Titel 3/2004

Interview

„Kommunikation und gute Beispiele“

Tilo Braune ist Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen. Seit einem halben Jahr ist er außerdem Präsident des Deutschen Tourismusverbandes (DTV). fairkehr befragte Braune zu seinem Einsatz für Urlauber ohne Auto und zum Konzept seines Hauses in Sachen Nachhaltige Mobilität im Urlaubsverkehr.

fairkehr: Ein Fünftel aller Haushalte in Deutschland hat kein Auto. Jeder Vierte, der in Deutschland Ferien macht, ist ohne Auto unterwegs. Trotzdem findet man kein Angebot für diese Urlauber. Wie erklären Sie sich das?
Tilo Braune: Ich glaube wir sind in einer Phase des Umdenkens. Vor zehn oder zwanzig Jahren gab es kaum Angebote für Radfahrer. Da ist man doch in den letzten Jahren viel weiter gekommen. Der Bedarf ist gewachsen und die Angebote haben sich entsprechend entwickelt.

fairkehr: Jetzt beziehen Sie sich speziell auf Radtourismus.
Braune: Ganz speziell im Radtourismus ist es deutlich. Die Wachstumszahlen der touristischen Nachfrage im Fahrradtourismus liegen im zweistelligen Bereich, ich glaube bei 12,5 Prozent. Das ist schon ein deutliches Signal, dass ein Umdenken bei den Touristen da ist, dem man entsprechend Rechnung tragen muss.

fairkehr: Aber auch wer Radurlaub macht, muss an sein Urlaubsziel kommen. Was die Anreise mit Bus und Bahn angeht, verschlechtern sich die Angebote eher.
Braune: Ein Defizit, von dem ich hoffe, dass wir es in den nächsten Jahren beheben können, ist die Fahrradmitnahme im Fernverkehr. Da gab es bereits mehrere Gespräche mit der DB. Die DB AG sagt uns, dass es für die ICEs nicht rentabel ist, Sitzplätze wegfallen zu lassen und dafür Radplätze einzubauen. Das ist natürlich für ein privat geführtes Unternehmen wie die DB ein Aspekt, den man ernst nehmen muss. Man hat uns aber zugesagt, dass man über ergänzende Angebote in der Zukunft die Radmitnahme verbessern will. Auf den Strecken fahren ja auch noch ICs und Nahverkehrszüge. Und gerade was die ICs betrifft, will man da wohl ein Stück weiterkommen. Wir werden über ein enges Monitoring beobachten, ob das wirklich funktioniert. Auf jeden Fall sollen Sie wissen, dass unser Haus hier mit der DB AG im Gespräch ist.

fairkehr: Das ist Ihnen ein Anliegen?
Braune: Unbedingt. Es kann ja keinem zugemutet werden aus Baden-Württemberg im Nahverkehr nach Usedom zu reisen.

fairkehr: Was im Moment leider vielerorts Realität ist.
Braune: Das ist eher kon-traproduktiv. Ich glaube, da sind wir uns schnell einig, dass wir zu Verbesserungen kommen müssen. Was die An-gebote vor Ort in den Urlaubsgebieten betrifft, gibt der Bund Geld für den öffentlichen Personennahverkehr und den Schienenverkehr, um den Ländern entsprechende Möglichkeiten zu geben, eigene Akzente zu setzen. Wobei ich jetzt mal als Touristiker sage, es gibt da ja durchaus gute Beispiele in den Regionen.

fairkehr: Der Kunde weiß aber nicht, wo Angebote gut sind und wo schlecht. Er hat keine Qualitätsgarantie.
Braune: Hier müssen wir respektieren, dass wir in einem föderalen Staat leben, in dem die Aufgaben unterschiedlich verteilt sind. Der Bund hat kein Recht, den Ländern vorzuschreiben, wo sie was mit den vom Bund gegebenen Geldern machen sollen. Wir können nur appellieren und über Pilotprojekte gute Beispiele setzen.

