Titel 1/2005

Beispiel Stuttgart

Versteckte Millionen

Eine wissenschaftliche Studie soll ermitteln, wieviel der Verkehr die Stadt Stuttgart wirklich kostet. Die Kommunalpolitiker wollen- genau wissen, wofür sie ihr Geld ausgeben. fairkehr-Chefredakteur Michael Adler ging der Frage nach, ob die gewonnenen Erkenntnisse auch das Handeln beeinflussen.

Foto: www.marcusgloger.de

Die versteckten Millionen addieren sich aus vielen Einzelposten: Alleine vor Schulen muss Stuttgart 2000 Parkplätze bereithalten.

Alle klagen über leere Kassen. Aber keiner will offenbar so genau wissen, wo das knappe Geld hinfließt. Jedenfalls dann nicht, wenn es um Verkehrsausgaben geht. Kaum eine Stadt in Deutschland weiß, wieviel Geld ihres angespannten Haushaltes in den Autoverkehr fließt. Müssen allerdings kommunale Leistungen gekürzt werden, so kommt gleich nach der Kultur und den sozialen Einrichtungen der ÖPNV unter den Rasenmäher. Im inzwischen legendären Papier der Ministerpräsidenten Koch und Steinbrück ist der ÖPNV sogar ausdrücklich als „Subvention“ betitelt – und damit zur Kürzung freigegeben. Zur Subvention des Autoverkehrs sucht man bei Koch/ Steinbrück vergeblich nach einer Aussage.

2000 Parkplätze vor Stuttgarter Schulen

Stuttgart ist nun immerhin um größtmögliche Transparenz bemüht. Im Jahr 2000 hatte das „International Council for Local Environmental Initiatives” (ICLEI) in drei Modellstädten – Bremen, Dresden und Stuttgart – bereits nach den versteckten Subventionen des Autoverkehrs gesucht. Die grüne Gemeinderatsfraktion hatte in der Folge der ICLEI-Studie einen entsprechenden Antrag zur genaueren Untersuchung im Rat eingebracht. An das Verkehrswissenschaftliche Institut Stuttgart GmbH (VWI) erging der Auftrag der Stadt, Ausgaben und Einnahmen des Verkehrs zu präzisieren. „Unter dem Einzelplan 6 des Stuttgarter Haushaltes, worunter man nach der gängigen kommunalen Haushaltsstruktur die Positionen zum Verkehr vermuten müsste, fanden wir nur 55 Prozent der Ausgaben und 25 Prozent der Einnahmen“, erklärt Stefan Tritschler vom VWI. Der Rest, so hat schon ICLEI ermittelt, verbirgt sich hinter Posten wie Stadtbeleuchtung, Straßenreinigung, Rettungsdiensten, Wirtschaftsförderung oder Garten- und Friedhofsamt. Allein vor Stuttgarter Schulen mussten 2000 Parkplätze gebaut werden. Da kommen schon einige Millionen Euro zusammen, wenn man die Grundstückspreise bedenkt.

„Unsere Haltung zum Automobil hat sich verändert“, erklärt Michael Kienzle der Verkehrsexperte der Fraktion. „Während wir früher unsere Ablehnung ideologisch begründet haben, argumentieren wir jetzt sachlich mit der Markttransparenz.“ Wenngleich die Grünen den ideologischen Graben verlassen haben und nun mit ökonomischen Fakten das Auto bremsen wollen, glaubt Kienzle nicht an den politischen Durchbruch. „Die bürgerliche Mehrheit im Rat aus CDU/FDP und Freien Wählern rechnet nicht“, sagt er überzeugt. Die Mehrheit sehe nun mal Stuttgart als Autostadt. Und Auto stehe für Wirtschaftskraft und deshalb dürfe man den Autoverkehr nicht bremsen. „Mit Fakten belegt, sind diese Segnungen des Automobils in keiner Weise. Ideologisch argumentieren inzwischen die Anderen”, sinniert der Grüne.

