Titel 1/2005
Was kostet Flugverkehr?
Teure Arbeitsplätze
Flugverkehr gilt als Jobmaschine und als Wirtschaftsmotor.
Wer Flugverkehr anbietet, kann daher mit besonderer
Unterstützung der Politik rechnen – koste es, was es
wolle.
Foto: www.marcusglogler.de
Mit so viel Geld könnte man auch in
umweltfreundlicheren Branchen Arbeitsplätze schaffen.
Die Frage, was Flugverkehr kostet, ist
schnell beantwortet: Viel. Dennoch scheint er sich zu rechnen,
denn alle reißen sich um das Geschäft mit dem Fliegen.
Aktuelles Beispiel ist das Werben der europäischen
Flughäfen um die Einrichtung eines Drehkreuzes für die
Posttochter DHL. Da der Päckchenversender aufgrund der
Nachtflugbeschränkungen rund um den derzeitigen Standort
Brüssel zu wenig Expansionspotenzial sah, suchte er bessere
Bedingungen an einem anderen Flughafen. Hauptkriterium bei der
Suche: Der neue Standort darf keine Beschränkungen für
den Nachtflugverkehr haben. Etwa 12000 Flugbewegungen pro Jahr
wickelt DHL nach eigener Angabe in Brüssel ab. „Das
sind bei uns alles Nachtflüge. Das ist in unserem
Geschäft so“, sagt Pressesprecherin Rahel Erni. Daraus
sollen möglichst bald an die 30000 Flüge werden.
10000
Arbeitsplätze gegen 30 Jahre
garantierten freien
Nachtflug
Sobald die rechtlichen Fragen geklärt sind, soll der
Flughafen Halle/Leipzig als neuer Standort verkündet werden.
70 Millionen Euro hat die EU als Fördersumme für die
Investitionen im strukturschwachen Osten zugesagt. Als
Gegenleistung für die perfekt auf sie zugeschnittene
Infrastruktur zahlt DHL aber nicht etwa kräftig Miete oder
Startgebühren, an denen die Mitteldeutsche Flughafen AG, der
der Flughafen Halle/Leipzig gehört, verdienen könnte.
DHL verspricht der Region Arbeitsplätze. 1200 bei der
für 2008 geplanten Verlagerung, 3000 bis 2012, 7000 weitere
sollen durch sekundäre Effekte in der Region dazukommen,
kündigte Postchef Zumwinkel an. Ein Angebot, das eine Region
mit einer Arbeitslosigkeit von knapp 20 Prozent, nicht
ausschlagen kann.
Als im November die Entscheidung für Leipzig und gegen
Brüssel fiel, jubelte die lokale und nationale Politik
entsprechend. „Ein großer Tag für
Ostdeutschland“, freute sich auch Kanzler
Schröder.
Dabei kostet der neue Kunde den Flughafen Halle/Leipzig erst
einmal Geld – sehr viel Geld. Mit circa 340 Millionen
veranschlagt die Flughafen AG die Investitionssumme, die sie
aufbringen muss, um die DHL-Vorgaben zu erfüllen. Dazu
kommen weitere Infrastrukturinvestitionen wie beispielsweise die
Verlagerung der Anschlussstraßen und ein Güterbahnhof.
Käme – wie von der Flughafen AG gewünscht –
auch noch eine ICE-Güterverbindung zum Frankfurter Flughafen
dazu, würde das den Steuerzahler noch einmal Milliarden
kosten.
Knapp 70 Prozent der Flughafenanteile sind in der Hand des
Freistaates Sachsen, 13 Prozent hält das Land
Sachsen-Anhalt, den Rest teilen sich die Städte Leipzig,
Dresden und Halle. Um seinen Beitrag zum Flughafenausbau zahlen
zu können, hat das Land Sachsen-Anhalt die Neuverschuldung
für 2005 um 60 Millionen Euro erhöht.
Auch die Stadt Leipzig ist pleite. Die Fraktion der
Grünen im Leipziger Stadtrat fordert daher konsequent die
Abgabe der stadteigenen Flughafenanteile an den Freistaat
Sachsen. Andere Städte und Kreise haben vor Leipzig von
dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, zum Beispiel die
Gemeinde Schkeuditz, auf deren Gemarkung der Flughafen liegt.
