Titel 3/2005

Feinstaub

City-Maut London

Deutlich weniger Autos: Die vor zwei Jahren in London eingeführte City-Maut gilt als Erfolg. Leider bestehen die Missstände im Öffentlichen Verkehr weiter – und Londons Luft ist immer noch die dreckigste in Europa. Aus London berichtet Chris Bowers.

Foto: Marcus Gloger

Die Einen lieben ihn, die anderen hassen Ken Livingstone, den ersten direkt gewählten Bürgermeister von London, der im Jahr 2000 sein Amt in der Themse-Metropole antrat. Der resolute Mayor of London ist Kritik gewohnt. Vor zwei Jahren, im Februar 2003, ging er ein großes politisches Risiko ein: Er führte die höchst umstrittene Congestion Charge („Verstopfungsgebühr“) in der Innenstadt ein.

Alle großen Parteien – inklusive der Labour Party – äußerten sich skeptisch, Autofahrer fühlten sich diskriminiert, Geschäftsleute und Hoteliers fürchteten um ihre Umsätze und versuchten die Maut mit allen Mitteln zu verhindern. Doch bereits in den ersten Wochen schlug die öffentliche Meinung um. Schließlich wurde Maut-Initiator Livingstone bei den Wahlen im Juni 2004 von den Londoner Bürgern mit deutlicher Mehrheit in seinem Amt bestätigt. Seine politischen Gegner hatten ruinöse Folgen für die Innenstadt vorausgesagt und für den Fall eines Wahlsieges der Opposition die sofortige Abschaffung der City-Maut versprochen. Nach der Wiederwahl Livingstones hatten sie ihr Abschaffungsversprechen dann aber so unauffällig wie möglich zurückgenommen.

Nun hat Livingstone für den 4. Juli eine erste Erhöhung der Maut von jetzt 5 Pfund (7 Euro) pro Tag auf 8 Pfund (11,50 Euro) angekündigt. Natürlich wurden erneut Stimmen der Empörung laut. Allen Anfeindungen zum Trotz verlässt sich der streitbare Livingstone auf seine Erfahrungen mit der Einführung der Maut. Immer gab er zwei Gründe für seine Congestion Charge an: Die Maut sollte die endlosen Staus in der Innenstadt beseitigen und gleichzeitig Geld für den Öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) beschaffen. „Unser Ziel ist es, ein Verkehrssystem der Weltklasse zu errichten, das effizient arbeitet, wirtschaftlichen Wohlstand schafft und die Lebensqualität aller Bürger und Besucher Londons verbessert”, ließ Livingstone stets verkünden.

Zu wenig Geld für die U-Bahn

Die Erhöhung der Mauttarife ist gewissermaßen eine Folge des Erfolgs. Geht der Autoverkehr wie beabsichtigt in der Innenstadt zurück, reduzieren sich gleichzeitig die Mauteinnahmen – und das ist ein Problem. Livingstone prognostizierte Einnahmen von 130 Millionen Pfund (190 Millionen Euro) pro Jahr. Tatsächlich waren es im ersten Jahr aber nur etwas mehr als halb so viel: 68 Millionen Pfund (etwa 100 Millionen Euro). Das zieht nun eine Umfinanzierung des ganzen Projektes nach sich. Livingstone betont, das Hauptziel bleibe weiterhin die Reduzierung von Staus, aber die fehlenden Einnahmen seiner Maut lassen die Verbesserung des maroden Londoner ÖPNV langsamer voranschreiten als vorgesehen.

Die laute Kritik der Geschäftsleute der City verstummt nicht. Immer noch klagen viele Ladenbesitzer, ihre Einnahmen seien durch die Maut gesunken. Livingstones Verkehrsbehörde hält die Wirtschaftsdepression und die sinkenden Tourismuszahlen – etwa wegen des Irak-Krieges – dagegen. Trotzdem machte der Bürgermeister Zugeständnisse: Die Mautanhebung fällt für Dienstfahrzeuge schwächer aus als für Privatautos. Bisher zahlten Geschäftswagen 5,50 Pfund pro Tag (8 Euro), ab 4. Juli werden sie 7 Pfund (10 Euro) zahlen, womit sie unter dem Preis für privat genutzte Pkw bleiben.

Feinstaub ist Nebensache

Verglichen mit der Zeit vor der Maut ist der Straßenverkehr innerhalb der Mautzone um 15 Prozent zurückgegangen. Dem offiziellen Bericht des Londoner Verkehrsamtes „Transport for London“ zufolge fuhren 2004 pro Tag 60000 Autos weniger in der City als im Jahr zuvor. Bemessen an den Fahrzeugen, die keinen Ausnahmestatus haben – Busse, Taxis, Rettungsfahrzeuge oder Motorräder können eine Sondergenehmigung beantragen – ist das ein Rückgang des Individualverkehrs um 30 Prozent. Rund 50 bis 60 Prozent dieser ehemaligen Autofahrer, so schätzt man, sind auf den ÖPNV umgestiegen, weitere 20 bis 30 Prozent haben ihre Fahrtrouten geändert und meiden die Mautzone. Die restlichen Prozent lassen sich durch CarSharing, Umstieg auf Motor- oder Fahrräder oder Fahrten außerhalb der Mautzeiten (7.00 bis 18.30 Uhr, Montag bis Freitag) erklären.

