Service 2/2005

Schlichtungsstelle Mobilität

An Einigung interessiert

Am 1. Dezember 2004 nahm die Schlichtungsstelle Mobilität ihre Arbeit unter dem Dach des VCD in Berlin auf. Über 500 Streitfälle wurden bereits zur Schlichtung eingereicht. Sechs hochmotivierte Mitarbeiter versuchen sich am salomonischen Urteil. Bisher mit großem Erfolg.

Foto: David Ausserhofer

Das Team der Schlichtungsstelle Mobilität (v.l.n.r.): Iris Meigel, Markus Franke, Birgit Zandke-Schaffhäuser, Sandro Battistini und Ute Buchen

„Wie? Sie können sich nicht zehn Stunden beschäftigen? Der Flughafen ist doch groß .“ Solche Sprüche müssten sich Fluggäste auch bei der ehrenwerten Lufthansa gefallen lassen, berichten die Mitarbeiter der Schlichtungsstelle Mobilität. „Bei Iberia, der spanischen Airline, werden viele Beschwerden durch Liegenlassen bearbeitet“, weiß Ute Buchen inzwischen. Bei Ryanair spreche man prinzipiell nur englisch und die Deutsche Bahn lasse uneinsichtige Fahrgäste gerne auch mal vom Bundesgrenzschutz aus den Zügen entfernen. Alltag auf Reisen. Wer viel mobil ist, stößt immer wieder an Grenzen. Oft auch an die Grenzen des Fingerspitzengefühls beim betreuenden Personal.

Kein Wunder also, dass die am 1. Dezember letzten Jahres neu eingerichtete Schlichtungsstelle Mobilität unter dem Dach des VCD in Berlin alle Hände voll zu tun hat.

In über 500 Beschwerdefällen haben unzufriedene Kunden von Mobilitätsunternehmen bisher die Schlichtungsstelle eingeschaltet. Rund zwei Drittel der Beschwerden beziehen sich auf den Bahnverkehr, ein Drittel auf den Flugverkehr. Reisebusse und Fähren sind bisher kaum ins Gewicht gefallen. „Die meisten Bahnkunden ärgern sich über missverständliche Auskünfte und Preise“, zieht Iris Meigel eine erste Bilanz. Ein Detailproblem, das häufig für Unmut sorge, sei die Bezahlung von Internettickets mit Kreditkarte. „Wechselt der Fahrgast nämlich zwischen Kauf des Fahrscheins und der Fahrt seine Karte, so stimmt das im Netz hinterlegte ID-Profil nicht mehr“, erklärt Meigel die scheinbare Lappalie. „Das passiert offenbar häufiger, als man so denkt. Zugbegleiter fordern dann häufig Nachzahlung oder den Kauf eines ganz neuen Tickets .“ Wer sich dann weigert zu zahlen, macht schon mal Bekanntschaft mit dem Bundesgrenzschutz. So erging es auch einem anderen Bahnkunden, der sein Fahrrad im Fernverkehr in einem leeren Gepäckabteil mitnehmen wollte, allerdings keine Reservierung dafür hatte. Da er die bürokratische Auslegung der Regel, ohne Reservierung keine Fahrradmitnahme, nicht akzeptierte, wurde er mitsamt Zweirad von der Staatsgewalt entfernt. Überreaktionen des oft gestressten fahrenden Personals.

Duldsame Fluggäste

Beim professionell organisierten „Kundendialog“ der DB AG ist man bemüht, den daraus entstehenden Imageschaden zu begrenzen. Meist handeln die Schlichter eine etwas höhere finanzielle Entschädigung aus, als Bahn oder Fluggesellschaft von sich aus bereit waren, zu zahlen. „Wichtiger als Geld ist einem derart vergrätzten Kunden aber oft eine offizielle Entschuldigung des Unternehmens“, sagt Sandro Battistini. „Meist zielen unsere Schlichtungsvorschläge deshalb auch dahin, dass wir eine schriftliche Stellungnahme des Unternehmens bewirken.“ Bisher wurden fast alle Schlichtungsvorschläge von beiden Seiten akzeptiert. Die Erfahrungen mit den zuständigen Bearbeitern bei der DB AG sind positiv. „Man ist dort eindeutig an Einigung interessiert“, stellt das Bearbeitungsteam unisono fest.

Im Flugverkehr sorgen vor allem vier Probleme für Kundenärger: Verspätungen, Annulierungen, Überbuchungen und Gepäckschäden oder -verluste. Die Kooperationsbereitschaft bei allen Fluggesellschaften sei schlechter als bei der Bahn, stellen die Schlichter fest. Bei den skandinavischen Airlines gebe es noch die wenigsten Probleme, bei Lufthansa und Air France die meisten. Aber auch die spanische Iberia und die zahlreichen Billigflieger behandelten unzufriedene Kunden eher wie lästige Querulanten. „Die Frustrationstoleranz bei Fluggästen ist allerdings deutlich höher als bei Bahngästen“, hat Ute Buchen erfahren. „Wenn der Zubringerzug zum Flughafen eine halbe Stunde Verspätung hat und daraus Stress beim Einchecken am Flughafen entsteht, weil die Airline eine Stunde vor Abflug schon den Check-in-Schalter schließt, dann beschwert sich der Kunde über die Zugverspätung und nicht über die Airline“, nennt sie ein typisches Beispiel. Auch arrogantes Ignorieren von Gesetzesänderungen wurde den Schlichtern schon gemeldet. Seit dem 17. Februar gilt eine neue EU-Verordnung, die mehr Kundenrechte, insbesondere bei Annulierungen von Flügen regelt. „Einem Fluggast wurde von einer Lufthansa-Mitarbeiterin beschieden, die Lufthansa halte sich nicht an die neuen Bestimmungen, weil sie diese nicht gut finde“, erklärt Sandro Battistini.

