Politik 6/04

Alternative Antriebe

Island vergeudet
sein natürliches Kapital

Island erzeugt seine Energie zum großen Teil nachhaltig. Da aber auch die Isländer gerne Auto fahren, steigt der Bedarf an Rohöl ständig an. Nun testet die Insel in einem Pilotprojekt den Einsatz von Wasserstoff beim öffentlichen Verkehr.

Fotos: agenda/michael kottmeier                    
Es könnte so einfach sein: Island hätte alle natürlichen Voraussetzungen, Wasserstoff regenerativ herzustellen.

Auf den letzten Metern zum zentralen Busplatz Lækjartorg in Islands Hauptstadt Reykjavik rollt der Bus der Line 3 bergab. Vorbei geht es an einigen Ministerien und dem Sitz des Ministerpräsidenten, hinunter bis zum alten Hafen, dem Gamla Hófn.

Schon bei der Anfahrt zum Lækjartorg fällt auf, dass beim Bus mit dem kräftigen Gelbanstrich einiges anders ist. Das Fahrzeug wirkt wuchtiger, was an dem Dachaufbau hinter der eigens montierten Verkleidung liegt. Außerdem kräuselt sich aus dem links über der Heckscheibe angebrachten Auspuffrohr weißer Rauch.

Fragen nach diesem weißen Rauch gehören für Bragi Ragnarssonn mittlerweile zum Alltag. Er ist einer von 14 Fahrern in Diensten von Reykjaviks städtischem Buscarrier Strætó, der nach einer Schulung diesen Bustyp steuern darf. „Was aus dem Bus rauskommt, ist nichts anderes als reiner Wasserdampf“, klärt er immer wieder Touristen auf. Denn der Citaro-Bus aus dem Hause DaimlerChrysler läuft nicht wie üblich mit Diesel. Die auf dem Dach installierte Brennstoffzelle ‘verarbeitet’ den an einer zuvor getankten und in Druckzylinder zwischengelagerten Wasserstoff, der damit einen Elektromotor antreibt. Gleich drei dieser ‘hydrogen buses’ werden seit Oktober vergangenen Jahres im Großraum Reykjavik eingesetzt. „Es ist schon ein tolles Fahrgefühl“, sagt Fahrer Ragnarssonn. Dafür nehmen er und seine Kollegen auch in Kauf, dass „die Wasserstoff-Busse beim Anfahren etwas weniger Antrieb haben.“

Die ersten Wasserstoffbusse rollen schon testweise durch Reykjavik.

Über solche Kleinigkeiten sieht Bragi Árnason mit der Weisheit eines 69-jährigen Chemie-Professors nonchalant hinweg. Die drei Busse sind für Árnason der sichtbare Ausdruck, dass für seine Vision von der Wasserstoff-Gesellschaft die ersten Schritte auf Island eingeleitet sind – sein Ziel seit den Ölpreiskrisen der 70er-Jahre.

Dass der kleine Inselstaat im Nordmeer, von der Fläche etwa vergleichbar mit Bayern, für den Umstieg auf den Energieträger Wasserstoff prädestiniert ist, daran gibt es für Árnason keinen Zweifel: „Bei uns müssen wir nicht warten, bis Ökostrom aus Sonne oder Wind wettbewerbsfähig wird. Wir haben Wasserkraft und Erdwärme im Überfluss.“

Wie wahr: Auf zusammen 50 Milliarden Kilowattstunden wird das Potenzial beider Energieträger geschätzt, genutzt wird auf der Insel mit den aktiven Vulkanen und Geysiren heute davon etwa ein Sechstel. So ist die Stromerzeugung komplett „grün“, und gut 87 Prozent aller isländischen Gebäude werden mit geothermischer Energie beheizt. Ein „Weltrekord“, wie Helgi Bjarnason aus der Energie-Abteilung im Industrie- und Handelsministerium stolz anmerkt.

Die scheinbar makellose Energiebilanz der Nordländer trüben zwei Wermutstropfen: Mehr als 180000 zum Teil aufgemotzte Autos und über 2000 Busse lassen die Öleinfuhren steigen. Und auch die gut 800 Schiffe der Fischereiflotte, die zu den größten der Welt zählt, frisst Unmengen von Diesel. Jede Tonne Fisch in den Netzen verschlingt rechnerisch eine Tonne Kraftstoff. Die Idee, den Transportsektor auf Wasserstoff umzustellen, ist auf einer Insel der grünen Energien naheliegend.

