Politik 5/04

Motorrad-Umweltliste

Orientierung im Messwertchaos

Wer ein Motorrad kaufen will, erfährt über dessen Umweltqualität wenig. Es gibt keine einheitlichen Verbrauchsangaben. Lärmwerte sind praxisfern und Schadstoffgrenzwerte wie Euro2 sind nicht mit denen beim Pkw vergleichbar. Der umweltbewusste Käufer verliert sich im Messwertchaos. Die Motorrad-Umweltliste gibt Orientierungshilfe.

Foto: www.marcusgloger.de
Motorrad auf herbstlicher Landstraße: In den bisherigen Testmethoden ist die Fahrt außerhalb von Ortschaften nicht vorgesehen.

Fünf Millionen Motorräder knattern und röhren über Deutschlands Straßen. Zu wenige, wie es scheint, um ins Visier der staatlichen Schadstofffahnder zu geraten. „Erst der Zweirad-Boom der 90er Jahre hat die motorisierten Zweiräder auf die politische Agenda gebracht“, erklärt die ehemalige Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Gila Altmann, den Rückstand gegenüber dem Auto.

Die Schadstoffemissionen von Rollern und Motorrädern liegen jedenfalls noch weit über denen von modernen Pkw. Für den Spritverbrauch gibt kein einheitliches Messverfahren. Zwischen sechs und acht Liter auf 100 Kilometer sind bei großen Motorrädern keine Seltenheit, womit sie im Bereich von Mittelklasseautos liegen.

Die größte Umweltplage, die von schweren Maschinen ausgeht, ist zweifellos der infernalische Lärm. Die schönsten Naturschutzgebiete sind zerschnitten von kurvigen Lärmschneisen, auf denen sich an sonnigen Wochenenden Tausende Biker tummeln. Innerhalb geschlossener Ortschaften nervt vor allem das lautstarke Ausfahren der unteren Gänge. Die Schmerzgrenze von Anwohnern und Passanten wird dabei regelmäßig überschritten. Auch hier sind die gängigen Messverfahren weit davon entfernt, die Realität abzubilden.

Hersteller motivieren

Das renommierte Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) aus Heidelberg hat eine vom Umweltbundesamt gefördete Motorrad-Umweltliste vorgelegt. Vorbild ist die etablierte Auto-Umweltliste des VCD, deren Systematik ebenfalls vom IFEU-nstitut erarbeitet wurde. „Wir wollten die bewussten Motorradfahrer mobilisieren, die Hersteller zu besserer Umwelttechnik zu motivieren“, formuliert Gila Altmann das Ziel der Liste. Drei Umweltkategorien haben die Experten unter die Lupe genommen: Belastungen der Gesundheit und der Umwelt, Ressourcenverbrauch und Klimarelevanz sowie Lärmbelastung.

30 Hersteller bieten über 300 verschiedene Modelle auf dem deutschen Markt an. Die Liste fasst das Angebot in drei Größenklassen, die analog zur Schadstoffgesetzgebung gewählt wurden: Kleinkrafträder unter 50 ccm, Krafträder unter 150 ccm und Krafträder mit 150 ccm und mehr.

Als Schadstoffklassen existieren bisher Euro1 und Euro2. Ab 1. Januar 2006 wird Euro3 für Krafträder über 50 ccm eingeführt. Erst dann werden die Schadstoffemissionen in etwa auf dem heutigen Niveau von Pkw mit Benzinmotor liegen.

Ab Euro3 werden auch die Testzyklen so festgelegt, dass sie der wirklichen Nutzung annähernd entsprechen. Die bisherigen Messverfahren lassen beispielsweise den Kaltstart und die Fahrt außerorts unberücksichtigt.

Dass Schadstoffe aus Zweiradauspuffen durchaus Größenordnungen erreichen, die von umweltpolitischer Bedeutung sind, zeigen die Werte für Kohlenwasserstoffe. Obwohl Zweiräder lediglich knapp drei Prozent aller Fahrleistungen in Deutschland erbringen, sind sie für rund 15 Prozent der Kohlenwasserstoffemissionen verantwortlich. Ein Wert, der erst ab 2006 mit der neuen Schadstoffnorm zurückgehen wird.

„Wir haben uns entschieden, in der Kategorie Schadstoffe nur nach den Grenzwerten zu bewerten“, erklärt Frank Dünnebeil vom IFEU-Institut. Die Alternative, nach den unter Laborbedingungen ermittelten Typprüfwerten zu klassifizieren, wurde verworfen, weil diese Laborwerte dem Praxistest nicht standhalten. Auch der Einbau von Katalysatoren bietet keine Gewähr, für eine bessere Schadstoffbilanz. Oft sind die Kats nicht auf reale Fahrbedingungen eingestellt, es gibt keinerlei Gewähr für die Lebensdauer und keine Abgasuntersuchung, die wie beim Pkw die Funktionsweise kontrolliert.

38 der 241 in der Motorrad-Umweltliste untersuchten Modelle sind noch nach Euro1 zugelassen, der Rest nach Euro2. Die Euro3-Norm kann man bisher noch nirgends kaufen. Neue Euro1-Motorräder dürfen seit 1.‑Juli 2004 eigentlich nicht mehr verkauft werden. Allerdings können Hersteller beim Kraftfahrtbundesamt Ausnahmegenehmigungen für ein Jahr beantragen und damit das Ausrangieren ihrer Euro1-Modelle noch bis Ende Juni 2005 hinauszögern. Aus Umweltsicht ist vom Kauf dieser alten Technik unbedingt abzuraten.