Das Ergebnis der wissenschaftlichen Studie zu den wahren Kosten des Verkehrs in Stuttgart liegt nun schon länger im Entwurf vor. Die Verwaltung kennt es, bei der Stuttgarter Straßenbahnen AG kennt man es, allein die Politik hat es noch nicht gesehen. Mancher äußerte schon den Verdacht, dass die Zahlen nicht die Oberbürgermeisterwahl im vergangenen Jahr beeinflussen sollten. Erst im Herbst diesen Jahres sollen die Zahlen nun das Licht des Stuttgarter Gemeinderats erblicken. Bis dahin gilt die Parole: Wir können zwar über alles reden, aber wir dürfen nichts sagen.

150 Millionen Euro fehlen

Orientieren wir uns also an den ICLEI-Zahlen aus dem Jahr 2000 und dem, was bei langen Gesprächen zwischen den Zeilen herauszuhören ist: Stuttgart gibt pro Jahr rund 200 Millionen Euro für Verkehr aus. Rechnet man die Stuttgarter Straßenbahnen AG komplett mit hinzu, so landet man bei gut 500 Millionen. Stellt man Ausgaben und Einnahmen gegenüber, so ergibt sich ein eindeutiges Bild: Beim motorisierten Individualverkehr fehlen rund 85 Millionen Euro, beim ÖPNV rund 55 Millionen, beim Radverkehr knapp drei und beim Fußverkehr gut elf Millionen Euro. Die Landeshauptstadt muss also im Verkehrsbereich insgesamt mit einer Deckungslücke von über 150 Millionen Euro pro Jahr rechnen. Mehr als die Hälfte davon verursacht allerdings nicht der Hauptverdächtige ÖPNV, sondern der Autoverkehr.

Trotz dieses erklecklichen Millionenfehlbetrages teilen fast alle Verantwortlichen in Stuttgart die Überzeugung, alles sei in bester Ordnung. Jeder für sich betrachtet, hat sogar Grund dazu.

Der Fahrradbeauftragte der Stadt, Claus Köhnlein, seit 1992 im Amt, sieht Stuttgart als Fahrradstadt wachsen. Die Landeshauptstadt ist neuerdings beteiligt am Natio nalen Radverkehrsplan. Konkreter Effekt: Köhnleins Budget ist von 380000 Euro im Jahr 2003 auf jeweils 590000 für 2004 und 2005 gestiegen. Außerdem hat der Rat der Stadt einen Maßnahmenkatalog zur Förderung des Radverkehrs beschlossen. „Das ist natürlich nicht alles, was in Stuttgart für den Radverkehr ausgegeben wird“, erklärt Köhnlein. Abstellanlagen vor dem Theater würden ebenso aus anderen Etats finanziert wie die Sicherung von Kreuzungen oder die Radwege über Brücken. 6000 „Bike& Ride“-Abstellanlagen gebe es inzwischen in Stuttgart, die kostenlose Mitnahme von Fahrrädern im ÖPNV sei selbstverständlich. „Damit gilt auch die hügelige Topographie unserer Stadt nicht mehr als Argument gegen das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel“, verweist der Fahrradbeauftragte auf Erfolge. Was er machen würde, wenn er fünf oder zehn Millionen Euro zur Verfügung hätte? „Geld kann man nie genug haben“, lacht Köhnlein. Die optimale Fahrradstadt hätte er in zehn Jahren verwirklicht. An Plänen mangele es nicht. Mit mehr Geld würde alles einfach schneller gehen.

Auch Reinhold Bauer ist zufrieden. Bauer ist Arbeitsdirektor der Stuttgarter Straßenbahnen AG und stolz auf das bisher Geleistete. „Das Defizit, das die Stadt ausgleicht, lag 2004 bei 27 Millionen Euro – Tendenz fallend. Fünf Millionen fließen über Straßenbenutzungsentgelte zurück ins Stadtsäckel“, präsentiert er Zahlen. Wenn man jetzt noch bedenke, dass die SSB rund 40 Millionen Infrastrukturkosten im Gegensatz zum Autoverkehr selbst trage, dann könne man von einem Plus von 20 Millionen Euro sprechen.

Zuschussbedarf im öffentlichen Verkehr sinkt

„Außerdem greifen unsere Restrukturierungsmaßnahmen“, stellt Bauer fest. „Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit mussten wir Löhne und Gehälter senken und mit weniger Personal mehr leisten.“ Der Zuschussbedarf pro Fahrgast sank von 0,27 Euro im Jahre 1998 über 0,19 Euro in 2001 auf 0,13 Euro in 2003.