„Leipzig ist bereits jetzt tief verschuldet“,
legitimiert Stadtrat Roland Quester die Forderung der
Grünen. „Die Kommunen können eben nur
finanzieren, was von ihrer Ausstattung her auch vorgesehen
ist.“ Dass Leipzig durch DHL reich wird, glaubt Quester
nicht: „Der Flughafen selbst hat noch nie Gewinne gemacht,
von denen die Stadt hätte profitieren
können.“
Lohnende Investitionen
Ehrgeizige Ziele verfolgte der Freistaat Sachsen mit dem
Leipziger Airport. Zu einem der bedeutendsten deutschen
Luftdrehkreuze sollte er werden. Im Jahr 2000 bekam er die
für Transatlantikflüge notwendige 3600 Meter lange
Startbahn, die etwas kürzere zweite Start- und Landebahn
wurde saniert. Ein Parkhaus folgte. 2001 kam die Abfertigungs-
und Gepäckhalle dazu und 2003, als es mit den Flugzahlen in
Leipzig längst bergab ging, der
„ICE-fähige“ Fernbahnhof, der bis heute nur vom
Nahverkehr angefahren wird. 650 Millionen Euro ließ man sich
diese Maßnahmen kosten. Geholfen hat es bisher nichts. Nach
einem kurzen Boom sanken die Fluggastzahlen. Zurück bleibt
eine Flughafengesellschaft, die auf Jahre hinaus verschuldet
ist.
Oder haben sich die Investitionen doch gelohnt, wenn DHL statt
der Olympiade nach Leipzig kommt? Um den dicken Fisch DHL an Land
zu ziehen, mussten die Flughafeneigner noch mehr Investitionen
zusagen. Das Planfeststellungsverfahren, das am 14. Januar 2005
genehmigt wurde, schreibt diverse Großprojekte fest: Der
Flughafen wird seine kürzere Landebahn so schwenken, dass
sie parallel zur bereits vorhandenen läuft, und auf 3600
Meter verlängern. Diverse Straßen werden verlegt und
Lücken geschlossen, um den Frachtverkehr besser aufnehmen zu
können, zahlreiche Wartungs- und Abfertigungshallen sowie
ein Güterbahnhof plus Gleisanschluss und Umschlaganlage
Flug/Schiene werden gebaut und das gesamte Areal
vergrößert werden.
Die Kosten dafür tragen das Land Sachsen und die anderen
Flughafeneigner – unter anderem die Stadt Leipzig. Die geht
mit der DHL-Ansiedlung ein erhebliches finanzielles Risiko ein.
Die Olympiabewerbung und die kostspielige Ansiedlung der
Produktionsanlage von BMW haben die Stadt an den Rand der
Zahlungsunfähigkeit gebracht. Den Leipzigern droht die
dritte Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuer innerhalb von
drei Jahren, diesmal für den Flughafenausbau. Wird sie
umgesetzt, liegt Leipzig mit seinem Steuersatz bundesweit an
zweiter Stelle direkt hinter Berlin.
Leipzig lässt kleine und mittlere Gewerbebetriebe
dafür zahlen, dass der Flugverkehr weiter boomen kann.
Ironie des Schicksals: DHL wird nicht in Leipzig Steuern zahlen,
da der Flughafen nicht im Stadtgebiet liegt.
Subventionieren, aber richtig
Um den teuren Flugverkehr zu finanzieren, greift die Politik
gerne in fremde Taschen. Davon profitiert nicht nur DHL. Der
Flughafen Dortmund bezuschusst mit 15 Euro pro Passagier
Billigfluglinien, die in Dortmund starten und landen. Da der
Flughafen selbst bisher nur Verluste erwirtschaftet – knapp
70 Millionen Euro in den vergangenen vier Jahren –, wird
dieser Flugzuschuss von den Dortmunder Stadtwerken
übernommen, denen der Flughafen zu über 50 Prozent
gehört. Jeder Dortmunder Bürger und Stadtwerkekunde
fördert also, ob er will oder nicht, das Billigfliegen. Nun
hat die EU diese Subventionspraxis, die den Wettbewerb zwischen
den Flughäfen verzerrt, in Frage gestellt. Und auch in
Deutschland beschäftigen sich plötzlich zahlreiche
Gerichte mit der Rechtmäßigkeit von
Flugverkehrssubventionen: Fluggesellschaften verklagen
Flughäfen, die die Konkurrenz zu günstig starten und
landen lassen. Ein Flughafen verklagt den anderen, weil der ihm
durch ein besseres Angebot eine Linie weggeschnappt hat.
