Titel 2/2005

Binnenschifffahrt

Fluss oder Wasserschnellstraße?

Schiffe gelten gemeinhin als umweltfreundliche Verkehrsmittel. Dabei ist der Ausbau unserer Flüsse ökologisch umstritten. Die Ziele von Hochwasserschutz, Naturschutz und Bundesverkehrswegeplan lassen sich schwer vereinbaren.

Fotos: Volker Lannert

Angenommen, man hätte etliche Tonnen Stahl aus dem Ruhrgebiet nach Rotterdam zu bringen – die Wahl des geeigneten Transportmittels wäre kinderleicht: Per Binnenschiff wird solche Fracht am besten über den Rhein abgewickelt. Wie verhält es sich aber mit dem Warentransfer via Elbe? Oder Havel? Ein eklatantes Missverhältnis: Rund achtzig Prozent der per Binnenschiff transportierten Güter werden über den Rhein und seine Nebenflüsse befördert. Sämtliche Ausbau- und Unterhaltungsprojekte des Bundes hingegen konzentrieren sich auf wenig befahrene Flüsse wie Havel, Donau und Elbe – Milliardeninvestitionen sollen aus ihnen leistungsfähige Wasserschnellstraßen machen.

Der Rhein ist die einzige wirklich wichtige Wasserstraße Deutschlands.

Die politische Vorgabe aus dem Haus von Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) ist klar: Alle laufenden und fest disponierten Flussausbauprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan 2003 werden fortgeführt, allerdings könne, sagt Pressesprecher Richard Schild, „die Fertigstellung (…) vor dem Hintergrund knapper Haushaltsmittel nicht sicher terminiert werden“. Der Verkehrsträger Wasserstraße, so die Position des Stolpe-Ministeriums, verfüge über „große Kapazitätsreserven“. Genau das bestreiten Umweltverbände und Initiativen in Flussanrainer-Gemeinden. Sie plädieren für den Erhalt der letzten halbwegs natürlich fließenden Abschnitte von Elbe und Donau und setzen sich für eine Anpassung der Binnenschifffahrt an die natürlichen Gegebenheiten der Flüsse ein. „Die Integration der Binnenschifffahrt in eine internationale Güterverkehrslogistik hat sich an den natürlichen Angebotspotenzialen der Flüsse zu orientieren“, so der BUND in einem Forderungspapier vom November 2004. Und weiter: Die Binnenschifffahrt könne „nur dann als relativ umweltfreundliches Verkehrsmittel bezeichnet werden, wenn die Flüsse nicht durch weitere Ausbaumaßnahmen zerstört werden“. Wer wochentags auf bundesdeutschen Autobahnen unterwegs ist, wird bezweifeln, dass Güter hierzulande anders befördert werden als mit Lkw. Tatsächlich liegt die mit Binnenschiffen bewegte Fracht seit den 70er Jahren, sagt Erwin Spitzer, stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutsche Binnenschifffahrt, konstant zwischen 220 Millionen und 250 Millionen Tonnen jährlich, was einem Anteil von zirka elf bis zwölf Prozent am Gesamtaufkommen entspricht. In den letzten Jahren bewegte sich die Menge eher am unteren Rand und lag 2003 bei 220 Millionen Tonnen, entsprechend 11,1 Prozent am Gütertransportaufkommen. 2004 stieg die per Binnenschiff transportierte Fracht auf 234 Millionen Tonnen, was einen Anteil von 11,5 Prozent ausmachte.


Die deutschen Binnenschiffer haben 2004 ihr Geschäft ausgebaut und den Einbruch aus dem Vorjahr mit dem Jahrhundertsommer mehr als ausgeglichen – das meldet das Statistische Bundesamt aus der Branche Lastkähne und Containerschiffe.

Unstrittig ist dabei aus Sicht der Umweltverbände allein die Nutzung der Rheinschiene als Transportweg, da Güter hier effizient befördert werden. „Kaputt ist der Fluss ohnehin“, sagt Winfried Lücking vom BUND. „Für die anliegenden Industriestandorte ist der Rhein als Transportweg unverzichtbar.“ Doch die derzeit auf der Agenda stehenden Projekte betreffen Flüsse mit geringem Güterverkehrsaufkommen. Strittig sind u.a. der Ausbau von Havel, Elbe-Havel- sowie Mittellandkanal, bauliche Eingriffe in die Donau zwischen Straubing und Vilshofen und weitere Unterhaltungsmaßnahmen an der Elbe.

