Reise 4/2005

Idyll für stille Genießer

In den Jura kommt man zum Essen. Oder zum Wandern, Mountain-Biken und Skilanglaufen. Der Verband Naturfreunde Internationale hat den von Touristen wenig beachteten Höhenzug im französisch-schweizerischen Grenzgebiet als Landschaft des Jahres 2005/2006 ausgezeichnet.

Foto: CRT DE franche-compte

Morteau ist eine dieser Kleinstädte, bei der Franzosen unweigerlich ans Essen denken. Hier kommen die berühmten Saucisses de Morteau her. Jeder in Frankreich kennt die rustikalen 300 bis 500 Gramm schweren Würste aus dem Jura, die unten mit einem Holzspieß verschlossen sind. Sie müssen aus dem Fleisch der Jura-Schweine hergestellt, im Naturdarm geräuchert und in den Bergen über 600 Meter Meereshöhe hergestellt sein. Nur dann erhalten sie das kleine grün-weiße Blechsiegel als Prädikat der „Appellation contrôllée“.

Bei Guillôme Guinot hängen hunderte solcher Würste zusammen mit Schinken im begehbaren Kamin. Der Biobauer erklärt, wie früher überall auf den Höfen das Fleisch mehrere Monate über der zentralen Feuerstelle im Tannenrauch hing und so seinen typischen Geschmack bekam. Seit über 200 Jahren ist Guillômes Vorzeigehof in Familienbesitz. Vor 25 Jahren haben die Guinots den Betrieb in Bonnétage für Agrotourismus geöffnet und vermieten nun einen Teil des 40-Zimmer-Hofes an Gäste. Auf Voranmeldung können Besucher in der Gaststube an einfachen Holztischen ein bäuerliches Mahl einnehmen, dessen Zutaten garantiert aus dem Jura kommen.

Diese Form des ländlichen Tourismus ist wie geschaffen, als Baustein in die Aktivitäten der Naturfreunde Internationale (NFI) aufgenommen zu werden. So sagt es auch ihr Präsident, Herbert Brückner: „Das Jura und die NFI passen hervorragend zusammen.“ Alle zwei Jahre rufen die NFI eine ökologisch wertvolle, grenzüberschreitende Region in Europa zur Landschaft des Jahres aus. Für 2005/2006 fiel die Wahl auf den Jura, einen Höhenzug, der sich wie ein Bogen zwischen Basel und Genf immer entlang der französisch-schweizerischen Grenze zwischen dem Rhein im Norden, der Rhône und den Alpen im Süden erstreckt. „Der abseits gelegene Jura hat große strukturelle Probleme. Wir wollen mit der Auszeichnung zur ,Landschaft des Jahres’ den Anschub zur nachhaltigen Entwicklung dieser Region geben – und dazu eignet sich der sanfte Tourismus ganz besonders,“ begründet NFI-Geschäftsführer Christian Baumgartner das Engagement seiner Organisation (siehe Interview).

 


Fotos: Daniel Brunner

Traditionen entdecken: Die lokalen kulinarischen Köstlichkeiten – Käse und Schinken von glücklichen Kühen – lassen sich überall im Jura probieren. Und der Gastwirt serviert zum Aperitif einen Absinth aus Pontarlier.

Absinth als Aperitif

Jahrhundertelang war die Uhrenindustrie das wirtschaftliche Rückgrat des Jura. Sie ist auf französischer Seite bis auf wenige Zulieferbetriebe völlig zusammengebrochen. Auf der Schweizer Seite dagegen haben sich weltbekannte Manufakturen wie Rolex, Omega oder Cartier etabliert und produzieren Uhren der Luxusklasse. Aus Frankreich pendelt man heute zum Arbeiten über die Grenze und verdient dabei nicht schlecht. Ansonsten ist die Region landwirtschaftlich geprägt – mit dem Schwerpunkt auf Holz- und Viehwirtschaft. Jedes Dorf in der waldreichen Gegend des Val de Morteau hat noch einen holzverarbeitenden Betrieb und eine Käserei. Von Hand wird der berühmte Compté und der buttrige Morbier mit dem Aschestreifen in der Mitte zwar meistens nicht mehr hergestellt, doch alle Fruitières – so heißen die Käsereien – sind Familienbetriebe, die ihren Käse nach eigenen Rezepten aus der Milch der heimischen Montbéliard-Kühe produzieren.

Jean-Paul Marguet bezieht seinen Käse vom Betrieb nebenan. Der Gastwirt freut sich über die schöne gelbe Farbe des Compté, der aus der ersten Frühlingsmilch hergestellt wurde. „Die Kühe waren auf der Weide und haben das frische Gras, die gesunden Kräuter und bunten Blümchen genossen. Den blassen weißen Käse aus dem Winter verkaufen wir denen aus Paris“, sagt Marguet mit einem Augenzwinkern. Und nach Deutschland, könnte er hinzufügen, denn über die Hälfte des prominenten Jura-Käses verkauft man mittlerweile an die Nachbarn im Norden.