Der chronische Verkehrsinfarkt der Metropole ist den Londonern ein ständiges Ärgernis – die verdreckte Luft ist kein Thema. Der unabhängige Forschungsbericht, der zweimal im Jahr erscheint und die Wirkungen der Maut analysiert, erfasst auch die Konzentration der Luftschadstoffe. Die letzten drei Berichte zeigen innerhalb der zahlpflichtigen Zone eine Reduzierung der Stickoxide und Rußpartikel von zwölf Prozent verglichen mit der Vormautzeit. Der neueste Bericht von Ende April 2005 zeigt nun eine Reduzierung der Emissionen von insgesamt 16 Prozent. Drei Viertel des Rückgangs sieht man als direkte Folge der Maut, das restliche Viertel rechnet man sogenannten Hintergrundmaßnahmen zu, wie beispielsweise Verbesserungen bei der Automobiltechnik.

Vielleicht wichtiger als die Emissionen in der Mautzone sind die Emissionen an der inneren Ringstraße, die quasi als Grenze der zahlpflichtigen Zone dient. Trotz aller Befürchtungen, der Verkehr könnte in die Straßen am Rande der Zone ausweichen, sind diese Emissionen dort weder gestiegen noch gefallen. Dies sieht die Verkehrsbehörde als Beweis dafür, dass die Maut nicht, wie befürchtet, das Schadstoff- und Verkehrsproblem einfach von der Stadtmitte in die Vorstädte verdrängt hat.

Warum aber bleibt London trotzdem eine der dreckigsten Städte Europas, mit einer Luftverschmutzung weit oberhalb der neuen EU-Grenzwerte? Man dürfe einfach nicht vergessen, so ein Sprecher von Transport for London, dass die Mautzone nur 1,3 Prozent der gesamten Fläche von London darstelle. Dadurch könne nur wenig für die allgemeine Luftqualität der 33 Bezirke getan werden.

Der Großraum London hat einen Durchmesser von 80 Kilometern und Ken Livingstone möchte die Mautzone ausweiten. Das allein wird nicht reichen. Auch in den kommenden Sommermonaten ist London weit davon entfernt, die geforderten EU-Grenzwerte einhalten zu können. Erste Maßnahmen laufen jetzt an. Zur Zeit werden alle 7000 Busse der Hauptstadt mit Partikelfiltern nachgerüstet, und neuerdings zahlen die Fahrgäste bei jeder Taxifahrt eine zusätzliche Gebühr von 20 Pence (13 Cent), um die Nachrüstung von Filtern bei den bekannten schwarzen Londoner Dieseltaxis zu finanzieren.

 

VCD Position City-Maut

Der Wissenschaftliche Beirat des VCD hält das Londoner Maut-System für nicht auf Deutschland übertragbar und hat deshalb eine Position mit anderen Lenkungsinstrumenten für ein besseres Verkehrssystem verabschiedet.

  1. Aus ökologisch-ökonomischen, verkehrs- und siedlungspolitischen Gründen ist einer City-Maut ein das gesamte Straßennetz in Stadt und Land umfassendes Road Pricing für den Kfz-Verkehr vorzuziehen. Eine City-Maut hätte dagegen beim Gesichtspunkt Finanzierung Vorteile: Die Maut-Einnahme würde wohl der Kommune zufließen und damit könnte auch ein Beitrag zur kommunaleigenen Finanzierung des ÖPNV geschaffen werden.
  2. Die Einführung einer allgemeinen Pkw-Maut sollte aber vorerst kein Thema sein. Eine bessere Anlastung externer Kosten des Motorisierten Individualverkehrs sollte durch Weiterentwicklung der Ökosteuer angestrebt werden. Eine bundesweite Maut ist mit der Gefahr verbunden, dass die Auto- und Straßenlobby sich bei der Verwendung der Mauteinnahmen zugunsten weiteren Straßenbaus durchsetzt.
  3. Erste Priorität sollte haben, dass die Lkw-Maut im gesamten Straßennetz erhoben wird, auch leichtere Lkw einbezogen und die Mauteinnahmen Bund, Ländern und Gemeinden zweckungebunden zur Verfügung gestellt werden.
  4. Priorität sollten ferner Reformen ökologisch kontraproduktiver Rahmenbedingungen sowie verkehrslenkende Maßnahmen, insbesondere eine elektronisch gesteuerte Tempobegrenzung, haben.
  5. Eine City-Maut sollte erst ergänzend in Frage kommen. Neben einer verursachergerechten Kostenanlastung, wie z.B. dem Urban Road Pricing, fordert der VCD ergänzende Maßnahmen, z.B. wirkungsvolle Geschwindigkeitsreduzierungen und Förderung des »Umweltverbundes«.

Mehr zum Thema im Internet unter:
www.vcd.org

 

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