 

Fotos: David Ausserhofer

Auf ungewöhnlichen Wegen kam Staats-sekretär Tilo Braune ins Ministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen: In Greifswald arbeitete er viele Jahre als Arzt und Psychotherapeut. Nach der Wende enga-gierte er sich in der SPD, wurde 1994 Mitglied des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern und Sprecher für Hochschulen und Forschung der SPD-Landtagsfraktion. Von 1994 bis 1998 war er Mitglied des Bundestages. Seit Oktober 2002 ist Braune Staatssekretär im BMVBW, seit Oktober 2003 außerdem Präsident des Deutschen Tourismusverbands.

 

fairkehr: Tun Sie das?
Braune: Ja natürlich. Zum Beispiel wenn Sie den Oder-Neisse-Radweg nehmen …

fairkehr: Da sind Sie jetzt wieder beim Radverkehr. Gehen Sie doch einmal weiter hin zu einer guten Gesamtmobilität vor Ort.
Braune: Ich bin ja in einer Doppelfunktion: Als Touristiker habe ich natürlich ein großes Interesse, dass es hier entsprechende Angebote gibt, die auch berechenbar sind. Als Vertreter dieses Hauses muss ich mich an die in Deutschland übliche Aufgabenverteilung halten. Und da kann man nur appellieren, aber nicht anordnen. Das ist nun mal so geregelt in Deutschland.

fairkehr: Man könnte aber auch informieren. Auf der Homepage Ihres Hauses kommt Tourismus überhaupt nicht vor.
Braune: Das liegt daran, dass der Tourismus, soweit der Bund zuständig ist, im Wirtschaftsministerium angesiedelt ist.
fairkehr: Ihr Haus bekennt sich zur Nachhaltigkeit. Wie wollen Sie denn diese Nachhaltigkeit im Bereich Tourismusverkehr in den kommenden Jahren erreichen? Braune: Wir erarbeiten gerade ein Modellprojekt „Integriertes Verkehrsprojekt Usedom-Wolin“, wo wir am Beispiel der Insel exemplarisch zeigen, wie man mit modernen Verkehrsangeboten bis hin zu Verkehrsleitsystemen, aber auch dem nicht-individuellen Verkehr, Tourismusströme nach-haltig lenken kann. Auf dieser Insel, die touristisch stark genutzt ist und grenzüberschreitend von bei-den Seiten angefahren wird, probieren wir aus, wie wir mit modernen Konzepten eine Region vom Verkehrskollaps verschonen können.

fairkehr: Wie sieht das aus?
Braune: Wir haben seit Jahren endlose Staus an den beiden Inselzugängen, bei denen den Menschen bei 34 Grad in der prallen Sonne die Lust vergeht, überhaupt noch auf die Insel zu fahren. Wer das einmal erlebt hat, kommt nicht unbedingt wieder. Aber uns interessiert auch der strategische Aspekt: Wie sollen denn Urlaubsregionen überhaupt erreichbar sein. Da wird zum Beispiel überlegt, ob die Leute, wenn sie schon mit dem Auto anreisen, ihr Auto auf dem Festland lassen und dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiterfahren. Auf Usedom gibt es ja ein sehr interessantes Bahnprojekt, die Usedomer Bäderbahn, die sich sehr gut entwickelt und die ein integriertes Konzept mit Wiedererkennbarkeit Bahn/Bus umsetzt. Sie kommen mit der blau-weißen Bahn in Heringsdorf an, dort steht der blau-weiße Bus, die Koffer werden eingeladen und dieser Bus fährt sie zu ihrem Hotel.

fairkehr: Genauso stellen wir uns das in möglichst vielen Tourismusregionen vor. Was muss passieren, dass sich da was tut? In der Schweiz funktioniert so ein Verkehrssystem flächendeckend.
Braune: Der Bund kann über solche Untersuchungen und Modellprojekte zeigen, dass es geht. Damit wird den Gegnern schon einmal das Totschlagargument genommen. Ich könnte mir vorstellen, dass man mit einer Studie wie der in Usedom zeigen kann, es rechnet sich, es ist akzeptiert, die Leute nehmen das an und verzichten in größerem Umfang auf die individuelle Anreise, und dass wir diese Ergebnisse anderen Urlaubsregionen dann zur Nachahmung übergeben können.

