Editorial 3/05
 

Wo ist Lidl?

 
Michael Adler
Foto: www.marcusgloger.de    

Gutes hat seinen Preis, sagte man früher. Diese Haltung glingt fast schon antiquiert. Gemeint war damit, dass der gutes Geld verdienen sollte, der eine gute Leistung bietet. Das gilt für eine gute Beratung im Reisebüro ebenso wie für einen sicheren Flug mit solide geschulten und ausgeschlafenen Piloten. Das gilt auch für eine pünktliche Bahnfahrt, möglichst mit Sitzplatz und motiviertem Personal.
Diese Haltung, die im wahren Sinne des Wortes Wert auf Qualität legt, wird mit Rabatt-Aktionen wie die der Deutschen Bahn AG beim Discounter Lidl nachhaltig untergraben. Die Billig-Bahnfahrkarten-Aktion hat vor allem zwei Dinge bewirkt: Viele Millionen Bundesbürger wissen jetzt, wo Lidl ist, und ebenso viele glauben, dass die Bahn richtig billig sein kann, wenn sie nur will. Am Verkaufstag entwickelte sich in manchen Lidl-Märkten eine unangenehme Stimmung. Man fühlte sich an Schlussverkäufe der 60er Jahre erinnert. Niedere Emotionen wie Gier, Geiz und Missgunst brachen in vielen Schlangen durch. In einer guten Stunde waren eine Million Tickets für 49,90 Euro abgeräumt.
Ein voller Erfolg? Ich meine, nein. Die Partnerwahl der DB AG ist zweifelhaft. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di brandmarkt in einem „Schwarzbuch Lidl“ die teilweise menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, die bei dem Discounter herrschen.

Was den Imagetransfer angeht, tut sich die Bahn sicher keinen Gefallen.
Außerdem hat die Rabattisierung unserer Gesellschaft einen Preis, den wir letzten Endes alle bezahlen. Meistens werden Geiz-Preise auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen. Mit den Billigangeboten will die Bahn in Konkurrenz zu Billigfliegern treten. Auch bei Ryanair und Air Berlin werden Gewerkschaften nicht geduldet. Die Süddeutsche Zeitung berichtet von Kündigungsdrohungen und Lohnkürzungen gegen Mitarbeiter, die für ihre Rechte eintreten.
Gegen die Lidl-Rabattaktion überlegten einige Reisebüros gerichtlich vorzugehen. Im vergangenen Jahr kürzte die Bahn die Provisionen auf Bahnfahrkarten spürbar. Jetzt wird mit Billigangeboten die Kundschaft in den Supermarkt gelockt.
Und machen wir uns nichts vor. Wenn demnächst Bahntickets bei Media-Markt, Aldi und in Tankstellen verkauft werden, geht das zu Lasten des geschulten Personals bei der Bahn selbst.
Es geht schlicht nicht zusammen, dass wir einerseits alles geschenkt haben wollen und andererseits der Politik fünf Millionen Arbeitslose vorwerfen. Das eine hängt mit dem anderen unmittelbar zusammen.
Was der Bahn immer noch fehlt, ist ein leicht verständliches, faires Preissystem, das Stammkunden besonders belohnt. Über Last-Minute-Angebote für schwach ausgelastete Züge kann man reden, das ist auch im Sinne der Umwelt vernünftig. Tickets um fast jeden Preis zu verramschen, wird sich aber gegen die Bahn selbst wenden.
Einen großzügigen Sommer wünscht Ihnen Ihr

Michael Adler

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