Politik 2/2005

Verkehrsstau

Beginn und Ende im Kopf

Straßenstaus bestehen größtenteils aus Autos. Der Rest ist pure Psychologie. Leider verhalten sich die Wagenlenker oft unvorhersehbar. Und helfen kann ihnen auch noch niemand so recht – nicht einmal die Technik.

Foto: www.photocase.de

Dieser Verkehr läuft. Und läuft. Und läuft. Schön wäre das ja, in Anlehnung an eine alte Käfer-Reklame von VW. Doch in Wahrheit stockt das Straßengeschehen oft wie sauer gewordene Milch.

Seit langem tüfteln Fachleute an Wegen, wie sich Staus verhindern oder wenigstens mäßigen und schnellstmöglich auflösen lassen. Die größte Unbekannte in ihren Rechenmodellen ist dabei die Psyche des Autofahrers.
Das weiß in Deutschland kaum jemand besser als Professor Michael Schreckenberg, der an der Universität Duisburg die Arbeitsgruppe „Physik von Transport und Verkehr“ leitet. Wenn zu viele Informationen auf die Autofahrer einstürmen und die Folgen einer Entscheidung vernebeln, entschieden Menschen „fast intuitiv“, sagt Schreckenberg. Unvorhersehbar ist ihr Verhalten, wenn zum Beispiel eine Stauwarnung auf einen gestressten Fernfahrer oder einen Pkw-Piloten trifft, dessen Frau ihn dringend gebeten hat, nur ja nicht wieder das gemeinsame Abendessen zu versäumen. Gute Stau-Prognosen müssen deshalb bestmöglich auch die unvernünftigen oder widersprüchlichen Fahrer-Reaktionen berücksichtigen.

Zocker und Ignoranten

Zusammen mit dem Bonner Wirtschafts-Nobelpreisträger und Spieltheoretiker Reinhard Selten haben die Duisburger Stauforscher drei Typen von Autofahrern ermittelt: Die erste Sorte ändert ihre Route fast nie, weshalb Stauwarnungen an ihnen abprallen. Solche Menschen „ignorieren alles, weil sie sich für cleverer halten als jedes Stau-Infosystem“, sagt Schreckenberg. Eine zweite, große Gruppe verändert nach unguten Erfahrungen mit Staus bereitwillig ihren Kurs, etwa nach dem Motto: Heute Stau und morgen vermutlich auch wieder! „Das sind die Sensiblen, die sofort zusammenschrecken, wenn ein Stau zu erwarten ist, und sofort die Route ändern“, erklärt der Duisburger Verkehrsexperte diesen Typus. Doch es gibt auch noch den „gegenläufigen Typ“, den Schreckenberg salopp als „Zocker“ bezeichnet. Er fährt „in vielen Fällen extra genau an den Ort des Staus“. Denn Zocker folgen der Strategie: „Erstens ist die Meldung bestimmt überaltert – zumal da Staus häufig zwar an-, aber nicht mehr abgemeldet werden“, wie Schreckenberg bemängelt. „Und zweitens denken sie, dass die Warnung so viele andere Fahrer abschreckt, dass die Strecke leer sein wird, wenn sie selber dort ankommen.“

Ohnehin stellt sich die Frage, wie sinnvoll die herkömmlichen Stau-Meldungen im Radio sind – vor allem, wenn sie auf ortsfremde Fahrer treffen. Die Durchsagen beschränken sich meist auf die Angabe des verstopften Streckenabschnitts und der Staulänge und „werden zum großen Teil nicht beachtet“, sagt Professor Alf Zimmer, Verkehrspsychologe an der Universität Regensburg. Doch warum? „Sich von einer Strecke, die man kennt, zu entfernen, mögen viele Leute zum einen nicht“, sagt Zimmer. Zum anderen überfordere sie so ein Manöver: „Sie haben Angst, verloren zu gehen und nehmen den Stau lieber hin.“

Hinzu kommt bei Staus auf überlasteten Straßen scheinbar Paradoxes: Wenn nur etwa zehn Prozent der Autoradio-Hörer der Umweg-Empfehlung folgten, verflüchtigt sich der gemeldete Stau in vielen Fällen. „Aber die zehn Prozent, die ausweichen, fahren auf dem Umweg länger“, fügt Zimmer hinzu. Und der große Rest, der trotz Stauwarnung weitergefahren ist, stellt am Ende fest, „dass sich der Stau schon wieder aufgelöst hat“. Derlei verringert das Vertrauen in die Durchsagen. Stauforscher Schreckenberg nennt dieses Problem die „sich selbst zerstörende Prognose“.