Nach dem Elbehochwasser vom August 2002 schien sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Begradigung von Flüssen und Erhöhung der Fließgeschwindigkeit durch wasserbauliche Eingriffe nicht nur der Gewässerökologie Schaden zufügen, sondern auch die Gefahr verheerender Hochwasser erhöhen. SPD und Bündnis 90/Die Grünen hielten in ihrer Koalitionsvereinbarung vom Herbst 2002 ausdrücklich fest, dass alle Ausbauplanungen und vergleichbaren Unterhaltungsmaßnahmen an Mittel- und Oberelbe abzubrechen seien.

Alternativen zur Elbe

Mehr als zwei Jahre später scheint die Erinnerung an die dramatischen Überschwemmungsbilder aus der Elberegion zu verblassen. Klaus Mayhack, Vorstandsmitglied im VCD-Kreisverband Lüchow-Dannenberg, hat beobachtet, dass wieder an einzelnen Stellen mit Unterhaltungsmaßnahmen in den natürlichen Flussverlauf eingegriffen wird. Die Lobbyisten der Binnenschifffahrt drängen auf den Ausbau der Elbe durch Buhnenverstärkung, Ausbaggerungen und Staustufen. Das jedoch würde das Ökosystem Elbe gravierend verändern. Klaus Mayhack: „Wir brauchen ein Gesamtkonzept für die Elbe.“ Nur so seien die Anforderungen an Naturschutz, Hochwasserschutz, Binnenschifffahrt und Ausweitung des Tourismus’ unter einen Hut zu bringen. Derzeit, sagt Mayhack, könne das Transportvolumen der Elbebinnenschifffahrt durch einen zusätzlichen Güterzug pro Tag aufgenommen werden. Zudem gibt es für die Binnenschifffahrt mit dem Elbe-Seitenkanal eine Alternative zur Elbenutzung.

Drunter und drüber: Ob Binnenschiffe umweltverträglich unterwegs sind, ist umstritten.

Einen besonders undankbaren Part im Kompetenz-Wirrwarr für die Flüsse hat das Bundesumweltministerium: Längst hätte die EU-Wasserrahmenrichtlinie vom 23.10.2000 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Ziel ist es, bis 2015 EU-weit einen guten Gewässerzustand zu erreichen und zu diesem Zweck bis 2009 nationale Bewirtschaftungs- und Maßnahmepläne zu erarbeiten. Das Umweltministerium hat seine Hausaufgaben erledigt. Doch da der Bund in der Wasserpolitik nur für die Rahmengesetzgebung zuständig ist, müssen die Bundesländer die Richtlinie umsetzen, und das haben Berlin, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt bisher nicht gemacht. „Inzwischen hat die EU-Kommission Klage gegen Deutschland beim Europäischen Gerichtshof eingereicht“, sagt Ministeriumssprecher Thomas Hagbeck, denn die EU mache den säumigen Mitgliedsstaat haftbar, nicht einzelne Bundesländer.

Ähnlich sieht es beim Hochwasserschutzgesetz aus, das der Bundestag im Sommer 2004 beschlossen hat, das aber wegen der Intervention des Bundesrates bisher nicht in Kraft treten konnte. Gerade dieses Gesetz steht im Widerspruch zu den von der Binnenschifffahrtslobby geforderten und vom Bundesverkehrsministerium zugesagten Ausbauprojekten: Laut Hochwasserschutzgesetz soll den Flüssen mehr Raum gegeben werden, sie sollen ihrem natürlichen Verlauf folgen und nicht begradigt werden.

Eine offene Kontroverse zwischen Umwelt- und Verkehrsministerium gibt es nicht. Aber die unterschiedlichen Einschätzungen sind unübersehbar. Anders als im Haus von Minister Jürgen Trittin (B 90/ Grüne) bestreitet man im Stolpe-Ministerium einen Zusammenhang zwischen Flussausbau und potentiellen Hochwassern: „Alle Ausbauprojekte von Bundeswasserstraßen wurden auf ihre Hochwasserneutralität überprüft, mit dem Ergebnis, dass keine signifikanten Einflüsse auf die Hochwasserstände vorhanden sind oder sogar leichte Verbesserungen zu erzielen sind“, stellt Ministeriumssprecher Richard Schild fest.