fairkehr: Eine dezidierte Willenserklärung von Ihrem Hause wäre schon einmal ein großes Zeichen.
Braune: Die gibt es! Ich hab das selbst promotet, bin mit Journalisten vom Ostbahnhof in Berlin mit dem Fahrrad in die Region gefahren, um zu zeigen, dass dieses integrierte Verkehrssystem mit Rad, Bahn und Bus funktioniert. Das geht schnell, das ist bequem – Leute, kommuniziert das. Das hat auch funktioniert. Aber es ist das Bohren dicker Bretter, die Menschen hier zum Umdenken zu bringen. Der Kunde muss erfahren, wenn er in die Region xy fährt, gibt es dort eine bequeme Art ohne Auto hinzukommen, man wird abgeholt, die Busse sehen so und so aus, es gibt ein integriertes System mit hohem Wiedererkennungswert mit möglichst hohen Fahr-Frequenzen, zuverlässigen Abfahrtszeiten, Taktverkehr.

fairkehr: Hier könnte aber auch der Bund Verantwortung übernehmen, wenn er Verkehrsströme lenken will. Der VCD führt im Auftrag des Umweltministeriums ein Projekt durch, das eine bessere Information der Reisenden zum Ziel hat. Warum fühlt sich das Umwelt- und nicht das Verkehrsministerium zuständig?
Braune: Sicher versteht sich das Umweltministerium als Promoter der Grundidee. Platte Verkehrslenkung ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Man kann niemanden auf einen Verkehrsträger zwingen. Die Angebote müssen attraktiv sein, dann werden sie auch angenommen.

fairkehr: Genau da liegt aber das Problem! Die Angebote sind nicht attraktiv. Die meisten Urlauber sind ja nicht nur Radfahrer. Die möchten im Urlaub auch mal Wandern oder eine Burg besichtigen.
Braune: Das entspricht genau dem touristischen Trend. Kürzere, spontanere Urlaube und aktiv sein, Wandern, Kultur, Boot- und Radfahren – ein komplexes Angebot. Eine Region, die sich für die Zukunft gut aufstellt, muss diese Angebote für den Kunden haben. Es gibt nicht den Fahrradtouristen, den Wandertouristen, den Wassertouristen – es gibt den Touristen mit einem breiten Spektrum von Interessen und Aktivitäten.

fairkehr: Und perfekt ist es, wenn das Viertel der Deutschlandurlauber, die ohne Auto unterwegs sind, an all diesen Aktivitäten teilnehmen können. Da fehlt es aber in vielen Gegenden auch an der Sensibilisierung der Verkehrsanbieter.
Braune: Das kann ich so nicht nachvollziehen. In vielen touristischen Gebieten wissen die Verkehrsanbieter, dass sie im Tourismus einen Markt haben. Oft sind die Touristen ja die Haupteinkommensquelle.

fairkehr: Da sind Sie jetzt wieder bei der Ausnahmesituation: Es gibt Regionen, da funktioniert es gut, weil es eine entsprechende Tradition gibt. Was ist mit den anderen?
Braune: Kommunikation und gute Beispiele.

fairkehr: Wer kommuniziert?
Braune: Die Verbände, Fachzeitschriften, Urlaubsbroschüren. Wenn die Regionen ihr Angebot gut bewerben, dann hat die Region mit dem guten Verkehrsangebot einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen. Und die werden das spüren.

fairkehr: Der Markt wird es schon regeln?
Braune: Man kann es nicht staatlich anweisen. Man muss ein Mischangebot machen – Best Practice und Kommunikation. Und da wo die Anbieter wirklich renitent sind, werden sie es spüren. Das ist dann ein marktwirtschaftliches Element.

Interview: Regine Gwinner

zurück zum Inhalt