Überhaupt, so scheint es, scheuen alle Verkehrsunternehmen gesetzlich verbriefte Kundenrechte wie der Teufel das Weihwasser. Birgit Zandke-Schaffhäuser erarbeitet nach und nach die juristischen Grundlagen, auf die die Schlichtersprüche gestützt werden können. Das vorhandene Instrumentarium ist eher mager. Die Rechte der Bahnkunden gründen nach wie vor auf ein Gesetz aus dem Jahre 1938. Im Allgemeinen Eisenbahngesetz § 17 EVO ist ein prinzipieller Haftungsausschluss der Bahn geregelt. „Diese grundlegende Unzuständigkeit für Fehlleistungen der DB AG besteht bis heute fort“, erklärt die Juristin im Schlichtungsteam. Die Kundencharta aus dem vergangenen Jahr sei juristisch gesehen wie eine Allgemeine Geschäftsbedingung zu werten und damit kaum mehr als eine freiwillige Selbstverpflichtung. „Außerdem beziehen sich die allermeisten Schlichtungsvorschläge, die wir bisher erarbeitet haben, auf Dinge, die nicht in der Kundencharta geregelt sind“, erklärt Zandke-Schaffhäuser. Vieles bleibe damit auch weiterhin im Bereich von „good-will“-Entscheidungen der Bahn.

Effizientes Verfahren

Etwas verbindlicher sei die gesetzliche Lage beim Flugverkehr geregelt, sagt Zandke-Schaffhäuser. „Immerhin gibt es hier völkerrechtlich verbindliche Verträge, wie das Montrealer Übereinkommen oder eben die neue EU-Verordnung, die seit dem 17. Februar insbesondere bei Flugannulierungen klare Entschädigungsregelungen vorsieht.“ Außerdem gelte ein Flug als Fixgeschäft. „Das heißt, dass der Fluggast, anders als der Bahnkunde, auch einen Anspruch darauf hat, dass die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht wird“, erklärt die Juristin.

„Ziel ist es, nach der Anlaufphase möglichst schnell und effizient die Fakten über eine Datenbank verfügbar zu haben“, umreißt Markus Franke eines seiner Betätigungsfelder im Schlichtungsteam. Franke ist Stadtplaner und Betriebswirt und soll die Arbeit des Teams strukturieren. Auf einem A3 Bogen hat er einen Ablaufplan skizziert. In einer Reihe von Wenn-Dann-Beziehungen hat Franke den Ablauf eines Schlichtungsgesuchs durchgespielt. „Zunächst muss klar sein, dass wir überhaupt zuständig sind“, erklärt er. Dies ist nur beim Personenfernverkehr gegeben. Nicht bei Nahverkehr, nicht bei Pauschalreisen und nicht bei Gütertransporten mit Ausnahme von Gepäckstücken. Außerdem ist entscheidend, dass die Kunden schon mindestens einmal ihr Anliegen dem betreffenden Verkehrsunternehmen vorgetragen haben. „Erst dann gibt es ja etwas zu schlichten“, macht Franke die Grundidee der Schlichtungsstelle deutlich. Wenn dies klar belegt sei, dann wird die Beschwerde auf ihre Rechtmäßigkeit abgeklopft und entschieden, welcher Anspruch besteht. Auf dieser Grundlage wird dann den Streithähnen ein Schlichtungsvorschlag unterbreitet. „Für vergleichbare Fälle muss auch ein gleicher Schlichtungsvorschlag unterbreitet werden“, erklärt Franke den Sinn des Verfahrens. Außerdem sei es Aufgabe der Schlichtungsstelle, auf strukturelle Missstände hinzuweisen. „Die lassen sich allerdings nur erkennen und belegen, wenn die bearbeiteten Fälle klar dokumentiert sind.“

Gute Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit mit der VCD-Bundesgeschäftsstelle lobt Franke ausdrücklich. „Ohne die Verknüpfung mit Know-how und Infrastruktur des VCD wären wir noch längst nicht so gut sortiert .“ Das Lob gibt die zuständige Verkehrsreferentin des VCD, Heidi Tischmann, zurück: „Am 1.12. letzten Jahres erhielten wir die Bewilligung der Gelder aus dem Bundesverbraucherministerium. Am gleichen Tag startete die Schlichtungsstelle ihre Arbeit. Das war eine organisatorische Glanzleistung.“ Dass der VCD die richtige Wahl als Träger für die Schlichtungsstelle ist, daran lässt Tischmann keinen Zweifel. „Die Schlichtungsstelle arbeitet verkehrsträgerübergreifend, genauso wie der VCD. Da dieser Komplettansatz einzigartig ist, war der VCD die natürliche Wahl.“

Auch den mancherorts geäußerten Verdacht, der VCD könne möglicherweise nicht neutral agieren, findet sie absurd. Die Schlichtungsstelle bearbeite konkrete Fälle, der VCD mache Verkehrspolitik. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. „Und im übrigen haben Fahr- oder Fluggäste auch nicht immer Recht .“

Michael Adler

 

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