Die BUND-Wasserexperten Manfred Krauß und Winfried Lücking gelangen in einer von Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt geförderten Studie zu einem anderen Ergebnis: „Durch die Begradigung und Kanalisierung der Flüsse kommt es zu einem schnelleren Abfluss des Wassers. (…) Durch die Eindeichung des Flussbetts wurden die Auen zerstört, und die Hochwasserretentionsräume gingen verloren. Dies führt zu einer verstärkten Hochwassergefährdung für die Unterlieger.“

Wasserstraße Kanal

Die Binnenschifffahrtslobby spielt die Probleme herunter. „Während der Ausbauphase wird in die Natur eingegriffen“, sagt Erwin Spitzer vom Bundesverband Deutsche Binnenschifffahrt. „Doch anschließend regeneriert sie sich auch wieder, wie am Rhein-Main-Donau-Kanal zu sehen ist.“ Dieses in der Vergangenheit höchst umstrittene Projekt zieht Spitzer als Beweis einer vorausschauenden Verkehrsplanung heran, während der frühere Bundesverkehrsminister Volker Hauff den Ausbau als „größte Dummheit seit dem Turmbau zu Babel“ bezeichnete. Spitzer sieht hingegen viel Zukunftspotential in diesem Wasserweg. „Die Verkehrsströme Richtung Osteuropa werden zunehmen, und der Main-Donau-Kanal hat Kapazitätsreserven.“ Im Moment werden über die Wasserstraße etwa sieben Millionen Tonnen Güter jährlich transportiert, konzipiert wurde sie für 20 Millionen Tonnen.
Mit Blick auf mehr Gütertransport von und nach Osteuropa plädiert der Binnenschifffahrtsverband auch für den zügigen Ausbau der Havel. Während Spitzer dieses Vorhaben als alternativlos bezeichnet, weisen Kritiker auf die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen hin, zu denen der Ausbau der Havel für große Binnenschiffe und ein Wasserstraßenkreuz bei Magdeburg zählen. Der frühere Berliner und heutige Europaabgeordnete von B 90/Grüne, Michael Cramer, forderte mehrfach den Stopp des Projektes. „Über zwei Milliarden Euro auszugeben für zwei bis drei große Schiffe pro Woche ist die reinste Geldverschwendung“, stellte er Ende 2003 fest. Tatsächlich basiert der Ausbau immer noch auf Prognosen, die Anfang der 90-er Jahre von einer erheblichen Steigerung des Güterverkehrs Richtung Berlin ausgingen. Die inzwischen angesetzten zwei großen Güterbinnenschiffe täglich sowie einen Großschubverbund wöchentlich könnte die Havel auch im derzeitigen Ausbauzustand aufnehmen. Für die minimale Frachterhöhung wurden bereits 1,7 Milliarden Euro in den Flussausbau gesteckt. Weitere rund fünf Milliarden, sagt Winfried Lücking vom BUND, verschlang die Modernisierung des Mittellandkanals. Eine Milliarde Euro wird nun noch benötigt, um das einzige Wasserstraßenprojekt aus dem Verkehrsprogramm „Deutsche Einheit“ abzuschließen. Wo das Geld herkommen soll, bleibt offen, denn der Bund hat insgesamt 700 Millionen Euro für alle Wasserstraßenprojekte aus dem Bundesverkehrswegeplan bis 2015 zur Verfügung.

Ausbau zerstört den Fluss

Auch deshalb meinen Umweltschützer, dass die Binnenschifffahrt zwar gefördert werden soll – jedoch nicht durch teure, ineffiziente und Natur zerstörende Flussausbauten. „Entwicklungspotenziale bieten der Transport von Containern und Stückgütern sowie Spezialtransporte. Dazu sind jedoch moderne Schiffe und Umschlagseinrichtungen nötig – nicht aber Großschiffe mit immer mehr Tiefgang“, sagt Manfred Krauß vom BUND. Auch der Bundesverband Deutsche Binnenschifffahrt setzt verstärkt auf Containertransport, dabei aber auch auf große Schiffe und ausgebaute Wasserwege. Bestärkt fühlt sich der Verband durch ein Gutachten des „Europäischen Entwicklungszentrums für Binnen- und Küstenschifffahrt“, das sich im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums mit der Effizienz „flussangepasster Binnenschiffe“ auseinandersetzt. Es kommt zu dem Ergebnis, dass größere Transportschiffe sowohl ökonomische wie technische Vorteile gegenüber kleineren Modellen hätten.

