Reise 6/2004

Meereswelten

Meer hinter Glas

Die Faszination, die von den Meereswelten hinter Glas ausgeht, ist überall gleich – egal ob groß oder klein, heimisch oder exotisch, kitschig aufgemöbelt oder originalgetreu. Während Zoo-Aquarien eher den traditionellen Ausstellungscharakter mit angeschlossener wissesnschaftlicher Abteilung zu bieten haben, locken die neuen Unterwasser-Erlebniswelten mit riesisgen Becken in neuen Formen, buntem Licht und sphärischen Klängen.

Fotos: Valeska Zepp            
Hätten Sie’s gewusst? Die Wahrscheinlichkeit von einem Hai gebissen zu werden, ist viel geringer als ein Sechser im Lotto.

Den dahinten habe ich auch schon mal gegessen!“, ruft ein Mann seinen Begleitern zu, nachdem er einen kurzen Blick auf die Tafel am Aquarium geworfen hat. „Der dahinten“ ist ein Seewolf. Der Mann drückt seine Nase an der dicken Glasscheibe im Sea Life platt und schaut sich den Fisch genau an. Der Seewolf schwebt dicht über dem Boden und starrt mit Glubschaugen zurück. Sein Kopf sieht beinahe so aus wie ein großer, grauer Kieselstein, wären da nicht die Zähne, die kreuz und quer aus dem Maul ragen. Weil sie so böse aussehen, kommen Seewölfe meist ohne Kopf in den Handel. Auf der Speisekarte sind sie unter dem Namen Steinbeißer zu finden.

Künstliche Unterwasserwelten sind begehrte Ausflugsziele. Neben den traditionellen Zoo-Aquarien sind in den letzten Jahren viele Meeresmuseen und Aquarienzentren entstanden. Weltweit ist ein regelrechter Aquarienboom ausgebrochen. Es gibt kaum eine Stadt, die kein Aquarium in der Nähe hat. In Deutschland entstand in Timmendorf an der Ostsee vor acht Jahren das erste kommerzielle Großaquarium der britischen Kette Sea Life. Im August diesen Jahres eröffnete in Oberhausen schon das sechste deutsche und insgesamt größte Sea Life, mit einem Tiefseebecken, das 1,5 Millionen Liter Meerwasser fasst.

„Da klebt ja ein Seestern an der Scheibe“, staunt ein kleiner Junge und zerrt seine Schwester zum Becken. Sie versucht herauszubekommen, wie Seesterne fressen, eine Frage im Kinderquiz, das sie am Eingang des Sea Life bekommen hat. Auf einer Tafel steht die Antwort: Seesterne setzen sich so lange auf eine Miesmuschel, bis diese ihre Schale ein Stückchen öffnet. Dann stülpen sie blitzschnell ihren Magen hinein. Dann verdauen sie die Muschel außerhalb ihres eigenen Körpers. Bei dem Seestern, der an der Scheibe klebt, kann man die Mundöffnung auf der Unterseite sehen.

Von den Seesternen, die zusammen mit Krebsen, Seeanemonen und Plattfischen den Meeresboden bewohnen, geht es weiter in den Bereich des offenen Meeres, wo sich Fischschwärme tummeln. Glitzernde Silberleiber ziehen im blauen Dämmerlicht des Schwarmrings ihre Runden, mal in dichten, geordneten Formationen, mal vereinzelt. Am Boden staksen Seespinnen, große Krebse mit langen Beinen und tropfenförmigem Körper, durch den Kies. Drohend erheben sie hin und wieder ihre Scheren.

Das Grundkonzept ist in allen Sea Life Zentren gleich: Die Besucher werden durch eine Aquarienwelt geschleust, die an den Quellen der Flüsse beginnt, eine Zwischenstation im Hafenbecken macht und nach den verschiedenen Meereszonen schließlich beim Tiefseebecken endet, durch das ein gläserner Tunnel führt. Verschiedene Infotafeln informieren über die Tierarten, deren Lebensweisen und Fakten rund ums Thema Meer. Fragen wie: „Können Fische hören?“ oder „Wussten Sie schon, dass die Nordsee das lauteste Meer der Welt ist?“ machen neugierig aufs Lesen. Im Anschluss an die Meereswelt können sich die Besucher im SOS-Raum über die Gefährdung der Ozeane und über bedrohte Arten informieren oder im Kino einen Film über Haie ansehen. Der Besuch endet im grellbunten Shop.

