Titel 5/2004

Fahrkartenkauf

Sieben Wege führen zum Bahnticket

Heißer Herbst bei der Bahn: Das Schachern beim Verbraucherschutz, Einsparungen beim Service, Preiserhöhungen und Börsengangverschiebung sorgen täglich für neue Schlagzeilen.

Foto: www.marcusgloger.de

Die Bahn soll an die Börse. Auch wenn der Startpunkt erst mal verschoben wurde – vieles im Unternehmen soll billiger werden. Dieses Motto hat DB-Chef Hartmut Mehdorn ausgegeben. Bis zum Ende des kommenden Jahres sollen allein im Vertrieb 100 Millionen Euro eingespart werden. Im Klartext: Für viele Kunden wird es schwieriger, sich einen Fahrschein zu besorgen.

Schon in den vergangenen Jahren hatte die DB immer mehr Fahrkartenschalter in kleinen Orten dicht gemacht. Nach den aktuellen Plänen sollen von den jetzt noch existierenden 750 Reisezentren nur noch 440 übrig bleiben. „Die DB will, dass die Leute auf Internet und Automaten umsteigen. Aber viele können oder wollen das nicht – oder sie brauchen eine Beratung“, beschreibt der VCD-Bundesvorsitzende Michael Gehrmann die Situation.

Auch da, wo nach wie vor lebendige Menschen Auskunft geben, wird weiter kräftig ausgedünnt: Am sowieso permanent überfüllten Bahnhof Zoo in Berlin sind seit Anfang August auch in Stoßzeiten mehrere Schalter verwaist; von den bisher 115 Mitarbeitern sollen nur 85 übrig bleiben. Anderswo sieht es ähnlich aus: Insgesamt wird bis Ende 2005 ein Viertel des Schalterpersonals abgezogen. Kürzere Öffnungszeiten und längere Warteschlangen sind absehbar.

Doch damit nicht genug. Die DB hat die Verträge mit allen 3400 Reisebüros gekündigt, die Bahnfahrkarten verkaufen. Bei einer Tagung Anfang Juli erläuterte der für den Vertrieb zuständige DB-Mann Jürgen Büchy, wie sich sein Unternehmen die künftige Zusammenarbeit vorstellt (s. a. Interview S. 21). Als Grundprovision sollen die Reisebüros für die meisten Tickets gerade noch fünf bis sechs Prozent des Verkaufspreises bekommen; bisher konnten sie zwischen zehn und zwölf Prozent einstreichen. „Und schon das war oft zu wenig. Das belegt sogar eine Untersuchung, die die DB selbst in Auftrag gegeben hat“, sagt Tobias Jüngert, Sprecher des Deutschen Reisebüro- und Reiseveranstalter Verbandes (DRV). Schließlich gehen viele Leute vor allem dann ins Reisebüro, wenn sie eine kompliziertere Auskunft brauchen. Und die kostet schlicht Arbeitszeit.

Zwar hatte Büchy den versammelten Reisebürovertretern erklärt, sie würden auch künftig wichtige Vertriebspartner der Bahn bleiben. Doch dann hielt er ihnen vor, dass sie gegenwärtig nur 20 Prozent des Fahrkartenverkaufs abwickeln, aber für 30 Prozent der Vertriebskosten verantwortlich seien. Mehr Leistungsorientierung sei deshalb unabdingbar; nur der echte Mehrwert könne künftig noch vergütet werden.

Wirrwarr im Nahverkehr

Der DRV hat das Angebot sofort als „indiskutabel“ zurückgewiesen und auch einen leicht nachgebesserten Vorschlag abgelehnt.

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Die Bahn setzt beim Vertrieb zunehmend auf Automaten und Internet und spart am Personal. Damit könnte sie viele Kunden verprellen.

Sollte es zu keiner Einigung kommen, haben die Reisebüros im Prinzip nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie verlangen für ein DB-Ticket einen höheren Preis als am Bahnhof oder Automaten – und vergraulen damit viele Kunden. Oder sie geben den ganzen Geschäftszweig auf – was für Reisebüros, die sich aufs Bahngeschäft spezialisiert haben, das sichere Aus bedeuten würde. Dabei sind gerade diese Agenturen besonders engagiert für ihre Kundschaft, weil sie mit einem guten Service auch verkehrs- und umweltpolitische Ziele verfolgen: Möglichst viele Reisen sollen auf der Schiene stattfinden. „Für schwierige Sachen gibt es fast immer eine Lösung“, wirbt zum Beispiel Helmut Lutz vom Berliner „Kopfbahnhof“. Verschwinden Verbindungstüftler wie er vom Markt, haben die Kunden das Nachsehen. Denn eine Untersuchung des Hamburger Qualitätsinstituts Quotas, die der VCD in Auftrag gegeben hatte, kam in diesem Frühjahr erneut zu dem Schluss: Mehr als ein Drittel der Auskünfte am Bahnhofsschalter sind für den Reisenden suboptimal – im Vergleich zur besten Alternative zu teuer, zu langsam oder mit zu viel Umsteigen verbunden.

Im Internet und am Automaten werden viele Möglichkeiten gar nicht erst angezeigt oder sind nur für gewiefte Leute aufzuspüren. „Und dann dieses Wirrwarr im Nahverkehr. In Hamburg zum Beispiel gibt es vier verschiedene Automaten. Wer soll denn da noch durchblicken?“, fragt der VCD-Vorsitzende Michael Gehrmann. In vielen kleineren Orten sind Fernreisende zudem gezwungen, zunächst einen Fahrschein bis zum Umsteigebahnhof zu lösen und sich dann dort um ein Anschlussticket zu kümmern.

Für die DB freilich ist es am billigsten, wenn die Kundschaft im Internet oder am Automaten selbst die Zugverbindungen ermittelt und den Fahrschein ausdruckt. Deshalb lockt sie mit Vorzugstarifen beim Schönen-Wochenendticket oder durch kostenlose Platzreservierungen. Nach Angaben des Konzerns wurden im vergangenen Jahr bereits 16,8 Prozent des Umsatzes über Automaten und 2,6 Prozent übers Internet gemacht. Ebenfalls wachsen soll der Vertrieb übers Call-Center, der gegenwärtig etwa drei Prozent einspielt. Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere Möglichkeiten, an ein DB-Ticket zu kommen. Zum einen der Kauf beim Schaffner im Zug – was mit kräftigen Aufschlägen verbunden ist. Zum anderen sollen an Bahnhöfen, von denen sich die DB wegen mangelnder Rentabilität zurückgezogen hat, ehemalige DB-Mitarbeiter als Selbständige das Geschäft übernehmen und neben Brötchen und Bananen auch Fahrkarten verkaufen. Nach Angaben einer DB-Sprecherin existieren bereits 300 derartige Verkaufsstellen; weitere sind geplant. Michael Klein von der Gewerkschaft Transnet ist skeptisch: „Für die Beratung ist es ganz schlecht, wenn hinter mir jemand steht, der zum Zug will und nur schnell eine Cola kaufen möchte.“

Sieben Wege führen zum Bahnticket – das sind mehr Möglichkeiten als jemals zuvor. Für technisch versierte Reisende mit Kreditkarte, die von einer Großstadt zur anderen wollen, ist der Fahrkartenerwerb heute so einfach und schnell wie noch nie. Doch für einen erheblichen Teil der Bahnkundschaft verschlechtert sich die Situation. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass die DB ihre Einsparungen im Vertrieb letztendlich teuer bezahlen wird – durch sinkende Einnahmen.

Annette Jensen

 

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