ist, hat auf dem Genfer Salon 2004 ein idealtypisches Frauenauto vorgestellt. Ein wartungsfreundliches Fahrzeug, dessen Motorhaube frau niemals öffnen muss, das selbsttätig Diagnosetests durchführt und automatisch die Werkstatt anruft und einen Termin macht. Aktive Parkhilfe, zum Ein- und Aussteigen schwingen Flügeltüren nach oben, die Seitenschweller klappen nach unten weg – und der Antrieb ist ein Hybrid, also Benzinmotor plus Elektromotor, für emissionsfreies Fahren in der City. Und der Clou: ein Bodyscanner analysiert die Körpermaße, damit automatisch Sitze, Spiegel etc. richtig eingestellt werden.

Von „young concept car“ spricht Volvo vorsichtig und vermeidet sorgfältig das schlimme Wort vom „Frauenauto“. Frauenauto – das gilt in der Branche als absolutes Loser-Label. Die meisten Frauen schreckt der Begriff, weil sie ihn für diskriminierend halten. Und die Männer? Würden lieber Eisenbahn fahren oder zu Fuß gehen als ein Frauenauto benutzen. Das leuchtet ein. Nichts mobilisiert größere Kastrationsängste als ein serienmäßiger Handtaschenhaken.

Burkhard Straßmann

 

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