Ein Ende der Kontroverse ist nicht absehbar. Für Zurückhaltung beim Flussausbau sorgt derzeit allein die Haushaltslage des Bundes. Im Interesse der Ökologie wünscht vermutlich manch’ Umweltschützer, dass sie noch möglichst lange so desolat bleibt wie sie derzeit ist.

Gudrun Giese

 

Richard Mergner, verkehrspolitischer Sprecher des Bund Naturschutz Bayern und langjähriges VCD-Mitglied.

 

Der Donau-Skandal

fairkehr: Was ist das Besondere an den 70 Kilometer freifließender Donau von Straubing bis Vilshofen?
Mergner: Dieses Stück Fluss ist ein Hotspot der Artenvielfalt. Diese Flusslandschaft ist als besonders schützenswertes „Natura 2000”-Gebiet ausgewiesen.
fairkehr: Der Deutsche Bundestag hat sich im Jahr 2002 für einen sanften Ausbau der Donau entschieden. Wo liegt das aktuelle Problem?
Mergner: Hier liegt der eigentliche Skandal. Seit Januar diesen Jahres führt die Regierung von Niederbayern ein Raumordnungsverfahren durch, in dem auch Varianten mit Staustufen untersucht werden. Damit will der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu, der Initiator des neuen Verfahrens, durch die Hintertür die Bundesentscheidung aushebeln.
fairkehr: Es fahren doch bereits heute Schiffe auf der Donau.
Mergner: Wir wollen eine Vergewaltigung des Flusses verhindern. Gegen angepasste verbesserte Schifffahrt haben wir nichts. Geht es nach Wiesheus Willen, wird die Betonlobby bedient. Das verstößt gegen europäisches Recht und gegen den Beschluss des Bauherrn, die Bundesrepublik Deutschland. Wir werden das nicht zulassen. Deshalb rufen wir in einem breiten Bündnis auch mit dem VCD zum Widerstand auf. Am 5. Mai findet in Niederalteich eine Großkundgebung statt.
Weitere Infos in Natur + Umwelt 1/05; www.bund-naturschutz.de

 

Umweltfreundliches Binnenschiff?

Der Gütertransport per Binnenschiff ist mit dem positiven Vorurteil der Umweltfreundlichkeit besetzt. Eine Untersuchung des Umweltbundesamtes zum Energieverbrauch und Kohlendioxidausstoß von Binnenschiffen im Vergleich zur Bahn zeigt allerdings, dass an dieser Stelle umgedacht werden muss.

Verglichen wurde der Transport von 2500 Tonnen Warenmenge für die Strecken Hamburg–Berlin, Duisburg–Mannheim, Mannheim–Basel (und zurück). Primärenergieverbrauch und Kohlendioxidemissionen wurden für die Bahn mit 100 Prozent angesetzt. Verglichen damit ergab sich für ein 1200 Tonnen-Schiff ein Primärenergieverbrauch von 200 und ein CO2-Ausstoß von 263 Prozent. Ein 2500 Tonnen-Schiff verbrauchte 186 Prozent Primärenergie und lag bei 245 Prozent der vergleichbaren CO2-Emissionen.

Besonders eklatant fiel der Unterschied bei den emittierten Stickoxiden aus: Hier lagen die Binnenschiffe noch über dem Ausstoß von Lkw, nämlich bei 129 Prozent. Verglichen mit der Bahn emittierten sie 1593 Prozent Stickoxide (Bahn = 100 Prozent).

„Das Durchschnittsalter der Binnenschiffe beträgt derzeit 51 Jahre, das der Motoren 36 Jahre“, sagt Winfried Lücking vom BUND. Die Vorstellung vom umweltfreundlichen Binnenschiff, sie gehört wohl ins Reich der Legenden.

gg

 

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