Programme wirken wenig

Im Radio oder auf Lichttafeln nur die Staulänge anzugeben, finden Stau-Experten höchst unzureichend. „Das ist noch ein Zugeständnis an jene Zeiten, als man es noch nicht besser wusste“, sagt Schreckenberg. Die Länge eines Staus sage „wenig darüber aus, wie lange man wirklich stehen oder zum Durchfahren des Staubereichs brauchen wird“. Und genau das, die so genannte Stauverlust-Zeit, sei die „wichtige Größe“. Sie schreckt viel eher ab als eine Kilometerzahl, deren Effekt verborgen bleibt.

Das Verhalten der Autofahrer auch nur halbwegs realistisch vorwegzunehmen, ist ein heikles Unterfangen. „Verkehr hat ja die besondere Eigenschaft, dass hier die Minderheit gewinnt – anders als in der Politik“, sagt Schreckenberg. Denn im Verkehr sei die Minderheit „alleine auf einer Strecke und damit am schnellsten“. Jeder Autofahrer versucht, zu dieser möglichst kleinen Gruppe zu gehören. Lange geht das nicht gut.
So versuchen viele Autofahrer gezielt dann zu fahren, wenn möglichst wenige andere dasselbe tun. Bekannt sind die Empfehlungen der Automobilclubs, möglichst bei Ferienbeginn und nicht am Wochenende zu starten. „Man kennt aber den Effekt, dass gerade dann gar nichts los ist und alle fahren fünf Stunden früher oder später“, weiß nicht nur Schreckenberg. Hier fehle es an „Kooperation“ zwischen den Verkehrsteilnehmern. „Deshalb haben wir mal an eine Art Internet-Börse gedacht, bei der man seine Routenwünsche bekannt gibt und dann mitgeteilt bekommt, was zum Beispiel morgen früh auf der Strecke zu erwarten ist.“ Wem das zu lange dauert, könnte sich wieder austragen aus der Liste der voraussichtlichen Streckennutzer – so die Idee der Duisburger Verkehrsforscher. Ihr Erfolg würde jedoch davon abhängen, dass genügend Autofahrer mitmachen beim Online-Routenplanen. Zudem müssten sie es der Streckenbörse sehr diszipliniert melden, wenn sie am Ende doch lieber eine andere Fahrzeit oder Route bevorzugen.

Viele Hoffnungen ruhen auf intelligenten, stauempfindlichen Navigationssystemen, wie sie in etlichen Autos schon im Einsatz sind. Doch da die Programme sich wohl nie millionenfach untereinander abstimmen und gleichzeitig die Kontrolle über die Autos übernehmen werden, dürfte ihre Wirkung immer begrenzt sein.

Foto: Bilderbox

VCD-Forderung Tempolimit
Bei einem gleichmäßigen Verkehrsfluss mit geringen Geschwindigkeitsunterschieden entsteht erst gar kein Stau. „Physikalische Experimente der Strömungslehre belegen diese These”, erklärt der VCD-Vorsitzende Michael Gehrmann. „Die logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis: Ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen verhindert Staus.”

Was derzeit an solchen Geräten auf dem Markt ist, locke die Fahrer bei angekündigten Staus „unheimlich schnell von der Autobahn herunter“, sagt Michael Schreckenberg. „Die legen einen unheimlichen Aktionismus an den Tag, auch um ihren eigenen Wert zu bestätigen.“ Denn riete ein solches System immer dazu: „Fahr ruhig in den Stau, ich weiß nix Besseres“, würde es niemand anschaffen.

Dabei wäre die Parole „Weiter so!“ in aller Regel die beste Option. Schreckenberg zufolge haben Tests der Navigationshilfen durch Fachmagazine stets ergeben, „dass man dadurch sowohl Zeitverluste hat und Umwege gefahren ist. Gegenüber dem Fahren direkt in den Stau hinein war das jedenfalls immer von Nachteil.“

Der Regensburger Verkehrspsychologe Alf Zimmer weiß auch, woran das liegt: „Die Systeme und damit auch ihre Empfehlungen sind nicht ausgereift.“ Ausweichempfehlungen müssten gestoppt werden, bevor zu viele Navigationshilfen ihre Wagenlenker auf die Alternativroute schicken (siehe Interview).

