Reise 5/2004

Sextourismus

Gegen das Wegsehen

400000 deutsche Männer fliegen Jahr für Jahr in die weite Welt und wollen nur das Eine. Nach Schätzungen der Kinderhilfswerke schrecken Tausende dieser Sextouristen selbst vor Sex mit Minderjährigen nicht zurück. Kinder jeder Altersstufe stehen ihnen zur Verfügung. Die Ursache von Kinderprostitution ist Armut. Nach Unicef-Schätzungen werden jedes Jahr mehr als zwei Millionen Mädchen und Jungen weltweit in die Prostitution gezwungen und zum großen Teil von Männern der reichen Industrienationen schamlos ausgebeutet. Sex mit Kindern ist ein Verbrechen, vor dem niemand ohnmächtig die Augen verschließen darf.

fairkehr zeigt auf den folgenden Seiten Täter und Opfer, stellt Kampagnen der Hilfsorganisationen vor und berichtet über das Engagement der Reisebranche. Wir sagen Ihnen auch, was Sie selbst tun können, denn Aufmerksamkeit und Zivilcourage aller Reisenden können helfen, Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen.

Foto: Flitner/laif       

Der Sex mit Kindern boomt. Touristen kennen keine Grenzen und reisen binnen weniger Stunden rund um die Welt. Die Täter jetten mit Charter- und Linienfliegern in die beliebten Reiseziele Asiens, Afrikas oder der Karibik. Oder sie fahren einfach mit ihrem Auto in die vor der Haustür liegenden Ausflugsziele in Tschechien oder in andere Gebiete Osteuropas. Männer können sicher sein, dort billig Kinder für ihre sexuellen Vergnügen zu bekommen.

Kinder wie den kleinen Nizam in Sri Lanka, der einen Ausländer „seinen Freund“ nennt. Er bekomme sogar Schokolade und Süßigkeiten von ihm, freut sich der 10-Jährige. Dafür gehe er mit dem Mann aufs Zimmer. Als Gegenleistung muss der Junge „seinem Freund“ sexuell zu Diensten sein. Er weiß auch, dass er dabei fotografiert wird; er hat die Kamera im Hotelzimmer und den Spiegel über dem Bett gesehen. Aber er weiß nicht, warum und wozu. Für jeden Besuch im Hotelzimmer des deutschen Touristen bekommt der Junge 1,20 Dollar.

Auch die Dominikanische Republik ist bei Ausländern immer noch sehr gefragt. In einem Informationsbrief des amerikanischen Sextouristen-Clubs „TSM“ beschreibt ein begeisterter Urlauber die Insel: „Boca ist ein Ort der Männerträume … Die geheimsten Wünsche werden erfüllt … Boca ist ein Ort, wo die sexuellen Fantasien Wirklichkeit werden. Ein Ort, wo du in dein Zimmer mit einem Dutzend farbiger Mädchen gehen kannst und keiner sieht sich nach dir um. Es ist ein Platz, wo ein älterer Mann sich davon überzeugen kann, dass junge Mädchen ihm alle seine Wünsche von den Lippen ablesen und sie erfüllen, mehr als jede Frau in seinem Heimatland. Es ist ein Ort, wo ein Mann in seinem Video ein Star sein kann. Es ist ein Ort, wo ganz junge, hübsche Mädchen ihm Sex für eine Lasagne anbieten.“

Die kleine zwölfjährige Pou wurde aus ihrem vietnamesischen Heimatdorf von einer älteren Frau nach Phnom Penh, der Hauptstadt von Kambodscha, gebracht, damit sie dort Geld für ihre Eltern verdient. In einem kleinen Hotel wurde sie an einen deutschen Touristen vermittelt, der für ihre Jungfernschaft einige Dollar bezahlte. Dafür rückte er mit einer Filmausrüstung an und dokumentierte die Entjungferung, um die Fotos und den Film an weitere Interessenten zu verkaufen.

Obwohl sexuelle Gewalt an Kindern sowohl in Sri Lanka, in der Dominikanischen Republik als auch in Kambodscha strafbar ist, fühlen sich diejenigen, die im Ausland Kinder sexuell ausbeuten relativ sicher. Seit 1993 können Deutsche, für sexuelle Delikte im Ausland vor ein deutsches Gericht gestellt und zu einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren verurteilt werden. Doch dies ist erst in wenigen Fällen geschehen. Die Beweisführung aus der Ferne gestaltet sich immer noch äußerst schwierig. Die Instanzenwege sind kompliziert, und die Strafverfolgung wird durch die modernen Datennetze oft noch erschwert.

Der typische Täter

Reisende unterschiedlichster Herkunft, Bildung und jeden Alters treten als Täter auf. Bei den Pädosexuellen sind Personen mit geachteten Berufen nicht einmal unterrepräsentiert. Unter den Tätern gibt es viele, die fern ab der Heimat und der Familie die einfache Gelegenheit nutzen, um Sex mit einem Kind auszuprobieren. Im Ausland fühlen sich viele Männer freier und glauben, Dinge tun zu können, die zu Hause niemals denkbar wären.

Wird nachgefragt, will es niemand gewesen sein. Obwohl Studien davon ausgehen, dass bis zu zehn Prozent der sexuellen Kontakte von Touristen im Urlaub mit einheimischen Minderjährigen stattfinden. Die Täter reden sich mit Kulturunterschieden heraus oder stellen sich als die Verführten und eigentlichen Opfer dar. Viele Männer suchen Kinder als Sexualpartner aus, weil sie Kindern gegenüber ihre Wünsche leichter durchsetzen können. Andere glauben, dass das AIDS-Risiko bei Kindern niedriger sei. Leider ist das Gegenteil der Fall: In einigen Reisezielen der Welt sind mehr als die Hälfte der Kinder bereits HIV-infiziert.