„Wir betrachten diesen Vorgang mit Interesse“, sagt
Helmar Pless, Flugverkehrsexperte beim VCD. „Endlich wird
die seit langem übliche Subventionspraxis offen gelegt und
gerichtlich geklärt.“
Subvention ja, sagt die Europäische Kommission, gerne
auch großzügig, aber nicht ohne feste Regeln. So darf
ein Flughafen die Fluggesellschaft bei der Einrichtung einer
neuen Linie unterstützen und die Marketingmaßnahmen
für diese finanzieren. Legal ist außerdem
Gebührendumping oder der komplette Verzicht auf
Abfertigungsgebühren, wenn er allen Kunden
gleichermaßen gewährt wird. Von der EU abgesegnet ist
seit Januar auch das deutsche Beihilfeprogramm zum Bau und zur
Entwicklung von Regionalflughäfen in strukturschwachen
Regionen.
Über 50 Flugplätze konkurrieren in Deutschland
miteinander. Fast keiner davon schreibt schwarze Zahlen. Für
die Defizite kommt in der Regel die öffentliche Hand auf,
die in den meisten Fällen Eigentümer ist. Die
Standortfindung und Ausbauplanung von Flugplätzen unterliegt
keiner bundesweiten Gesamtplanung. Aber selbst auf Landesebene
findet ein ökonomisch und ökologisch unsinniger
Wettbewerb der Flugplätze untereinander statt. „Hier
schaffen Bund und Länder massenhaft Subventionsgräber
und kannibalisieren gleichzeitig die wenigen potenziellen
Gewinnbringer in der Branche“, sagt Helmar Pless.
Konsequenterweise löste die Debatte darüber, ob
Brüssel DHL um jeden Preis halten solle, in Belgien eine
ernste Regierungskrise aus. Während die Region Flandern die
Begrenzung für Nachtflüge DHL zuliebe gerne gelockert
hätte, war die Regierung in Brüssel nur zu einem
Kompromiss bereit. Mehr Nachtflüge ja, aber nur mit deutlich
leiseren Flugzeugen. „Da wir expandieren möchten,
mussten wir uns entscheiden, was sich für uns mehr
rechnet“, sagt DHL-Pressesprecherin Erni. Da DHL sowieso
schon sehr leise Flugzeuge benutze, habe man sich für eine
Investition in neue Anlagen entschieden.
Die Grünen im Leipziger Stadtrat bedauern, dass Leipzig
bei diesem „Umwelt-Dumping“ mitmacht. „Wir
sagen nicht, die Ansiedlung von DHL in Leipzig soll nicht
kommen“, sagt Stadtrat Quester. „Im Osten haben wir
dadurch, dass es keine Nachtflugbeschränkung gibt, Vorteile
gegenüber besser gestellten Regionen, die sich andere
Regelungen leisten können.“ Trotzdem sollte diese
Notsituation nicht ausgenutzt werden.
Für VCD-Experte Helmar Pless zeigt dieser Fall, dass
dringend europaweite Regelungen zum Schutz vor nächtlichem
Fluglärm nötig sind. „Die Europäische Union
muss ein europaweites Verbot von Nachtflügen zwischen 23 Uhr
und 7 Uhr schaffen, das nur in begründeten
Ausnahmefällen umgangen werden darf.“ Daher
unterstützt der VCD die aktuelle Initiative grüner
Europaabgeordneter, für eine europaweite Regelung der
Flugzeiten.
