Politik 4/04

Flugverkehr

Schlaf ist kein Wirtschaftsfaktor

Im Frühjahr stellte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Ergebnisse seiner Schlaflabor- und Feldstudie vor. Fünf Jahre lang untersuchte das DLR die Wirkung von Fluglärm auf den Schlaf. Nun soll die Studie als Grundlage für das neue Fluglärmgesetz dienen. Der VCD veranstaltete eine Tagung, auf der Bürgerinitiativen, Flughafenbetreiber, Wissenschaftler und Ministerienvertreter über die Auslegung der Ergebnisse diskutierten.

Foto: www.pixelquelle.de

„Vor fünf Jahren, als das DLR sein Konzept für die Schlafstudie bei einer Veranstaltung vorstellte, hieß es: ‚Das ist reine Grundlagenforschung. Die Studie soll keine Vorgaben für die Gesetzgebung machen’“, empört sich eine Zuhörerin. „Und jetzt wollen Sie aus der Studie Richtwerte für eine Lärmgesetzgebung ableiten.“

Lobbyismus oder Grundlagenforschung, Gesundheitsvorsorge oder Wirtschaftsinteressen? Bei der VCD-Tagung „Wie schädlich ist Fluglärm“ im Bonner Umweltministerium schlugen die Wellen hoch. Auf der einen Seite die Vertreter der Flugwirtschaft, auf der anderen die Bürgerinitiativen gegen Fluglärm – nur wenigen Wissenschaftlern gelingt es, die Brücke zwischen den Lagern zu schlagen.

Mathias Basner vertritt die Ergebnisse der Studie für das DLR. Für ihn steht außer Zweifel, dass seine Studie repräsentativ ist und dass man daraus wesentliche Erkenntnisse für die Gesetzgebung ableiten kann. Dass er nur gesunde und freiwillige Probanden untersucht hat und dass Kinder aus ethischen Gründen nicht einbezogen wurden, mindert für ihn nicht den Wert der Ergebnisse. „An unserer Studie wird alles kritisiert, was zu kritisieren ist. Dann seien Sie wenigstens fair und gehen Sie mit anderen Studien genauso kritisch um“, fordert er. Das Problem: Keine andere Fluglärm-Studie hat je den Anspruch erhoben, politisch wegweisend zu sein, und: Keine andere Studie wurde so auf plakative Ergebnisse verkürzt und in der Öffentlichkeit vermarktet.

„Fluglärm verkürzt Schlaf im Schnitt nur um zwei Minuten“, war die Botschaft, mit der das DLR im Mai die Studie der Presse vorstellte. „Zwei Minuten im Schnitt, bei 192 Probanden – das kann bedeuten, dass 163 durchschlafen, 28 immer wieder wachliegen und einer die ganze Nacht nicht richtig schläft“, kommentierte Eberhard Greiser vom Zentrum für Public Health der Universität Bremen süffisant. Die Erkenntnis der VCD-Tagung: Auch die neue Studie unterstützt nur, was viele andere Studien längst belegt haben – zum Beispiel, dass es keine Aufwachschwelle gibt, also keine Lärmgrenze, ab der Probanden mit großer Sicherheit aufwachen.

„Was fehlt, sind Studien, die eine Aussage darüber machen, ob und wie Fluglärm langfristig krank macht“, fasst Greiser zusammen. Laut DLR sind solche Studien dank der ihren verzichtbar: Wenn der Schläfer nicht aufwacht und morgens keine Erschöpfungserscheinungen zeigt, leidet er nicht unter dem nächtlichen Fluglärm. Also kann er langfristig auch nicht krank werden, so die Argumentation. „Den Denkfehler haben wir beim Asbest schon gemacht“, sagt Gerda Noppeney von der Ärzteinitiative für ungestörten Schlaf.

Wollte es die Regierung wirklich wissen, so Greiser, müsste sie eine epidemiologische Studie zu den langfristigen Folgen von Fluglärm durchführen lassen. „Wir haben 50 Studien im Bereich der Schlafforschung und keine einzige im Bereich der Gesundheitsforschung“, sagt er. Dabei wäre es durchaus möglich, die Bevölkerung in der Umgebung großer Flughäfen auf ihre Gesundheit hin zu untersuchen und mit einer Kontrollgruppe zu vergleichen. Mit dem Kostenaufwand der DLR-Studie wäre das auf jeden Fall machbar gewesen.

rg

 

Die Studie

Das DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln untersuchte in 2240 Nächten 128 Personen unter Laborbedingungen und 64 Personen zu Hause in fluglärmbelasteten Gebieten hinsichtlich der akuten Schlafstörungen durch Fluglärm. Die Studie ermittelte zur Freude der Fluglobby eine statistisch nicht signifikante fluglärmbedingte Verkürzung der Schlafzeit um etwa zwei Minuten. Aus Sicht der Fluglärmbetroffenen positiv ist der Nachweis der Studie, dass bereits 33 Dezibel am Ohr des Schläfers zu einer Aufwachreaktion führen können.

 

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