In Oberhausen wollen täglich über 2000 Menschen die Fische sehen. Die Besucher stehen dafür draußen Schlange, zum Teil über eine Stunde. Drinnen erwartet sie eine Inszenierung à la Disneyworld: künstliche Felsen, Terrakottatöpfe, rostige Ketten oder versunkene Kanonen in den Becken und künstliche Pflanzen. Sphärische Musik berieselt sie in einer Endlosschleife. „Infotainment“ oder „Edutainment“ heißt das in der Fachsprache der Ausstellungsgestalter.

Acryl statt Glas

Das Besondere der deutschen Sea Life Aquarien ist, dass Greenpeace mit ihnen kooperiert. In Oberhausen ist die Meeresschutzorganisation zum Beispiel mit der Ausstellung „Watch the Whales“ vertreten. Greenpeace stellt viele Anforderungen an den Kooperationspartner (s. Interview). So dürfen beispielsweise nur Arten aus den heimischen Meeren, also Nord- und Ostsee sowie dem angrenzenden Nordatlantik gezeigt werden. Tropische Korallenriffe mit bunten Fischen zu zeigen, lehnt Greenpeace ab. Der Aquarienleiter von Sea Life Oberhausen, Robert Donoso, hält das nicht für einen Nachteil. „Es gibt so viele tolle Fische, Quallen und Krebse in der Nordsee, da hat man schon einiges zu bestaunen“, erklärt der passionierte Aquarist.

Gläserne Meeresbewohner: Harmlose Ohrenquallen schweben in Massen durch die Nordsee.

Und er hat recht: Da schwimmen bunte Lippfische im Hafenbecken. Die Knurrhähne scheinen mit ihren blauen Seitenflossen durchs Wasser zu fliegen. Von den rotgetupften Schollen sieht man meist nur die Augen aus dem Sand ragen. In einem anderen Becken strecken leuchtend blaue Hummer den Besuchern ihre Scheren entgegen – eine große, mit denen sie ihre Beute fangen und festhalten und eine kleine, die als Gabel dient. Insgesamt betreuen die Aquaristen in Oberhausen knapp 20000 Tiere aus 100 Arten.

Während ein Sea Life Besuch an eine rasante Geisterbahnfahrt erinnert, ist der Besuch im Kölner Zoo Aquarium mehr wie ein Spaziergang. Es tönt keine Musik aus Lautsprechern und es gibt keine spektakulären Rundumaquarien: Trotzdem ist es in dem schlichten Betonbau alles andere als langweilig. Im Kölner Zoo Aquarium tummeln sich 6000 Tiere aus 600 Arten und allen Kontinenten. Das sind sechs mal so viele Arten wie in Oberhausen. Hier schwimmen nicht nur Fische, es gibt auch Schlangen, Echsen, Krokodile und Frösche zu sehen. Wie ein nächtlicher Blick in fremde Fenster, bieten die Aquarien jeweils einen kleinen Ausschnitt in die unterschiedlichsten Lebensräume: vom Fluss im südamerikanischen Regenwald mit Piranhas und Buntbarschen über ein tropisches Meer mit Seeanemonen und Clownfischen bis zur dunklen Tiefsee mit Fischen, die von selbst leuchten. Die Becken wirken klein, sind aber mit viel Liebe zum Detail gestaltet. In den Aquarien im Kölner Zoo ist alles natürlich – auch die Pflanzen.

Zimmer mit Aussicht auf die Fische: In der Eingangshalle des Radisson SAS Hotels in Berlin steht der Aquadom, das größte freistehende Aquarium der Welt.

Technische Fortschritte erlauben Firmen wie Sea Life, die Welt der Meere immer spektakulärer in Szene zu setzen. Die neuen Aquarien bestehen aus Acryl statt Glas. Der Kunststoff lässt sich nahtlos zu Panoramascheiben in allen erdenklichen Formen zusammenkleben. So konnte zum Beispiel der Aquadom in Berlin entstehen. Der 25 Meter hohe durchsichtige Zylinder ist das weltweit größte freistehende Aquarium. Es hat einen Aufzug im Inneren, in dem die Besucher des Sea Life Berlin 2500 tropische Fische aus nächster Nähe betrachten können. Taucher putzen täglich die künstlichen Korallen.

Aquaristen kümmern sich ständig um die Aquarien der Sea Life Zentren – manchmal müssen sie sich dafür ins Wasser wagen.

