Titel 2/2005

Binnenhafen

Hafenmeister im Hinterland

In Duisburg, wo die Ruhr in den Rhein fließt, liegt Europas größter Binnenhafen. Hier schlagen flache Binnenfrachter, kleine Seeschiffe, Lastwagen und Güterzüge Kohle, Stahl und Container um. Den besten Überblick über das Hafenareal hat der Hafenmeister. Er kennt jeden Winkel und fährt Tag für Tag durch die vielen verschiedenen Hafenbecken, um nach dem Rechten zu sehen.

Fotos: www.marcusgloger.de

„Familie?“ Der Hafenmeister schnappt nach Luft und legt seine Hände auf das Steuerrad. An den Fingern ist kein Ring zu sehen. Für einen kurzen Moment spielt der 61-Jährige den Beleidigten. Dann dreht er sich zur Seite und lacht. „Ich war niemals verheiratet, hatte aber immer langjährige Beziehungen“, erklärt der überzeugte Junggeselle. Er spricht schnell, mit Händen und Füßen, und nur ganz selten kommen typisch lang gezogene Ruhrpottvokale aus seinem Mund. Seit über 30 Jahren schippert Werner Reinhardt als Hafenmeister durch den Duisburger Hafen. Aufgewachsen ist er in Magdeburg. Reinhardt hat ein sonnengebräuntes Gesicht, keine Seemannsbräune, sondern Ergebnis seiner privaten Leidenschaft: Er fährt gerne weit weg. Südafrika, Kalifornien, die indonesische Insel Bali – immer fernere Ziele steuert der Hafenmeister in seiner Freizeit an.

Vom Schiff auf Lkw oder Züge: Die Duisburger Hafen AG achtet auf eine effektive Kombination der Transportmittel.

Duisburgs Inseln sind keine Urlaubsziele. Sie heißen Kohleinsel, Ölinsel, Schrottinsel oder Stahlinsel und liegen in Europas größtem Binnenhafen. Ihre Namen verraten, welche Güter die Schiffe dort laden und löschen. Vorbei an Bergen von silberglänzenden Würfeln aus gepresstem Weißblech und pechschwarzer Kohle schippert Hafenmeister Reinhardt unermüdlich durch die verschiedenen Hafenbecken. Dort liegen neben den flachen Binnenschiffen auch Ausflugs- und Hausboote vor Anker. Sogar flussgängige Seeschiffe, beladen mit bis zu 500 Containern, steuern den Duisburger Hafen an.
Auf dem Schiff des Hafenmeisters haben höchstens drei Personen Platz. Reinhardt sichtet und registriert die ein- und auslaufenden Schiffe und sorgt dafür, dass im Hafen alles glatt läuft. Früher teilte er sich mit vier Kollegen den Hafen. 15000 Schiffe meldeten sich damals pro Jahr allein in seinem kleinen Bereich. Heute fährt er – oder der Kollege von der zweiten Schicht – alleine das komplette Areal ab.

Kohle aus Brasilien

Im letzten Jahr steuerten insgesamt 20000 Schiffe den Duisburger Hafen an. „Die Schiffe sind natürlich viel größer geworden“, erklärt der Hafenmeister. Der Mann streckt seine Arme weit auseinander, um den Größenunterschied zu demonstrieren. An einer Werft im Hafenbecken B, zwischen Kohle- und Schrottinsel, haben die Arbeiter heute früh einen Binnenfrachter für Wartungsarbeiten hochgezogen. Über 100 Meter ist das Schiff lang. Es kann ungefähr 2500 Tonnen Massengut wie Kohle, Stahl, Klärschlamm oder Schrott transportieren. Drei Stunden dauert es, um so viel Kohle zu löschen. „Das ist übrigens keine einheimische Kohle. Hier wird nur noch Importkohle aus Südafrika oder Brasilien umgeschlagen“, sagt Reinhardt. Er weiß zu jedem Platz im Hafen etwas zu erzählen. Seine Finger zeigen ständig in unterschiedliche Richtungen, auf Kräne, Schiffe oder aufs Wasser. Er hört nur auf zu sprechen, wenn etwas über Funk kommt. Dann setzt er unverzüglich seine Brille auf und schreibt mit.


