Titel 4/2004

Völklingen

Bonjour tristesse

Auch im Westen Deutschlands verlieren ehemalige Industriestädte bereits heute große Teile ihrer Bevölkerung. Völklingen ist eine von 16 Pilotstädten des Programms „Stadtumbau West”. Der demografische Wandel wird den Trend zur Schrumpfung noch verstärken.

Fotos: www. marcusgloger.de

„Sie können doch der Stadt nicht das Herz rausreissen“, weist Constanze Roth das Undenkbare von sich. Sie ist als Projektentwicklerin bei der Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung für den Stadtumbau in Völklingen zuständig. Das Herz der saarländischen Stahlstadt leidet schon lange an Rhythmusstörungen. 1986 erlitt die Stadt den eigentlich tödlichen Infarkt: Die Stahlhütte schloss nach 105 Jahren ihre Pforten. Die nahe zur Hütte gelegene Innenstadt siecht seitdem vor sich hin. Eine Stadt stirbt eben nicht von heute auf morgen. Und doch stellt man sich in Völklingen unweigerlich die Frage, ob es noch Hoffnung gibt.

Das Zentrum bildet ein Straßendreieck mit vielen Billigläden, leeren Schaufenstern, einem Kaufhof, der nicht mehr ist, und einem großen Woolworth-Kaufhaus. Die Plätze, auf denen sich so etwas wie städtisches Leben entwickeln könnte, sind vielfach zugebaut mit klotzigen Wohnblöcken und sperriger Betonmöblierung aus der Stadtsanierung der 70er Jahre.
Dem ankommenden Bahnreisenden versperrt ein Globus-Supermarkt den Blick auf die Innenstadt. Unmittelbar dahinter schafft eine gewaltige vierspurige Hochstraße eine weitere Barriere zum Zentrum. „Auch ein Relikt der unreflektierten Wachstumsideologie der 70er Jahre“, erklärt Andrea Chlench, die städtische Umbauplanerin. Diese Autobahn sei damals durch die Stadt betoniert worden, um den Schwerlastverkehr zur Hütte umzuleiten. Seit die Hütte geschlossen hat, ist die Straße auf Stelzen weit überdimensioniert. „Aber woher sollten die Millionen kommen, um sie wieder abzureißen?“, fragt Chlench.

18 Millionen wären nötig

Vier Millionen Euro stehen der engagierten Stadtplanerin über das Programm Stadtumbau West der Bundesregierung zur Verfügung. „Für eine komplette Sanierung würden wir 18 Millionen brauchen“, hat Chlench ausgerechnet. „Also konzentrieren wir uns auf das Wesentliche“.

Das Wesentliche, so haben Erfahrungen in anderen schrumpfenden Städten gezeigt, ist es, die Depression aus der Bevölkerung zu vertreiben. „Wir wollen schrumpfen“, formuliert Chlench die Botschaft offensiv. Eine Kampagne unter dem Motto „Völklingen macht sich auf die Socken“ wurde gestartet. Im Rahmen einer Stadtumbauwoche versuchte die Stadt die Bürger für den Zukunftsdialog zu gewinnen. Der Erfolg war eher mäßig. Kamen bei der ersten Podiumsdiskussion, zu der Hauseigentümer und Einzelhändler gezielt geladen waren, noch 100 Leute, waren es beim Thema Wohnen und Freiraum in der Innenstadt noch sieben. Für die eher scheuen Bürger wurde ein Zettelkasten eingerichtet für schriftlich formulierte Ideen. Seine ultimative Lösung für die Innenstadt brachte ein Bürger im Schutz der Anonymität in zwei Worten unter: „Bomb druff“.