Fremdbestimmte Flughäfen
Die Grünen in Leipzig hoffen, dass im Gespräch mit
dem Flughafen und mit DHL noch menschenfreundlichere Bedingungen
durchgesetzt werden können. „Planungsrechtlich ist
zwar schon alles durch“, sagt Quester. „Aber weder
DHL noch der Flughafen können ein Interesse daran haben,
dass die Bevölkerung gegen sie eingestellt ist.“ Daher
möchte er weiter über leisere Flugzeuge oder eine
Einigung über die nächtlichen An- und Abflugzeiten
verhandeln.
Foto: Deutsche Post World Net
Bald keine Seltenheit mehr: die gelben
DHL-Flieger am Himmel über Leipzig.
Zur Zeit diktieren allerdings alleine die Personen- und
Frachtfluggesellschaften die Bedingungen, zu denen in Deutschland
geflogen wird. Ryanair, enfant terrible und Wegbereiter der
Billigflugszene, profitiert wie auch DHL von der Not
strukturschwacher Regionen. Der irische Anbieter setzt nur noch
dann neue Linien ein, wenn die Flughäfen –
beziehungsweise deren öffentliche Träger – sich
kräftig an den Kosten beteiligen. Dem staatlichen Flughafen
Pau hat die EU bereits untersagt, Ryanair für die Linie
London–Pau 400000 Euro pro Jahr an
Investitionszuschüssen zu zahlen. Die Pyrenäenregion,
die bisher nicht vom Tourismus verwöhnt war, erlebte durch
die Ryanair-Linie London–Pau einen schnellen und
unerwarteten wirtschaftlichen Aufschwung. Nun bringt die
örtliche Handelskammer das Bestechungsgeld für Ryanair
per Spenden auf.
Der belgische Flughafen Charleroi, der nach einem EU-Urteil
mehrere Millionen Zuschüsse von Ryanair zurückfordern
muss, soll nun möglichst schnell von öffentlicher in
private Hand übertragen werden. Ein privater Träger
dürfte sein Geld ausgeben, wie er will. Da Flughäfen
aber seltenst Gewinne machen, würde auch ein Privatflughafen
das Geld, mit dem er seinen Flugverkehr einkauft, per
langfristigem Kredit aus öffentlichen Kassen bekommen.
Ob Leipzig oder Südfrankreich: Wo es um Flugverkehr geht,
steht die Vernunft hintenan: Gegen die Warnung internationaler
Immobilienorganisationen kaufen viele Europäer
Ferienhäuser rund um die Billigflugziele im Süden. Die
Zielregionen wiederum investieren Hals über Kopf in
Hotelanlagen und Freizeiteinrichtungen. Entscheidet Ryanair im
nächsten Jahr Toulouse statt Pau oder Avignon statt
Montpellier anzufliegen, stehen die neuen Hotels leer und die
Ferienhäuser werden unverkäuflich.
Auch in Sachsen trüben die großen Versprechen den
Blick: Der Planfeststellungsbeschluss zum Flughafenumbau ist
schon genehmigt, obwohl DHL bis auf weiteres – „aus
rechtlichen Gründen“ – Leipzig nicht als neuen
Standort verkünden darf. 30 Jahre freien Nachtflug hat der
Flughafen Halle/Leipzig schon garantiert. DHL dagegen legt sich
nicht auf einen zeitlichen Verbleib in der Region fest. Soviel
zum Thema Investitions- und Arbeitsplatzsicherheit.
„Alle öffentlichen Investitionen schaffen
Arbeitsplätze, nicht nur die in den Flugverkehr“,
fasst Klimaexperte Andreas Pastowski vom Wuppertal Institut
für Energie und Umwelt zusammen. „Wie hoch die
Beschäftigung pro investiertem Euro ist, hängt dann von
der jeweiligen Situation ab. Da gibt es sicher Fälle, wo die
Arbeitsplatzbilanz besser ist als beim Flugverkehr.“
Regine Gwinner
Die Initiative der grünen
Europaabgeordneten zu einer europaweiten Regelung der Flugzeiten
findet sich unter:
www.nonightflights.org
Mit den Arbeitsplatzeffekten des Flugverkehrs setzt sich der
Autor Helmut Schumacher auseinander. Sein Text „Der
Flug-Boom“ ist eine gute Zusammenstellung der aktuellen
Studien und Forschungsergebnisse. Nachzulesen unter www.fluglaerm.de/koeln/
zurück zum Inhalt |