Der größte Binnenhafen Europas: Umschlagplatz für Chemie und Stahl, aber auch Entstehungsort für neue Schiffe wie die Julius Rüttgers.

Die „Alina“ hat sich nicht angemeldet. Das Schiff fährt auf Reinhardts Boot zu, das neben dem 1500-Tonnen-Transporter wie eine Nussschale aussieht. Der Hafenmeister greift zu dem schweren schwarzen Telefonhörer der Funkanlage und ruft die „Alina“. Mit niederländischem Akzent antwortet der Schiffsführer, er käme aus Neuss und wolle Benzin laden.
Es fällt auf, dass die meisten Schiffe in niederländischer Hand sind. Das kleine Nachbarland hat die größte Binnenflotte Europas. „Die Holländer haben eine ganz andere Beziehung zur Schifffahrt als die Deutschen“, behauptet Reinhardt. „Dort ist es zum Beispiel viel einfacher, bei einer Bank Geld für ein eigenes Schiff zu bekommen.“ Außerdem könnten sich die Binnenschiffer dort auch ein Internat für ihre Kinder leisten. Viele niederländische Frauen haben ein eigenes Schifffahrtspatent und arbeiten mit an Bord. „In Deutschland kümmern sich die Frauen meistens an Land um die Kinder, während ihre Männer über die Flüsse fahren, und nach zehn Jahren ist dann die Ehe kaputt“, kommentiert Reinhardt die Situation der deutschen Binnenschiffer.

Riesige Kräne helfen beim Laden und Löschen von Kohle, Steinen, Stahl und Schrott.

Der Hafenmeister kennt sich aus in der Szene. Er war selbst Binnenschiffer mit Rheinpatent. Nach der ganz normalen Laufbahn vom Schiffsjungen zum Matrosen bis schließlich zum Schiffsführer, ist er eine Zeit lang zusammen mit seinem Vater auf Tour gewesen. Irgendwann hatte er keine Lust mehr, nur Geld zu verdienen, aber keine Zeit zu haben, es auch auszugeben. So entschloss er sich ein Jahr lang eine Fortbildung zum Hafenmeister zu machen und landete 1971 im Duisburger Hafen. Heute glaubt er, es genau richtig gemacht zu haben. „Wäre ich bei der Binnenschifffahrt geblieben, hätte ich vielleicht schon lange keine Arbeit mehr“, vermutet Reinhardt. Während es in den 70er Jahren noch 18000 Binnenschiffer in Deutschland gab, sind es heute nur noch 6000. „Es gibt ja kaum noch deutsche Reedereien, die Binnenschiffer ausbilden“, seufzt der 61-Jährige, „und die Polen oder Tschechen kosten auch nur die Hälfte.“

Giftige Fracht

Gerade fährt Reinhardt vorbei an einem Komplex aus vielen verschlungenen Rohren, der aussieht wie eine Raffinerie. Ein Schiff mit zwei blauen Kegeln am Fahnenmast hat dort fest gemacht. Die Arbeiter tragen Gasmasken. Hafenmeister Reinhardt weiß, dass sie Phenol, eine giftige Flüssigkeit, laden. Das kann nur an ganz bestimmten, extra gesicherten Liegeplätzen im Hafen stattfinden. Das Phenol kommt mit dem Zug aus Gelsenkirchen und fährt per Schiff weiter nach Rotterdam. „Gut, dass die Sicherheitsbestimmungen strenger geworden sind“, erklärt der Hafenmeister. Er erinnert sich an Kollegen, die früher eine andere Chemikalie, Benzol, gefahren haben und später an Leukämie erkrankten. Schiffe, die Gefahrgüter laden und löschen, müssen heute nicht nur besonders ausgerüstet, sondern auch besonders gekennzeichnet sein. Die Anzahl der blauen Kegel am Flaggenmast signalisiert die Gefahrenklasse.

Der Hafenmeister bei der Arbeit: Über Funk melden sich die einlaufenden Schiffe im Duisburger Hafen an.