Davon lässt sich Andrea Chlench nicht erschüttern. Die geborene Rheinländerin hat zuvor Stadtsanierung im Stahlstandort Oberhausen betrieben und kennt die destruktive Haltung von Bürgern in Krisenstädten. „Man muss die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen und schonungslos offenlegen“, sagt sie. Die Wirklichkeit drückt sich in nackten Zahlen wie folgt aus: Völklingen hat seit 1980 rund 15000 Arbeitsplätze verloren, was einer Halbierung gleichkommt. Die Bevölkerung ist von damals 48000 auf heute 42000 gesunken. Für das Jahr 2020 sind 34000 Einwohner prognostiziert. 17 Prozent sind arbeitslos, neun Prozent erhalten Sozialhilfe.
In der Innenstadt steigert sich die Misere noch. 20 Prozent der Wohnungen stehen leer, 40 Prozent der Gewerbeflächen. 14 Prozent leben von Sozialhilfe, 34 Prozent der Innenstadtbewohner sind Ausländer und 28 Prozent sagen offen, Ausländer und Deutsche sollten besser getrennt leben.
Die Prognose für ganz Völklingen ist ebenso klar wie entmutigend: Der Mangel an Arbeitsplätzen wird die jungen, mobilen Völklinger vertreiben. Das wird den Bevölkerungsschwund verstärken.

Die öffentliche Hand stößt angesichts solch komplexer Probleme an ihre Grenzen. „Ein kleiner sichtbarer Impuls im Bestand“, skizziert Chlench ihre bescheidenen Möglichkeiten, „oder auch Abriss dort, wo man neue Frei- und Grünflächen gewinnt.“ Aber diese Chance will sie auch nutzen. „Die enge, kleinteilige Struktur in der Innenstadt macht es eigentlich leicht, etwas zu verbessern“, sagt sie optimistisch. Vier Großprojekte schildert sie: Im Innenhof der Forbacher Passage und des Platzes „Ars sur Moselle“ soll der Verkehr reduziert, die 70er Jahre Möblierung entfernt, Flächen entsiegelt und der Kinderspielplatz attraktiver gestaltet werden. Kosten: 440000 Euro.

Der Pfarrgarten ist der Kultur- und Veranstaltungsplatz der Innenstadt. Hier soll die bisher improvisierte Bühne fest installiert werden. Die umliegende Gastronomie soll mit kulturellen Angeboten zur Belebung des Platzes beitragen. Als sichtbares Zeichen der Aufwertung ist die nächtliche Beleuchtung der St. Eligius-Kirche geplant.

Abriss als beste Lösung

Das massivste Hindernis bei der städtischen Platzentwicklung ist das Möbelhaus Storch. Das leerstehende Erdgeschoss und verwahrloste Durchgänge werten das ganze Areal ab. „Der Komplettabriss wäre hier die beste Lösung“, stellt Chlench nüchtern fest. Allerdings fehlen ihr die dazu notwendigen 2,2 Millionen Euro. Daher ist nun ein Teilrückbau und eine Nutzung im Erdgeschoss mit der Stadtbibliothek angedacht.

Auch die Jugendstilhäuser in der Rathausstraße bieten derzeit ein eher trostloses Bild. „Mit deren Sanierung könnten wir ein weiteres Zeichen zur Aufwertung der Innenstadt setzen“, glaubt Chlench. Die Kooperation mit den Eigentümern gestaltet sich allerdings schwierig.

Die Tatsache, dass über 80 Prozent der Innenstadtimmobilien in Privathand sind, macht das Sanierungsgeschäft für die Stadt nicht leichter. „Wir stehen hier vor einem völlig neuen Fall von Stadtentwicklung“, erklärt Chlench. Neu auch deshalb, weil die Eigentümer vielfach Türken oder wenig finanzkräftige Alt-Völklinger sind. Beide Bevölkerungsgruppen sind für stadtplanerische Konzepte nicht sehr offen. Hinzu kommt die Aufgabe, sozial, religiös oder rassistisch begründeten Sprengstoff im Sanierungsgebiet zu entschärfen. Daher bezeichnet die Stadtplanerin Völklingen als Laboratorium für die zukünftige Entwicklung von schrumpfenden Städten.
Ein Pfund bleibt Völklingen, von dem andere Städte nur träumen können: das UNESCO-Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Bisher schwappt jedoch kein Impuls von diesem Touristenmagneten erster Güte herüber. Das mag daran liegen, dass der UNESCO die Stadt weitgehend egal ist. Vielleicht auch daran, dass die Stadt nicht ein passables Hotel zu bieten hat und die Gastronomie auf Schnellimbissniveau verharrt. „Wir sind auf dem Weg das zu ändern“, sagt Andrea Chlench.

Michael Adler

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