Dank Acryl ist auch ein riesiges Tiefseebecken wie das in Oberhausen möglich. Ein 20 Meter langer gläserner Tunnel führt durch das Becken. Haie, Rochen und Fischschwärme ziehen dort über die Köpfe der Besucher hinweg – eine Perspektive, die sonst nur Tauchern vorbehalten ist. Von oben fällt Licht ins Becken. Es lässt Fische glitzern und Glatthaie wie Schatten an der Oberfläche aussehen. Wenn der Rochen vorbeischwebt, geht ein Raunen durch den Tunnel. Er ist weit über einen Meter breit und genauso lang. Dass es so große Fische in der Nordsee gibt, können die Besuchen kaum fassen.

Durch die kommerziellen Aquarien ist ein Innovationsdruck entstanden. Hagenbecks Tierpark in Hamburg erweitert mit einem „Tropeanium“ seine Ausstellung. Das Meeresmuseum in Stralsund plant gerade ein „Ozeanium“. „Immer größer, schneller, lauter – da möchten wir gar nicht mitmachen“, kommentiert Thomas Ziegler, Leiter des Kölner Zoo-Aquariums, den Trend. Moderne Zoopädagogik sei aber trotzdem wichtig. Seit zwei Jahren bringen der Biologe und seine Mitarbeiter das Anfang der siebziger Jahre entstandene Aquarium auf Vordermann. Vor allem hat es eine neue Beschilderung nötig, die nicht nur, wie bisher, Tiernamen und Verbreitung aufzählt, sondern den Besuchern auch ökologische Zusammenhänge erklärt und Informationen über den Lebensraum bietet. Am Rheinpanorama im Eingangsbereich ist das schon gelungen. Bullaugen eröffnen den Blick in die Lebensräume und dazugehörigen Fischarten des Rheins – von der Quelle bis zur Mündung. Die Infotafeln charakterisieren die Rheinabschnitte, beschreiben die Fischarten und stellen mit dem Thema Trinkwassergewinnung einen Bezug zwischen Alltag und Naturschutz her. Neben der Öffentlichkeitsarbeit haben Zoo-Aquarien noch viele andere Aufgaben. „Wir sind Auffangstation für vom Zoll beschlagnahmte Tiere, wir lehren an den Universitäten Köln und Bonn und betreuen Forschungsarbeiten. Außerdem helfen wir den Naturschutz in den Ländern aufzubauen, deren Tiere wir zeigen, zum Beispiel in Vietnam oder Kamerun“, erklärt Ziegler. Der Kölner Zoo ist auch an Nachzuchtprogrammen beteiligt. Die gezüchteten Tiere werden nicht nur in den eigenen Aquarien präsentiert, sondern über ein internationales Netzwerk ausgetauscht – ein wichtiger Beitrag, Wildfänge und die damit verbundene Gefährdung von Arten zu verringern. In beinahe jedem Becken schwimmen Fische aus Nachzuchten. Am Korallenriff kann man die Babyfische sogar beobachten.

Hinter dem Haifischkino im Sea Life Oberhausen hängt eine Pinwand. Auf bunten Zetteln wünschen die Menschen dem Meer sauberes Wasser, weniger Müll, keine Öltankerunfälle, und dass den Haien keine Flossen mehr abgeschnitten werden. Es werden auch Forderungen nach Fangverboten für bedrohte Fischarten und mehr Schutz für die Wale laut. Ein Zettel fällt ein wenig aus dem Rahmen. Auf ihm steht ein Wunsch, der trotz technischer Möglichkeiten wohl unerfüllt bleiben wird: „Ich will Meer in Mönchengladbach!“

Valeska Zepp

 

Informationen

Sea Life Aquarien gibt es in Berlin, Dresden, Konstanz, Speyer, Timmendorf und Oberhausen besuchen. Weitere Zentren sind in München und Königswinter geplant. Eintrittspreise je nach Standort von 6 bis 13 Euro. Alle Adressen und Telefonnummern unter: www.sealife.de

Das Zooaquarium ist an den Kölner Zoo, eines der modernsten und schönsten Tiergehege in Deutschland, angeschlossen. Eintrittspreise für Zoo + Aquarium: Kinder 5,50, Erwachsene 11 Euro. Infos: Zoologischer Garten Köln, Riehler Straße 173, 50735 Köln, Tel.: (0221) 7785-0, www.zoo-koeln.de

 

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