Politik 2/2005VerkehrsstauBeginn und Ende im KopfStraßenstaus bestehen größtenteils aus Autos. Der Rest ist pure Psychologie. Leider verhalten sich die Wagenlenker oft unvorhersehbar. Und helfen kann ihnen auch noch niemand so recht – nicht einmal die Technik.
Dieser Verkehr läuft. Und läuft. Und läuft. Schön wäre das ja, in Anlehnung an eine alte Käfer-Reklame von VW. Doch in Wahrheit stockt das Straßengeschehen oft wie sauer gewordene Milch. Seit langem tüfteln Fachleute an Wegen, wie sich Staus
verhindern oder wenigstens mäßigen und
schnellstmöglich auflösen lassen. Die größte
Unbekannte in ihren Rechenmodellen ist dabei die Psyche des
Autofahrers.
Zocker und IgnorantenZusammen mit dem Bonner Wirtschafts-Nobelpreisträger und Spieltheoretiker Reinhard Selten haben die Duisburger Stauforscher drei Typen von Autofahrern ermittelt: Die erste Sorte ändert ihre Route fast nie, weshalb Stauwarnungen an ihnen abprallen. Solche Menschen „ignorieren alles, weil sie sich für cleverer halten als jedes Stau-Infosystem“, sagt Schreckenberg. Eine zweite, große Gruppe verändert nach unguten Erfahrungen mit Staus bereitwillig ihren Kurs, etwa nach dem Motto: Heute Stau und morgen vermutlich auch wieder! „Das sind die Sensiblen, die sofort zusammenschrecken, wenn ein Stau zu erwarten ist, und sofort die Route ändern“, erklärt der Duisburger Verkehrsexperte diesen Typus. Doch es gibt auch noch den „gegenläufigen Typ“, den Schreckenberg salopp als „Zocker“ bezeichnet. Er fährt „in vielen Fällen extra genau an den Ort des Staus“. Denn Zocker folgen der Strategie: „Erstens ist die Meldung bestimmt überaltert – zumal da Staus häufig zwar an-, aber nicht mehr abgemeldet werden“, wie Schreckenberg bemängelt. „Und zweitens denken sie, dass die Warnung so viele andere Fahrer abschreckt, dass die Strecke leer sein wird, wenn sie selber dort ankommen.“ Ohnehin stellt sich die Frage, wie sinnvoll die herkömmlichen Stau-Meldungen im Radio sind – vor allem, wenn sie auf ortsfremde Fahrer treffen. Die Durchsagen beschränken sich meist auf die Angabe des verstopften Streckenabschnitts und der Staulänge und „werden zum großen Teil nicht beachtet“, sagt Professor Alf Zimmer, Verkehrspsychologe an der Universität Regensburg. Doch warum? „Sich von einer Strecke, die man kennt, zu entfernen, mögen viele Leute zum einen nicht“, sagt Zimmer. Zum anderen überfordere sie so ein Manöver: „Sie haben Angst, verloren zu gehen und nehmen den Stau lieber hin.“ Hinzu kommt bei Staus auf überlasteten Straßen scheinbar Paradoxes: Wenn nur etwa zehn Prozent der Autoradio-Hörer der Umweg-Empfehlung folgten, verflüchtigt sich der gemeldete Stau in vielen Fällen. „Aber die zehn Prozent, die ausweichen, fahren auf dem Umweg länger“, fügt Zimmer hinzu. Und der große Rest, der trotz Stauwarnung weitergefahren ist, stellt am Ende fest, „dass sich der Stau schon wieder aufgelöst hat“. Derlei verringert das Vertrauen in die Durchsagen. Stauforscher Schreckenberg nennt dieses Problem die „sich selbst zerstörende Prognose“. Programme wirken wenigIm Radio oder auf Lichttafeln nur die Staulänge anzugeben, finden Stau-Experten höchst unzureichend. „Das ist noch ein Zugeständnis an jene Zeiten, als man es noch nicht besser wusste“, sagt Schreckenberg. Die Länge eines Staus sage „wenig darüber aus, wie lange man wirklich stehen oder zum Durchfahren des Staubereichs brauchen wird“. Und genau das, die so genannte Stauverlust-Zeit, sei die „wichtige Größe“. Sie schreckt viel eher ab als eine Kilometerzahl, deren Effekt verborgen bleibt. Das Verhalten der Autofahrer auch nur halbwegs realistisch
vorwegzunehmen, ist ein heikles Unterfangen. „Verkehr hat
ja die besondere Eigenschaft, dass hier die Minderheit gewinnt
– anders als in der Politik“, sagt Schreckenberg.
Denn im Verkehr sei die Minderheit „alleine auf einer
Strecke und damit am schnellsten“. Jeder Autofahrer
versucht, zu dieser möglichst kleinen Gruppe zu
gehören. Lange geht das nicht gut.
Viele Hoffnungen ruhen auf intelligenten, stauempfindlichen Navigationssystemen, wie sie in etlichen Autos schon im Einsatz sind. Doch da die Programme sich wohl nie millionenfach untereinander abstimmen und gleichzeitig die Kontrolle über die Autos übernehmen werden, dürfte ihre Wirkung immer begrenzt sein.
Was derzeit an solchen Geräten auf dem Markt ist, locke die Fahrer bei angekündigten Staus „unheimlich schnell von der Autobahn herunter“, sagt Michael Schreckenberg. „Die legen einen unheimlichen Aktionismus an den Tag, auch um ihren eigenen Wert zu bestätigen.“ Denn riete ein solches System immer dazu: „Fahr ruhig in den Stau, ich weiß nix Besseres“, würde es niemand anschaffen. Dabei wäre die Parole „Weiter so!“ in aller Regel die beste Option. Schreckenberg zufolge haben Tests der Navigationshilfen durch Fachmagazine stets ergeben, „dass man dadurch sowohl Zeitverluste hat und Umwege gefahren ist. Gegenüber dem Fahren direkt in den Stau hinein war das jedenfalls immer von Nachteil.“ Der Regensburger Verkehrspsychologe Alf Zimmer weiß auch, woran das liegt: „Die Systeme und damit auch ihre Empfehlungen sind nicht ausgereift.“ Ausweichempfehlungen müssten gestoppt werden, bevor zu viele Navigationshilfen ihre Wagenlenker auf die Alternativroute schicken (siehe Interview). Pingpong-EffekteDenn auch die beste Ausweichempfehlung, egal ob per Radio oder
Lichtschalttafel an der Straße mitgeteilt, droht sich rasch
selbst zu erledigen. Stauforscher nennen das den
„Pingpong-Effekt“. Schreckenberg kennt ein gutes
Beispiel für Nordrhein-Westfalen, wo 80 Prozent der Staus
schlicht dadurch entstehen, „dass einfach zu viele Leute
zur selben Zeit auf der selben Strecke unterwegs sind“. Wer
von Dortmund nach Duisburg möchte, kann die Autobahnen 40
oder 42 nehmen. „Die A 42 ist normalerweise etwas freier,
bedeutet aber einen kleinen Umweg“, sagt Schreckenberg.
„Wenn ich nun melde, dass zehn Minuten schneller ist, wer
die 42 nimmt, dann verlagere ich damit den Verkehr dorthin und
fülle die A 42 in kurzer Zeit auf.“ Die Folge: Wegen
eines Staus auf der A 42 müsse man „wieder melden,
lieber doch die A 40 zu nehmen“.
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