Marguet betreibt eine Ferme Auberge bei Villers-le-Lac. Den ehemals landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern hat der 40-Jährige zur Herberge mit Wirtsstube ausgebaut. Am Mittag servieren er und seine Frau zum Aperitif einen Absinth aus dem nahen Pontarlier, eine Wurstplatte mit Saucisses de Morteau und Schinken, dann ein mit Morcheln gekochtes Huhn und nach dem Käse einen selbst gebackenen Rührkuchen. Hauptsächlich Gruppen aus allen Teilen Frankreichs steigen in der Auberge Franc-Comtoise ab. Sie kommen wegen des bodenständigen Essens, zum Radfahren oder zum Skilanglaufen für ein paar Tage in den Jura.

Marguets Familienbetrieb liegt direkt an der Grande Traversee du Jura, kurz GTJ. Im Sommer ist das ein 200 Kilometer langer Fernwanderweg. Im Winter bildet die GTJ als weiße, gut gespurte Langlaufpiste den zentralen Strang eines Loipensystems, das auch den Schweizer Jura einbezieht und mit über 3000 Kilometern einen riesigen Langlaufpark bildet. Marguet freut sich über das Engagement der Naturfreunde, die inzwischen international eine halbe Million Mitglieder zählen. Der Gastronom hofft, dass die NFI ihm neue, vielleicht auch mehr ausländische Kundschaft bringen, denen Qualität noch etwas wert ist, die sich für die Natur und Kultur der Region interessieren und ein gutes Essen zu schätzen wissen.

In Deutschland ist der Jura als Reiseziel noch wenig bekannt. Das wollen die Naturfreunde ändern. Darüber freut sich auch Annie Genevard, die Bürgermeisterin von Morteau. Sie hebt besonders die Vorteile der Abgeschiedenheit des Juramassivs hervor. Der Entfernung von den europäischen Machtzentren sei es zu verdanken, dass im Jura noch viel ursprüngliche Natur erhalten ist. „Die meisten unserer landwirtschaftlichen Betriebe können sich nur dadurch über Wasser halten, indem sie sich durch Partizipation am sanften Tourismus einen Nebenverdienst aufbauen,“ sagt Madame Genevard. Sie äußert die Sorge, dass der Wald sich die Almwiesen zurückholen könnte, wenn die Bauern ihre Betriebe aufgeben und ihr Vieh dort nicht mehr weidet. Genevard zieht eine Parallele zur Geschichte: Früher, im ausgehenden Mittelalter, kamen Mönche aus allen Teilen Europas in den Jura, um den Wald zu roden und der Landwirtschaft auf die Beine zu helfen. Vermutlich wie die Menschen damals bewirtet die Bürgermeisterin der Kleinstadt ihre Gäste auch an diesem Abend traditionell: mit einem Jura-Weißwein aus Arbois, mit grob gewürfelten Comté und Scheiben frisch geräucherter Saucisses de Morteau.

Uta Linnert

 

Lage: Der Jura ist ein Höhenzug zwischen Rhône und Rhein, der von Frankreich in die Schweiz hineinreicht. Das gleichnamige französische Département gehört zur Region Franche-Comté. Regionalhauptstadt ist Besançon. www.franche.comte.org www.morteau.org

Anreise: Von Deutschland aus ist Morteau mit der Bahn über La-Chaux-de-Fonds oder Neuchâtel schnell und bequem zu erreichen. www.bahn.de

Regelmäßige Berichte über die Projekte der Naturfreunde Internationale: NFI, Diefenbachgasse 36, A-1150 Wien, Tel.: (0043) 1-8923877-15, Fax: (0043) 1-8129789 und im Internet: www.nfi.at

Reisebücher
Hans Ikenberg: Französischer Jura – Touren, Einkehren, Unterkommen. Ein praktischer Reiseführer für die Orientierung in der Provinz. Oaseverlag, 310 S., 19 Euro.

Philipp Bachmann: Jurawandern. Vom Wasserschloss bei Brugg zur Rhoneklus bei Genf. 20 Touren einmal über den geamten Jurabogen. Rotpunktverlag. 285 S. 24 Euro.

Iris Kürschner: Jura. Ein kompakter Wanderführer mit 35 Tourenbeschreibungen, Detailkarten, und den wichtigsten Angaben auf einen Blick. Bruckmann Verlag. 140 S. 11,90 Euro.

 

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