Global Player setzen auf Wasserstoff

Genau das zum Ziel hat sich Islensk Ny Orka (Icelandic New Energy Ltd.) gesetzt. Dieses Unternehmen hat die isländische Investmentgesellschaft Vistorka zusammen mit DaimlerChrysler, dem norwegischen Energiemulti Norsk Hydro und Royal/ Dutch-Shell gegründet, alles Global Player, die wissen, warum sie den Einstieg ins Wasserstoff-Zeitalter nicht verpassen dürfen. Erste sichtbare Zeichen für die Wasserstoff-Revolution sind die drei Linienbusse sowie eine öffentliche Wasserstoff-Tankstelle am Stadtrand von Reykjavik.

Bislang laufen die drei Busse zur Zufriedenheit von Islensk Ny Orka ohne große Probleme. „Wenn es mal nicht lief, dann waren es nicht die Brennstoffzellen, sondern Ventile oder Relais von peripheren Teilen“, resümiert Thomas Werner, der für DaimlerChrysler die Busse vor Ort betreut.

Auf zwei Jahre ist das Pilotvorhaben begrenzt, das die EU mit gut sieben Millionen Euro unterstützt. Auch in neun weiteren europäischen Großstädten laufen mit EU-Geldern insgesamt 30 Wasserstoff-Busse. Das Gros der Förderung in Island ging für die drei Busse drauf, die mit 1,25 Millionen Euro sechs Mal so teuer sind wie die herkömmliche Dieselversion, und für die eine Tankstelle. Auf EU-Förderung hofft Islensk Ny Orka auch für das Anfang des Jahres begonnene New-H-Ship-Projekt. Um bei der Kutterflotte erste Akzente zu setzen, soll ein erster Trawler auf Brennstoffzellen-Antrieb umgerüstet werden. Noch klemmt das Vorhaben: Eine Brennstoffzelle im Megawatt-Bereich gibt es noch nicht.

Was nächstes Jahr wird, wüssten auch die Macher von Islensk Ny Orka gerne. Den Wasserstoff-Pionieren geht das Geld aus, das Grundkapitel von einer Million US-Dollar ist langsam aufgezehrt. „Noch immer hat sich die Regierung nicht dazu bekannt, ob sie weiter auf dem Wasserstoff-Weg voranschreiten will“, sagt Umweltreferentin Maria Hildur Maack.

Zu gern würde Islensk Ny Orka im kommenden Jahr einen Feldversuch mit Dutzenden von Pkw mit Wasserstoffantrieb starten. Mit wessen Unterstützung? „Ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Regierung da einsteigt“, sagt Thorkell Helgason, der Direktor der nationalen Energiebehörde. Als ehemaliger Staatssekretär im Wirtschaftsministerium verfügt der Mann über gute Drähte in die Regierung. Es gibt zwar ein vom Ministerpräsidenten David Oddsson sowie seinen damaligen Umwelt- und Industrieministern unterschriebenen Brief aus dem Jahr 1998, womit sie die Gründung einer Arbeitsgruppe für das Wasserstoff-Projekt unterstützt haben, eine langfristige Finanzierungszusage ist das aber nicht.

Ohne die geht es aber nicht. Dass Automobilkonzerne den Isländern einen nennenswerten Teil der gewünschten Pkw-Flotte finanzieren, die Insel sozusagen als Testmarkt für Wasserstoff-Antrieb bevorzugen, ist illusorisch.

Zwar genießt die Regierung die interationale Aufmerksamkeit um das Wasserstoff-Projekt, ist aber selbst längst vom sauberen Kurs abgekommen. Den grünen Energie-Schatz will die regierende konservativ-liberale Regierungskoalition nutzen, um mit preiswertem Strom vor allem energieintensive Betriebe aus der Aluminium-Branche anzulocken. So entsteht derzeit im Osten Islands ein riesiges Staudamm-Projekt plus einem für isländische Verhältnisse gigantischen Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 700 Megawatt – einziger Abnehmer des Stroms: eine Alu-Hütte.

Bragi Árnason, Islands Wasserstoff-Papst, lässt sich dennoch nicht von seinem Optimismus abbringen: „Auf diesem Gebiet könnten wir internationaler Vorreiter werden. Das sollten wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.“ Nach seinen Berechnungen reichen zehn bis 15 Wasserstoff-Tankstellen aus, um in einem ersten Schritt Reykjavik angemessen zu versorgen. Flächendeckend für die Insel wären langfristig 115 Stationen notwendig. Mehr nicht.

Ralf Köpke

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