Duisburg ist für die großen Seehäfen Rotterdam, Amsterdam und Antwerpen als Hinterlandverteiler wichtig. Viele Güter werden direkt weiter nach Duisburg geschickt und erst dort aus- und umgepackt, bearbeitet und weiter verteilt. Rheinaufwärts braucht ein Schiff von Rotterdam bis Duisburg um die 18 Stunden. Die japanische Kosmetikfirma Shiseido lässt ihre Waren auf Paletten und in Containern bis Duisburg transportieren. Im zollfreien Bereich des Freihafens sortiert eine Logistikfirma die Kosmetikprodukte und stellt sie, je nach Wunsch, für die unterschiedlichen Abnehmer zusammen. So kommen japanische Cremes und Düfte in neu geschnürten Paketen von Duisburg aus mit Schiff, Zug oder Lkw in die Parfümerien Europas – von der Galerie Lafayette in Paris bis zur Douglas-Filiale in Palma de Mallorca.

Nur Fische und Schiffe

Europas größter Binnenhafen ist natürlich rund um die Uhr erreichbar. Werner Reinhardt und sein Kollege arbeiten allerdings nicht Tag und Nacht. In der Woche überwachen sie den Hafen zwischen 7 und 22 Uhr, samstags bis 13 Uhr. Sonntags haben sie frei. Dann muss es auch ohne Hafenmeister gehen. Einlaufende Schiffe müssen sich sowieso per Funk im Pegelhaus melden. Dort sitzen Kollegen am Computer, ausgestattet mit einer Datenbank, die alle Angaben zu den Schiffen ausspuckt. „Die Schiffe sollen dem Kollegen im Pegel eigentlich von sich aus melden, wie sie heißen, wo sie herkommen, wo sie hinwollen und was sie im Hafen vorhaben“, beschreibt der Hafenmeister den üblichen Ablauf. Aber nicht alle Schiffe halten sich daran. Reinhardt hört auf seinem Boot über Funk mit, welche Schiffe sich melden. Er notiert alles auf kleine weiße Zettel, die er danach in eine Art Register einsortiert. Vor Dienstbeginn bekommt er einen Ausdruck mit allen Schiffsnamen, die sich bereits im Pegel angemeldet haben. „Jeder Zehnte meldet sich nicht“, erklärt Reinhardt und freut sich offensichtlich darüber, da jedes Schiff, das er ansprechen und nachmelden muss, seinen Arbeitsplatz sichert. Aber der Hafenmeister ist nicht nur auf der Jagd nach säumigen Frachtern. Er sorgt auch dafür, dass der Hafen sauber bleibt. Im Hafen treibende Baumstämme könnten zum Beispiel Schiffsschrauben beschädigen. Der Hafenmeister veranlasst, dass sie schleunigst entfernt werden. Weder Müll noch Diesel sollten im Wasser schwimmen, nur Fische und Schiffe. Die Schiffe müssen, je nach Dauer und Anliegen eine Hafengebühr entrichten. Zum Beispiel muss die „Alina“ fürs Laden von 1300 Tonnen Benzin und einen Aufenthalt von drei Tagen um die 150 Euro zahlen. Das liest der Hafenmeister von einer Liste ab. In bar abkassieren muss er aber nur noch selten.

In der Logistikbranche heißen die Standardcontainer TEU – „Twenty Feet Equivalent Unit“.

 

Während seiner Fahrt durch den Hafen winkt und grüßt der grauhaarige Mann immer wieder den Schiffsführern auf den großen Kähnen zu. Man kennt sich. Und wenn ihm während der einsamen Fahrten durchs Hafenbecken langweilig ist, dann geht er auch schon mal kurz zum Quatschen an Bord.
Das kleine Hafenmeisterschiff ist jetzt an der Tritonwerft angelangt. Sie ist eine von drei Werften im Duisburger Hafen. Hier werden noch neue Schiffe gebaut. Pächter ist ein Niederländer. Reinhardt zeigt auf ein funkelnagelneues Schiff. „Die »Julius Rüttgers« wurde erst letzte Woche mit großem Brimborium eingeweiht“, berichtet der Hafenmeister. Jetzt erledigen Arbeiter in leuchtend orangefarbener Schutzkleidung noch die letzten Kleinigkeiten. Neben der Julius Rüttgers, dicht an der Kaimauer, liegt ein vergilbtes Hausboot. Die schmutzigen Vorhänge sind zugezogen. „Da wohnen die Arbeiter für die Zeit des Schiffbaus, die meisten kommen aus Polen“, erklärt Reinhardt.