Pingpong-Effekte

Denn auch die beste Ausweichempfehlung, egal ob per Radio oder Lichtschalttafel an der Straße mitgeteilt, droht sich rasch selbst zu erledigen. Stauforscher nennen das den „Pingpong-Effekt“. Schreckenberg kennt ein gutes Beispiel für Nordrhein-Westfalen, wo 80 Prozent der Staus schlicht dadurch entstehen, „dass einfach zu viele Leute zur selben Zeit auf der selben Strecke unterwegs sind“. Wer von Dortmund nach Duisburg möchte, kann die Autobahnen 40 oder 42 nehmen. „Die A 42 ist normalerweise etwas freier, bedeutet aber einen kleinen Umweg“, sagt Schreckenberg. „Wenn ich nun melde, dass zehn Minuten schneller ist, wer die 42 nimmt, dann verlagere ich damit den Verkehr dorthin und fülle die A 42 in kurzer Zeit auf.“ Die Folge: Wegen eines Staus auf der A 42 müsse man „wieder melden, lieber doch die A 40 zu nehmen“.
Vielleicht ist jetzt klarer, warum alle Bundesbürger zusammen pro Jahr 537000 Jahre im Stau verbringen – pro Kopf fast 58 lähmende Stunden. Auch das hat Schreckenberg ausgerechnet.
Walter Schmidt

 

Überflüssiges Stocken

Verkehrsexperten verstehen inzwischen, wie Staus selbst aus dem Nichts entstehen können – also nicht wie meist als simple Folge zu vieler Autos auf den Straßen. Der Hauptgrund unnötiger Staus sind überreagierende Fahrer: Der erste Wagenlenker bremst, weil möglicherweise zu dicht aufgefahren, plötzlich ab. Der Zweite geht noch heftiger in die Eisen, woraufhin das dritte oder vierte Auto ganz stoppen muss. Löst der Stau sich später auf, wundert sich jeder Beteiligte, wieso es überhaupt dazu gekommen ist.
Ein eher ersichtlicher Grund sind Gaffer, netter „Schaulustige“ genannt. Wo immer ein Unfall passiert, glotzt es von der Gegenfahrbahn herüber. So bleibt die eine Fahrtrichtung der Autobahn selten allein in ihrem Stillstand.

 

„Noch nicht ausgereift“

Navigationshilfen, die Stau-Meldungen verarbeiten können, schicken zu viele Autofahrer auf Abwege. Für fairkehr sprach Walter Schmidt mit dem Verkehrspsychologen Professor Alf Zimmer. Zimmer ist Rektor der Universität Regensburg.

fairkehr: Herr Zimmer, wie beurteilen Sie den Nutzen von Navigationssystemen, die aktuelle Staus berücksichtigen? Sind diese Programme sinnvoll?
Zimmer: Sie können positive Effekte haben. Doch diese Systeme und damit auch ihre Empfehlungen sind nicht ausgereift. Ein Beispiel: Angenommen, so ein System meldet: „Die Route wird wegen aktueller Verkehrsmeldungen neu berechnet.“ Dann fährt man vielleicht noch drei Kilometer weiter, weil man das nach den Empfehlungen so machen soll, und dann kommt dieser Hinweis, die Route werde neu berechnet, schon wieder.
fairkehr: Welche Ursache hat das?
Zimmer: Das liegt an den zu kurzfristigen Prognosen. Es laufen vielleicht zwei Strecken parallel, eine Bundesstraße und eine Autobahn. Ist die Autobahn überfüllt, rät das Navigationssystem dazu, auf die Bundesstraße zu fahren – was nur dazu führt, dass diese kurz darauf voll ist. Also werden die Leute auf die Autobahn zurückgeschickt. Das verwirrt, und es optimiert natürlich nicht gerade den Verkehrsfluss.
fairkehr: Was wäre in diesem Fall denn besser?
Zimmer: Man müsste mit den Empfehlungen für die Bundesstraße schon aufhören, bevor deren maximale Aufnahmefähigkeit erreicht ist. Nur dann kann der Verkehr dort noch fließen. Und es kommt auf beiden Straßen zu weniger Spurwechseln, die ihre Kapazität weiter verringern und zusätzliche Staus bewirken.

 

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