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Der öffentliche Verkehr steht zu Unrecht als größter Defizitbringer am Pranger.

Bei all diesen Anstrengungen erhält der ÖPNV in Stuttgart jedes Jahr Spitzennoten von seinen Kunden. Allenfalls weniger Geld aus Schülerausgleichsmitteln, Steuervergünstigungen und Mitteln nach dem Gemeindverkehrfinanzierungsgesetz könnte diese Erfolgsgeschichte noch ins Wanken bringen. Und wie alle ÖPNV-Chefs malt Bauer gleich den Teufel an die Wand. Das Angebot müsse zurückgefahren werden, wenn die angekündigten Kürzungen tatsächlich wirksam würden. Hat man je einen Auto-Boss nach staatlichen Mitteln rufen hören?
Welchen Maßstab muss man anlegen, um eine höhere oder geringere Förderung eines Verkehrsträgers zu rechtfertigen? Nehmen wir den Status quo. Der Modal-Split für das Jahr 2002 sagt aus, dass 43 Prozent aller Wege mit dem Auto, 24 Prozent mit dem ÖPNV, 27 Prozent zu Fuß und sechs Prozent mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden. Das Auto zieht allerdings 55 Prozent, der ÖPNV 35 Prozent des kommunalen Zuschussbedarfs auf sich, der Fußverkehr sieben und der Radverkehr gerade mal zwei Prozent.

Außerdem gelten auch für Stuttgart seit 1. Januar die neuen Grenzwerte für Luftschadstoffe der Europäischen Union. Durch die Kessellage ist die Schwabenmetropole besonders von kritischen Partikel- und Stickoxidkonzentrationen betroffen. Ohne Gegensteuern drohen Sperrungen auch in der Autostadt.
Als drittes Indiz für einen notwendigen Wandel in der Subventionspraxis darf das neue Leitbild der Stadt zitiert werden: „Sicher und familienfreundlich.” Die größte Verletzungsgefahr geht im Verkehr unbestritten vom Automobil aus. Wer also Stuttgart sicherer machen will, muss das Auto zurückdrängen. Ebenso klar ist der Zusammenhang zwischen Feinstäuben in der Luft und Atemwegserkrankungen bei Kindern. Auch hier gilt: Weniger Autos bedeuten bessere Luft und die ist eindeutig familienfreundlicher.

Der Autoverkehr kommt wie eine Naturerscheinung über die Stadt.

Selbst dieser Dreiklang aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Argumenten belässt den Grünen Kienzle pessimistisch: „Autoverkehr wird in Stuttgart wie eine Naturerscheinung behandelt. Jeden Tag wird die Innenstadt von einer halben Million Pendler überflutet. Der öffentliche Raum wird begraben von illegal abgestellten Autos“, beschreibt er Schein und Sein. Beim Auto ende die Rationalität. Die SPD verteidige das Recht des „kleinen Mannes“ auf sein „heiligs Blechle“ und die CDU die mittelständische Wirtschaft und den kleinen Handwerksbetrieb, die ohne fließenden Verkehr untergehen würden. „Fast überall in Stuttgart darf man die erste halbe Stunde frei parken“, nennt Kienzle ein Beispiel, „das haben CDU und SPD im letzten Wahlkampf einträchtig verteidigt.“ Allein dieser „Groschenpopulismus“ koste Stuttgart jährlich 350000 Euro. „Ein kleines Theater könnte damit schon gut überleben“, sagt Kienzle, der im Rat auch für Kultur zuständig ist.

VCD und ICLEI haben im Rahmen ihres EU-Projektes SIPTRAM weitere Städte unter die Lupe genommen.
Infos: ICLEI, Vivien Führ, Leopoldring 3, 79098 Freiburg, Tel.: (0761) 36892-0, www.iclei.org/europe
VCD, Michael Müller, Kochstraße 27, 10969 Berlin, Tel: (030) 280351-19,
www.vcd.org
Projektwebsite:
www.increase-public-transport.net

 

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