Sex mit Kindern ist ein Verbrechen – weltweit

Die Opfer sexuellen Missbrauchs sind meistens zu arm oder zu unerfahren, um sich gegen diese Verbrechen zur Wehr setzen zu können. Sie sind nicht nur der psychischen und physischen Übermacht des wohlhabenden Ausländers ausgesetzt, sondern in vielen Fällen auch dem massiven Druck ihrer eigenen Angehörigen. Sie sollen mit der Prostitution ein Einkommen erzielen, das der Familie das Überleben sichert. Besonders gefährdet sind deshalb Kinder aus benachteiligten Familien und ungeordneten sozialen Verhältnissen, die nicht durch ihr soziales Umfeld geschützt werden. Ihnen wird noch zusätzlich Würde und Selbstachtung genommen.

Foto: Terre des Hommes
Armut darf keine Rechtfertigung für die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern sein.

Die minderjährigen Opfer sind zumeist auf sich allein gestellt. Nur wenige schaffen den Ausstieg aus dem Kreislauf von Armut, Prostitution, Drogen, Abhängigkeit, Krankheit und Gewalt. Glücklicherweise schaffen Hilfsorganisationen immer öfter Anlaufstellen, an denen Kinder Zuflucht finden, die ihnen Unterstützung und therapeutische Hilfe geben oder alternative Einkommensmöglichkeiten zeigen können.

Die Reisebranche reagiert

ECPAT, ein weltweites Bündnis gegen kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern, setzt nicht nur auf die Strafverfolgung, sondern will für diese abscheuliche Verbrechen ein größeres Bewusstsein in der Öffentlichkeit schaffen. Die Mitgliedsorganisationen von ECPAT appellieren an die Verantwortung der Reisenden und der Reiseunternehmen. In Deutschland hat ECPAT einen Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung durch Touristen entwickelt, der inzwischen in vielen Ländern umgesetzt wird und den 2001 der Deutsche Reisebüro- und Reiseveranstalter Verband DRV unterzeichnet hat. In diesem Kodex verpflichtet sich die deutsche Reisebranche freiwillig zu Maßnahmen, die Kinder vor sexueller Ausbeutung schützen sollen. Mit ihrer Unterschrift unter den Kodex verpflichten sich Reiseveranstalter, ihre Beschäftigten, ihre Kunden und Vertragspartner umfassend auf das Problem aufmerksam zu machen, in ihren Hotels keine Kinderprostitution zu dulden, eine Reihe von weiteren Vorkehrungen zum Schutz der Kinder zu treffen und die Einhaltung dieser Verpflichtung von einem unabhängigen Gremium überprüfen zu lassen.

Erst langsam hat bei den deutschen Reiseveranstaltern ein Umdenkungsprozess begonnen. Lange Zeit befürchteten sie, durch solche Sensibilisierungsmaßnahmen ihre Kunden als potentielle Täter abzustempeln. Doch die Erfahrungen zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist: Hotelbesitzer reagieren positiv, und Kunden begrüßen diese Form von Entscheidungshilfe. Ein längst fälliges Zeichen, dass es Touristen und Reisebranche mit dem Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung ernst meinen, ist der Kodex allemal.

In Brasilien treibt die nationale Tourismusbehörde die Umsetzung der jüngst beschlossenen Gesetze voran. Auf ihren Flügen zeigt die brasilianische Fluggesellschaft Kurzfilme, die über die Situation aufklären und die Reisenden vor Sex mit Kindern warnen: „Seien Sie herzlich willkommen in Brasilien, jedoch nicht, um unsere Kinder und Jugendlichen sexuell zu missbrauchen.“ Die Tourismusbehörde belässt es nicht bei dieser Warnung, sondern bittet um aktive Unterstützung bei der Strafverfolgung: „Auch Sie können behilflich sein, diese Gewalttaten weltweit zu bekämpfen: Zeigen Sie Sextouristen und Pädofile an!“

Kürzlich hat endlich auch die tschechische Tourismuszentrale reagiert und einen Handzettel herausgegeben, der Besucher des Landes darauf hinweist, dass deutsche Kinderschänder unerwünscht sind. Gerade die osteuropäischen Reiseländer sind seit dem Fall des Eisernen Vorhangs mit der sexuellen Ausbeutung von Kindern konfrontiert, stellten sich diesem Problem jedoch zögerlich oder unwillig.

Zivilcourage zeigen

Erster Adressat zur Bekämpfung von Sextourismus und Kinderprostitution ist das öffentliche Bewusstsein. Ohne aufmerksame Beobachtung und Hinweise können Verbrechen an Kindern kaum strafrechtlich verfolgt werden. Oftmals wissen die Mitreisenden nicht, wann es sich um ein Verbrechen handelt, oder sie neigen dazu wegzuschauen, damit sie während ihrer schönsten Tage im Jahr nicht mit Problemen dieser Art behelligt werden. Dabei ließen sich viele der Verbrechen verhindern. So mancher Reisende versteckt sein Nichthandeln hinter fadenscheinigen Aussagen und macht die korrupten Behörden oder die unfähigen Polizisten des Reiselands für den mangelnden Schutz der Kinder verantwortlich. Doch jeder, der sexuellen Missbrauch öffentlich macht, der Polizei oder soziale Organisationen am Urlaubsort über auffällige Vorkomnisse informiert oder Beobachtungen und Fakten an Hilfsorganisationen in Deutschland weitergibt, unterstützt den Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern im Tourismus.

Sophie Körte/Mechtild Maurer

 

Die Autorinnen sind Mitarbeiterinnen von ECPAT Deutschland e.V. – Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung.

 

zurück zum Inhalt