Magazin 5/04

Bergstraßen ohne Autos

Touristen und Natursportler überrollen die Alpen. Daher fordert die Initiative „Bergstraßen – autofrei!“ die Schließung von 18 Sackgassenstraßen, an denen keine Anwohner mehr leben.

Foto: Gerhard Fitzthum
Gasthäuser am Ende eines Tals ziehen oft erhebliche Mengen Autoverkehrs an.

Stille Naturlandschaften gehören zu den gefragtesten Zielen für Urlaub und Wochenende. Die meisten machen sich jedoch mit dem Auto auf den Weg und bringen auf diese Weise mit, wovor sie fliehen: Lärm, Gestank und Hektik. Der Anteil des Freizeit- und Urlaubsverkehrs an den bundesweit gefahrenen Auto-Kilometern beträgt inzwischen fünfzig Prozent, in Österreich und der Schweiz sogar sechzig Prozent. Beträchtlich angewachsen ist vor allem das Fahrpensum der immer zahlreicher werdenden Natursportler. Schweizer Studien zufolge entfallen auf sie bereits dreißig Prozent des Freizeitverkehrs in den Alpen. Mehr als drei von vier Outdoor-Aktivisten steuern ihr Ziel mit dem Pkw an und gehören – wie „sanft“ sie auch vor Ort unterwegs sein mögen – zur Gruppe der Motorsportler.

Da sie gerne die sensibelsten Naturräume ansteuern, sind erhebliche Beeinträchtigungen von Flora und Fauna die Folge. In den Bayerischen Alpen, der beliebtesten Ferienregion Deutschlands, zeigen zwei Drittel des Bergwaldes bereits deutliche Schäden. Als Hauptverursacher gilt der Straßenverkehr. Verkehrsunfälle, bei denen Öl und Benzin ins Erd-reich gelangt, bedrohen die Trinkwasserversorgung ganzer Regionen.

Der Bund Naturschutz in Bayern (BN) will das nicht länger hinnehmen und hat die Initiative „Bergstraßen – autofrei!“ gestartet. Was wie eine fundamentalistische Forderung klingt, ist in Wirklichkeit eher ein bescheidenes Anliegen: Der Landesverband verlangt die Schließung von 18 Sackgassenstraßen ins deutsche Hochgebirge. Sie erschließen keine dauerhaft bewohnten Ortschaften und werden fast ausschließlich von Touristen und Ausflüglern genutzt. Zu ihnen gehört beispielsweise die Straße ins idyllische Rissbachtal im Naturschutzgebiet Karwendelgebirge, auf der der Verkehr zwischen 1990 und 2000 um 150 Prozent zugenommen hat. Insgesamt rollen auf den 18 meist zwei bis fünf Kilometer langen Strecken jedes Jahr 1,4 Millionen Pkw und legen dabei über 200 Millionen Kilometer zurück.

Angesichts dieser enormen Belastung wundert man sich, dass nicht schon längst nach Alternativen gesucht wurde, zumal der größte Teil der Straßen im Besitz der öffentlichen Hand ist. Schließlich gilt seit zwei Jahren das Verkehrsprotokoll der internationalen Alpenkonvention. Im Sinne einer „nachhaltigen Verbesserung der Erholungs- und Freizeitaktivität im Alpenraum“ verpflichtet es die Behörden zu „Einrichtung und Ausbau kundenfreundlicher und umweltgerechter öffentlicher Verkehrssysteme“. Bei den diskutierten Straßen dürfte die Schließung auch deshalb durchsetzbar sein, weil es keinen Nutzungskonflikt mit Anwohnern gibt.

Rechnung ohne den Wirt

Nicht zu unterschätzen ist jedoch der Einfluss der Individualverkehrs-Lobby, die sich sogar aus den Kreisen anerkannter Naturschutzverbände rekrutiert. Außerdem enden die Straßen oft an Gast-häusern, und die Wirte drohen heftigen Widerstand an. Dabei ist längst erwiesen, dass mit einem ausgeklügelten ÖPNV-Konzept genau so viel zu verdienen ist, weil die Einkehrstationen durch die Autofreiheit aufgewertet werden. Das Gasthaus Alpe Hörmoos in Oberstaufen floriert jedenfalls bestens – trotz der Sperrung der Zufahrtsstraße. Seit Jahren gibt es einen Busersatzverkehr, der sich längst selbst trägt. In der Saison 2003 wurden etwa 30000 Personen befördert. Rund 20 Tonnen CO2 wurden der Umwelt auf diese Weise erspart – knapp sechzig Prozent der Mengen, die durch privaten Freizeitverkehr freigesetzt worden wären.

Ein anderes Hindernis liegt in der Tatsache, dass es sich bei jedem zweiten Objekt um eine Mautstraße handelt. Zum Teil werden hier beträchtliche Gewinne gemacht – von privaten Eignern, der Gemeinde, dem Alpwegeverband oder sogar von der Bundesrepublik, die auf der Rossfeld-Höhenringstraße, einer sogenannten Bundesprivatstraße, Benutzungsgebühren erhebt. Letztlich gibt es auch ein logistisches Problem, das die eine oder andere Gemeinde zögern lässt: Wo soll man den Großparkplatz bauen, der die ganzen Autos aufnimmt, die jetzt nicht mehr hinauf fahren dürfen? Mit den riesigen Parkflächen, die im Moment in der Natur bestehen, scheint man weniger Probleme zu haben.

„Das Beste wäre natürlich, die Leute würden schon zu Hause in den Zug oder in den Bus steigen“, sagt Helga Wessely, die Projektleiterin beim Bund Naturschutz. In der Tat wäre das Problem damit sofort gelöst. Allerdings darf man die Rechnung nicht ohne den Wirt machen – jenen Zeitgenossen, der zurück zur Natur will, aber nicht zu Fuß und so schnell wie möglich.

Gerhard Fitzthum

Die Broschüre „Bergstraßen – autofrei“ ist gegen einen mit 1,44 Euro frankierten Rückumschlag erhältlich bei:
BN, Pettenkoferstr. 10a, 80336 München oder hier als Download.

 

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