Die simpelste aller Umweltinformationen ist der Verbrauch eines Fahrzeuges. Hierüber nach einem standardisierten Messverfahren verständliche Angaben zu machen, ist für Zweiradhersteller erst mit Euro3 verbindlich. Damit hinkt die Verbraucherinformation auch in diesem Feld mehr als zehn Jahre hinter dem Pkw her.

Nur für 30 Modelle wurden dem IFEU Verbrauchsdaten zur Liste gemeldet. Die Werte schwanken zwischen 2,8 und 8,6 Liter auf 100 Kilometer und gelten außerdem nur für Innerortsfahrten. Es gibt also keine vergleichbaren Daten, die zum Erstellen einer verbindlichen Rangliste notwendig wären. „Aus Umweltsicht ist das ein Skandal“, stellt VCD-Experte Gerd Lottsiepen fest. „Außerdem ist dies eine eklatante Missachtung von Verbraucherinteressen“. Die Liste kann daher in der sehr wichtigen Kategorie „Ressourcenverbrauch/Treibhauseffekt“ keine Reihenfolge bilden.

Auch bei der dritten Kategorie „Lärm“ herrscht bisher eher Verwirrung als nachvollziehbare Verbraucherinformation. Kleinkrafträder und größere Fahrzeuge werden nach unterschiedlichen Methoden gemessen. Fahrgeräusch und Standgeräusch werden nach einer vorgeschriebenen Testmethode ermittelt, die den tatsächlich entstehendem Motorenlärm bei Beschleunigung oder Höchstgeschwindigkeit nicht abbildet. „Zwischen Leerlauf und Höchstdrehzahl liegen bis zu 30 dB(A) Differenz“, macht die Motorrad-Umweltliste das Krachpotenzial eines hochmotorisierten „heißen Ofens“ deutlich. Warum man in der Nähe eines derart ausgepressten Motors nahe an der Herzattacke vorbeischrammt, erklärt sich aus der Wahrnehmung von Schall durch das menschliche Ohr. Ein einziges Motorrad bei Höchstdrehzahl ist so laut wie 1000 Motorräder im Leerlauf zusammen.

Krachmacher verbieten

Das Problem verschärfen außerdem illegale, nicht zugelassene „Ersatzschalldämpfer“, die natürlich in Messverfahren nicht erfasst werden können. Im einschlägigen Fachhandel sind diese Krachmacher problemlos zu bekommen.

Foto: Archiv     
Die ehemalige Umwelt-Staatssekretärin Gila Altmann hat die Motorrad-Umweltliste ins Leben gerufen.

„Zubehör, das Motorräder noch lauter macht, als sie eh schon sind, muss grundsätzlich verboten werden“, fordert VCD-Referent Lottsiepen. Eine jährliche Umweltprüfung mit Plakette auf dem Schalldämpfer könne hier der allgegenwärtigen Manipulation vorbeugen. „Dazu müssen die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden“, fordert die Grünen-Politikerin Altmann. Und die Kontrollen müssten durchgreifend angelegt sein.

„Unsere Liste legt zugrunde, was die derzeitigen Messverfahren an Lärmdaten hergeben“, stellt Dünnebeil nüchtern fest. Dennoch bildet die sachliche Bewertung auch Kritik an den aktuellen Grenzwerten ab.

Beim Fahrgeräusch wurde eine Skala definiert, die den aktuellen Grenzwert als Nullpunkt markiert und einen anpruchsvollen Zielwert als 10-Punkte-Marke. Beim Standgeräusch, für das bisher gar kein Grenzwert existiert, wurde aus vorliegenden Daten das technisch Machbare ermittelt und daraus eine Skala von 0 bis 10 Punkte entwickelt. Die Gesamtbewertung mündet in fünf Lärmklassen. Klasse 5 wäre die beste; sie wird allerdings von keinem bewerteten Fahrzeug erreicht. Klasse 4 erreichen immerhin vier Kleinkrafträder.

„Auf ein Gesamt-Ranking wie bei der Auto-Umweltliste mussten wir leider verzichten“, bedauert IFEU-Chef Ulrich Höpfner, „weil Daten zum Kraftstoffverbrauch kaum vorhanden und praktisch nicht vergleichbar sind. Auch die Schadstoffgrenzwerte liegen nur in zwei Stufen differenziert vor und die Lärmwerte allein würden das Ergebnis doch sehr zufälllig gestalten.“

Die vorliegende Motorrad-Umweltliste ist dennoch ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz im Zweiradmarkt. „Die Liste macht die Hinhaltetaktik der Industrie deutlich“, sagt Gila Altmann zufrieden. BMW habe immer behauptet, die Kunden wollten keine verbrauchsarmen, leisen Motorräder. Mit Hilfe der Liste könne der Kunde jetzt fundierte Forderungen an die Hersteller richten. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Mehrzahl der Biker leisere und emissionsärmere Maschinen will“, zeigt sich die passionierte Motorradfahrerin optimistisch.

Am Beispiel der Auto-Umweltliste kann die politische Wirkung einer solchen Rangliste abgelesen werden. „Als der VCD vor 15 Jahren mit der ökologischen Bewertung von Autos angefangen hat, sah es dort ähnlich desolat aus wie heute beim Motorrad“, erinnert sich Lottsiepen. Heute sei nicht nur der Pkw deutlich sauberer als damals, die VCD Auto-Umweltliste sei gleichzeitig zum Standardprodukt avanciert, an dem kein Hersteller mehr vorbeikäme.

Michael Adler

Die gesamte Liste gibt es im Internet: www.umweltbundesamt.de/verkehr
www.ifeu.de unter Verkehr, Download

 

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