Titel 4/2004VölklingenBonjour tristesseAuch im Westen Deutschlands verlieren ehemalige Industriestädte bereits heute große Teile ihrer Bevölkerung. Völklingen ist eine von 16 Pilotstädten des Programms „Stadtumbau West”. Der demografische Wandel wird den Trend zur Schrumpfung noch verstärken.
„Sie können doch der Stadt nicht das Herz rausreissen“, weist Constanze Roth das Undenkbare von sich. Sie ist als Projektentwicklerin bei der Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung für den Stadtumbau in Völklingen zuständig. Das Herz der saarländischen Stahlstadt leidet schon lange an Rhythmusstörungen. 1986 erlitt die Stadt den eigentlich tödlichen Infarkt: Die Stahlhütte schloss nach 105 Jahren ihre Pforten. Die nahe zur Hütte gelegene Innenstadt siecht seitdem vor sich hin. Eine Stadt stirbt eben nicht von heute auf morgen. Und doch stellt man sich in Völklingen unweigerlich die Frage, ob es noch Hoffnung gibt. Das Zentrum bildet ein Straßendreieck mit
vielen Billigläden, leeren Schaufenstern, einem
Kaufhof, der nicht mehr ist, und einem großen
Woolworth-Kaufhaus. Die Plätze, auf denen sich so
etwas wie städtisches Leben entwickeln
könnte, sind vielfach zugebaut mit klotzigen
Wohnblöcken und sperriger Betonmöblierung aus
der Stadtsanierung der 70er Jahre.
18 Millionen wären nötigVier Millionen Euro stehen der engagierten Stadtplanerin über das Programm Stadtumbau West der Bundesregierung zur Verfügung. „Für eine komplette Sanierung würden wir 18 Millionen brauchen“, hat Chlench ausgerechnet. „Also konzentrieren wir uns auf das Wesentliche“. Das Wesentliche, so haben Erfahrungen in anderen schrumpfenden Städten gezeigt, ist es, die Depression aus der Bevölkerung zu vertreiben. „Wir wollen schrumpfen“, formuliert Chlench die Botschaft offensiv. Eine Kampagne unter dem Motto „Völklingen macht sich auf die Socken“ wurde gestartet. Im Rahmen einer Stadtumbauwoche versuchte die Stadt die Bürger für den Zukunftsdialog zu gewinnen. Der Erfolg war eher mäßig. Kamen bei der ersten Podiumsdiskussion, zu der Hauseigentümer und Einzelhändler gezielt geladen waren, noch 100 Leute, waren es beim Thema Wohnen und Freiraum in der Innenstadt noch sieben. Für die eher scheuen Bürger wurde ein Zettelkasten eingerichtet für schriftlich formulierte Ideen. Seine ultimative Lösung für die Innenstadt brachte ein Bürger im Schutz der Anonymität in zwei Worten unter: „Bomb druff“. Davon lässt sich Andrea Chlench nicht
erschüttern. Die geborene Rheinländerin hat
zuvor Stadtsanierung im Stahlstandort Oberhausen
betrieben und kennt die destruktive Haltung von
Bürgern in Krisenstädten. „Man muss die
Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen und schonungslos
offenlegen“, sagt sie. Die Wirklichkeit
drückt sich in nackten Zahlen wie folgt aus:
Völklingen hat seit 1980 rund 15000
Arbeitsplätze verloren, was einer Halbierung
gleichkommt. Die Bevölkerung ist von damals 48000
auf heute 42000 gesunken. Für das Jahr 2020 sind
34000 Einwohner prognostiziert. 17 Prozent sind
arbeitslos, neun Prozent erhalten Sozialhilfe.
Die öffentliche Hand stößt angesichts solch komplexer Probleme an ihre Grenzen. „Ein kleiner sichtbarer Impuls im Bestand“, skizziert Chlench ihre bescheidenen Möglichkeiten, „oder auch Abriss dort, wo man neue Frei- und Grünflächen gewinnt.“ Aber diese Chance will sie auch nutzen. „Die enge, kleinteilige Struktur in der Innenstadt macht es eigentlich leicht, etwas zu verbessern“, sagt sie optimistisch. Vier Großprojekte schildert sie: Im Innenhof der Forbacher Passage und des Platzes „Ars sur Moselle“ soll der Verkehr reduziert, die 70er Jahre Möblierung entfernt, Flächen entsiegelt und der Kinderspielplatz attraktiver gestaltet werden. Kosten: 440000 Euro. Der Pfarrgarten ist der Kultur- und Veranstaltungsplatz der Innenstadt. Hier soll die bisher improvisierte Bühne fest installiert werden. Die umliegende Gastronomie soll mit kulturellen Angeboten zur Belebung des Platzes beitragen. Als sichtbares Zeichen der Aufwertung ist die nächtliche Beleuchtung der St. Eligius-Kirche geplant. Abriss als beste LösungDas massivste Hindernis bei der städtischen Platzentwicklung ist das Möbelhaus Storch. Das leerstehende Erdgeschoss und verwahrloste Durchgänge werten das ganze Areal ab. „Der Komplettabriss wäre hier die beste Lösung“, stellt Chlench nüchtern fest. Allerdings fehlen ihr die dazu notwendigen 2,2 Millionen Euro. Daher ist nun ein Teilrückbau und eine Nutzung im Erdgeschoss mit der Stadtbibliothek angedacht. Auch die Jugendstilhäuser in der Rathausstraße bieten derzeit ein eher trostloses Bild. „Mit deren Sanierung könnten wir ein weiteres Zeichen zur Aufwertung der Innenstadt setzen“, glaubt Chlench. Die Kooperation mit den Eigentümern gestaltet sich allerdings schwierig. Die Tatsache, dass über 80 Prozent der
Innenstadtimmobilien in Privathand sind, macht das
Sanierungsgeschäft für die Stadt nicht
leichter. „Wir stehen hier vor einem völlig
neuen Fall von Stadtentwicklung“, erklärt
Chlench. Neu auch deshalb, weil die Eigentümer
vielfach Türken oder wenig finanzkräftige
Alt-Völklinger sind. Beide
Bevölkerungsgruppen sind für stadtplanerische
Konzepte nicht sehr offen. Hinzu kommt die Aufgabe,
sozial, religiös oder rassistisch begründeten
Sprengstoff im Sanierungsgebiet zu entschärfen.
Daher bezeichnet die Stadtplanerin Völklingen als
Laboratorium für die zukünftige Entwicklung
von schrumpfenden Städten.
Michael Adler |