Reise 4/2004CorkKulturzentrum am Rande EuropasDie irische Hafenstadt Cork wird Kulturhauptstadt 2005. Grund genug, der jungen, lebendigen Stadt mit den vielen Kneipen vorab schon einmal einen Besuch abzustatten.
Der schwarze Lee hält sie in seinen Armen, umspült sie von allen Seiten und badet sie in seinen Wellen. Auf seinem Weg zum nahen Meer windet und mäandert er und bildet so den zweitgrößten natürlichen Hafen der Welt. Darin ankerte einst die Titanic auf ihrem Weg ins Verderben. Fast alle Ozeanriesen machten hier an der irischen Südküste Station und tausende Auswandererschiffe nahmen die Menschen auf, die vor Hunger und Not nach Amerika flohen. „Wir sind die Rebellenstadt", erklärt Stadtführerin Noreen. Sie erzählt von den Dichtern, den Künstlern, Seefahrern, Hugenotten, jüdischen Einwanderern und vom irischen Schicksalsjahr 1920. Damals erschossen britische Spezialtruppen den Bürgermeister und brannten die Innenstadt nieder, weil sich die Corker nicht mehr unter das Joch der Kolonialherren fügen wollten. Später mussten die Steuerzahler seiner Majestät den Wiederaufbau finanzieren. Die Corker hatten das Königreich verklagt und gewonnen. Spätestens seit dem erfolgreichen irischen Unabhängigkeitskrieg trägt Cork stolz den Namen „Rebel Town“. In Irland, heißt es, ist jedes vierte Haus eine Kirche und jedes dritte eine Kneipe. In Cork sind es ein paar Kirchen weniger und einige Kneipen mehr. Voll sind die Pubs fast alle und fast immer. Im „Thirsty Scholar“, dem „Durstigen Schüler“ nicht weit von der 150 Jahre alten, im Tudor-Stil erbauten Universität, lauschen junge Leute aus aller Welt den beiden Fiedeln und der Gitarre. „Diese Musik musst du spüren. Da gibt es keine Noten, nichts ist in Stein graviert“, erklärt John, der junge Fiedelspieler. Er war auf einer irischen Schule. Dort wird in der alten Nationalsprache Gälisch unterrichtet, und die irische Musik ist Teil des Lehrplans. An den hier Sesiún genannten, spontanen Auftritten in den Corker Kneipen liebt er die Freiheit beim Spielen. „Jeder hat seinen eigenen Stil und das ist gut und richtig.“
Die Kunststudentin Annie fühlt sich in Cork als Teil eines Ganzen. Die 23-Jährige ist hier aufgewachsen, durch die Welt gereist und nun zurückgekommen: „Wie verloren du dich auch fühlst, hier gibt es immer einen Platz für dich.“ – Einen Platz in einer der vielen Kneipen, wo Anwälte, Studenten, Arbeiter, Künstler und Lebenskünstler schnell ins Gespräch kommen oder einen Arbeitsplatz in den vielen Unternehmen, die sich an den Ufern des Lee in den letzten Jahren niedergelassen haben. Mit Steuerrabatten und billigen Grundstücken hat die irische Regierung Großunternehmen wie Apple oder die Hotelkette Marriot angelockt. Der Pharmakonzern Pfizer produziert in einem Corker Vorort Viagra-Pillen. Europäische Firmen folgten und stellen in ihren Telefonzentralen junge Leute ein, die englisch, deutsch oder eine andere europäische Sprache sprechen. Viele bleiben nur, bis sie genug Geld für die Weiterreise haben. Kunst für alleDie Malerin Anne Steinen ist in Cork geboren: „Diese Stadt brummt vor Ideen. Sie ist voll mit jungen, kreativen Leuten“, schwärmt sie und ärgert sich, dass „so viele Projekte an den Behörden oder simplen Versicherungsfragen scheitern“. Im Kulturhauptstadtjahr 2005 soll sich das ändern. Aus 2000 Vorschlägen, die die städtische Veranstaltergesellschaft Cork 2005 auf ihre europaweite, offene Ausschreibung erhalten hat, wählten die Juroren 40 Projekte aus: Geplant sind Ausstellungen zur Geschichte der Ozeanriesen, die den Corker Hafen Cobh mit Nordamerika verbanden, ein Straßentheaterfestival, ein Monat der Kindheit, ein Ruderrennen vom 23 Kilometer entfernten Atlantik in die Innenstadt, Gastspiele von Performancekünstlern und Theatern aus den neuen EU-Ländern, Kunstausstellungen und viele kleinere Ereignisse unter dem Motto „Kunst für alle“. Europas neue Kulturhauptstadt ist stolz auf ihre Tradition der
meist friedlichen Begegnungen verschiedener Kulturen.
Stadtführerin Noreen erinnert sich an den Besuch der
Juroren, die die Europäische Kulturhauptstadt 2005
auswählten: Sie hätten gesagt, dass sie „da unter
dem Pflaster, wo das Wasser fließt, Energie und Geschichte
spüren.“ Nun sei der Moment gekommen, dies ans
Tageslicht zu holen und zu feiern.
Robert Fishman Mehr Infos unter: Irland Information,
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