Editorial 6/04
 

Morgen noch mobil?

 
Foto: archiv          

Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich von heute auf morgen nicht mehr so fortbewegen wie bisher. Sie könnten weder Auto fahren, noch gäbe es eine Bushaltestelle oder einen Bahnhof in erreichbarer Nähe. Ihre Fahrtziele könnten Sie alleine nicht mehr erreichen. Wenn Sie mobil sein wollten, wären Sie auf fremde Hilfe angewiesen.

Was in unserer mobilen Gesellschaft wie ein Alptraum klingt, ist für mobilitätsbehinderte Menschen tägliche Realität. Zwar haben Politik wie auch Verkehrsunternehmen in den vergangenen Jahren viel unternommen, um mehr Barrierefreiheit herzustellen, doch ist die Fortbewegung für viele behinderte Menschen nach wie vor ein gefährlicher Hindernislauf.

Vor einigen Monaten kam das Sozialministerium auf die Idee, die Freifahrtmöglichkeiten für Behinderte deutlich einzuschränken, um damit Geld einzusparen. Geld, das beispielsweise benötigt wird, um die Ausfälle des Lkw-Maut-Desasters zu kompensieren oder um neue Autobahnen zu bauen. Die auf diese Pläne folgenden Proteste waren jedoch erfolgreich. Die kostenlose Nutzung von Bus und Bahn bleibt im bisherigen Maße erhalten.

Leider hat auch das Ministerium einen Erfolg im ganz eigenen Sinne zu verbuchen: Die Verkehrsunternehmen erhalten künftig deutlich weniger Fahrgeldersatz für die gesetzliche Verpflichtung, behinderte Fahrgäste kostenlos zu transportieren. Und da man einmal dabei war zu kürzen, wurden im Rahmen des „Subventionsabbaus“ von Bundestag und Bundesrat auch die Mittel zur Schülerbeförderung erheblich zusammengestrichen.

Von vielen bisher unbemerkt ist in einigen Bundesländern ein regelrechter Kürzungswettlauf bei den Mitteln für Bus und Bahn im Gange. Dort ist die Halbierung der Zuschüsse für den Öffentlichen Personennahverkehr binnen ein bis zwei Jahren geplant. Die so eingesparten Mittel werden einfach umgewidmet. In Bayern beispielsweise soll ein Teil der Nahverkehrsmittel für die Planung des Transrapids zwischen München und dem Münchener Flughafen verwendet werden.

Ein Fortgang solcher Kürzungspläne wäre verheerend für alle, die auf einen guten Öffentlichen Personennahverkehr angewiesen sind und sein wollen. Selbst kräftige Preiserhöhungen werden die Kürzungen nicht auffangen können. Konsequenz dieser verfehlten Verkehrspolitik: Trotz gestiegener Ölpreise werden viele, die es sich leisten können, aber womöglich nicht wollten, (wieder) auf das Auto umsteigen. Und für finanziell schlechter gestellten Menschen, für Alte, Auszubildende und auch Behinderte, verbleibt besonderes außerhalb von Ballungsräumen allenfalls ein Minimalangebot.

Die Politik muss sich bekennen. Wer eine echte, „nachhaltige“ Mobilität für die gesamte Bevölkerung möchte, sollte Schluss machen mit den Investitionen in ein überdimensioniertes Autobahnnetz, der Steuerbefreiung im Luftverkehr oder Zersiedlungsprämien wie der Entfernungspauschale. In diesem Sinne setzt sich der VCD mit Ihrer Unterstützung für einen Öffentlichen Personennahverkehr ein, der den Bedürfnissen aller Verkehrsteilnehmer entgegenkommt.

Eine ruhige und besinnliche Vorweihnachtszeit wünscht Ihnen Ihr

Michael Gehrmann
VCD-Bundesvorsitzender

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