Auf der Silvaria glänzt der blaue Lack eines neuen Golfs. Auffällig viele Binnenfrachter haben ein Auto an Bord. Was machen die Binnenschiffer eigentlich damit? Auch darauf hat der Kenner der Szene eine einfache Antwort: Am Wochenende hievt der Bordkran das Auto an Land und dann fahren Väter zu ihren Familien oder Eltern holen ihre Kinder im Internat ab.
Der Containerterminal ist in Sicht. Bunte Metallboxen sind nebeneinander und übereinander gestapelt. Sie sehen aus wie Türme aus Legosteinen. Container sind die Zukunft der Logistik und somit des Duisburger Hafens. Seit den 70er Jahren haben die standardisierten Blechkisten die Seeschifffahrt revolutioniert. Längst haben Container auch den Duisburger Hafen erobert. Derzeit schlagen 2000 flussgängige Seeschiffe aus Skandinavien, Großbritannien oder von der Iberischen Halbinsel kommend jährlich rund zwei Millionen Tonnen Fracht um. „Was in den Kisten drin ist, wissen die Arbeiter nicht“, erwähnt Reinhardt. Tausende von anonymen Containern werden am Terminal geladen und gelöscht.

Für Hafenmeister Reinhardt brechen turbulente Zeiten an, zumindest privat. Er möchte sich bald in ganz neue Gewässer wagen und zur Abwechslung einmal einen Hafen ohne Schiff ansteuern. Wenn alles gut geht, wird er demnächst doch noch heiraten.

Valeska Zepp

 

Strukturwandel im Ruhrgebiet

  • In den letzten Jahren hat sich der Duisburger Hafen vom reinen Industriehafen, ausgerichtet auf Kohle und Stahl, zu einem modernen Logistikzentrum gemausert. Neben dem traditionellen Umschlag werden dort heute auch Container und Produkte von Neuwagen bis zu Kosmetikprodukten geprüft, sortiert und gelagert.
  • Die Privathäfen eingerechnet, werden im Duisburger Hafen 100 Millionen Tonnen Güter umgeschlagen. Im öffentlichen Hafen waren es letztes Jahr 42 Millionen Tonnen: 14 per Schiff, acht mit der Bahn und 20 mit Lkw.
  • Für den öffentlichen Hafen ist die Duisburger Hafen AG zuständig. Sie kümmert sich um Management und Entwicklung. Der Hafen ist Duisburgs Aushängeschild und zugleich wichtiger Arbeitgeber. 16000 Arbeitsplätze sind direkt und indirekt an ihn gebunden. Das sind zehn Prozent der gesamten Arbeitsplätze in Duisburg. Rund 200 Firmen haben sich auf dem Hafengelände angesiedelt und investieren jährlich circa 500 Millionen Euro.
  • Das neueste Objekt des Binnenhafens ist der LogPort auf der gegenüberliegenden Rheinseite in Rheinhausen. Die Hafen AG hat das ehemalige Krupp-Gelände gekauft, saniert und umgebaut. Mittlerweile ist ein Großteil der Flächen verpachtet. Die Hafen AG möchte, dass die im LogPort vertretenen Firmen zusichern, einen nennenswerten Teil ihrer Güter mit Schiff und Bahn zu transportieren. Die Zuwachsraten im Bahnverkehr liegen derzeit bei acht Prozent, beim Schiff bei vier Prozent.
  • Die Güterzuglinie zwischen Duisburg und Wien ist seit Oktober 2003 in Betrieb. Bei sechs wöchentlichen Hin- und Herfahrten ersetzt der Zug 10000 Lkw-Fahrten pro Jahr.
  • Den Erfolg hat der Duisburger Hafen nicht zuletzt seiner Lage zu verdanken: Europas bedeutendste Wasserstraße, der Rhein, und die wichtigsten europäischen Schienentrassen führen durch Duisburg. Im Ruhrgebiet leben und arbeiten 30 Millionen Menschen in einem Radius von 150 Kilometern. Rund ein Drittel der europäischen Bevölkerung, 150 Millonen Menschen, sind in maximal acht Stunden erreichbar.

Infos: www.duisport.de

 

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