Titel 3/2004

Endlich Urlaub

Ein Viertel aller Deutschlandurlauber macht Ferien ohne Auto. Wenn sich diese 5 Millionen Menschen nicht einem Pauschalanbieter anschließen, sind sie auf sich selbst gestellt. Kaum ein Reisebüro, kaum ein Urlaubs­gebiet hat spezielle Angebote für sie. Touristische Leistungen in Deutschland sind auf Autofahrer ausgerichtet.

 

Endlich Ferien! Das Auto von Familie Schulze aus Halle in Westfalen steht vollgepackt vor der Tür. „Wir beladen das Auto am Abend vorher, damit wir am nächsten Morgen nur noch die Kinder wecken und reinsetzen müssen“, sagt Claudia Schulze. „Wir fahren gerne ganz früh. Bei längeren Touren schlafen die Kinder dann nochmal ein. Aber meistens sind sie so aufgeregt, dass sie erst mal muntersind.“

Fotos: www.zweitaelerland.de
Gutes Beispiel für sanfte Mobilität im Urlaub: Im ZweiTälerLand im Südschwarzwald sind Rad- und Wanderwege mit dem Bus- und Bahnnetz verknüpft.

Auch in Baden-Württemberg haben die Ferien begonnen. Bei Familie Wagner stehen die Rucksäcke gepackt im Flur. Alles drin? Die Nervosität steigt: In 20 Minuten fährt der Bus zum Bahnhof. „Die letzten Minuten vor der Abfahrt sind immer ziemlich stressig“, sagt Britta Wagner. „Man weiß, jetzt muss alles schnell gehen und klappen, sonst ist der Zug weg. Wenn man erst mal im Zug sitzt, hat man dafür das Schlimmste geschafft und kann die Reise genießen.“

Beide Familien werden dieses Jahr die großen Ferien in Deutschland verbringen. Damit liegen sie voll im Trend. Deutschlandurlaub ist in. Das Magazin Stern bejubelte in seinem Mai-Heft den gelungenen Imagewandel: Selbst die Schicki-Micki-Prominenz bekennt sich laut Stern zum Urlaub im Inland. Ein Drittel der Deutschen bleibt während der Ferien im eigenen Land. Die beliebtesten Ziele sind die Ost- oder Nordsee und Bayern. Aber auch die Ostländer und der Schwarzwald verzeichnen Zuwächse.

Drei von vier Deutschlandurlaubern steuern ihr Ziel mit dem Auto an. Jeder Vierte wählt Bus oder Bahn, um seine Ferienregion zu erreichen. Dieses Viertel wird von Hotels und Tourismusgesellschaften gerne ignoriert. Sie gehen davon aus, dass ihre Kundschaft mit dem Auto anreist – und unterstützen sie dabei nach Kräften. Hausprospekte weisen auf den nächstgelegenen Autobahnanschluss hin, im Internet finden sich Anreiseskizzen, die sich am Straßennetz orientieren. Entfernungen zum nächsten Strand oder Laden werden in Autominuten angegeben. Hotel und Tourismusgemeinde werben mit Parkmöglichkeiten „direkt vor der Tür“ oder schenken den kostenlosen Parkschein für den ganzen Ortsbereich bei Buchung gleich mit dazu. „Vor Ort ist das Angebot für Urlauber ohne Auto meist viel besser, als man aufgrund der Werbung eigentlich annehmen müsste“, sagt die VCD-Tourismusreferentin Petra Bollich. „Das herauszufinden, bleibt dem Reisenden aber selbst überlassen.“

Wer sich für die Bahnanreise entscheidet, muss meist selbst klar kommen. „Wenn man ein-, zweimal reingefallen ist, weiß man, worauf man achten muss“, sagt Karsten Liebster, erfahrener Weltenbummler, der nie ein Auto hatte und – seit er Kinder hat – auch mal in Deutschland Urlaub macht. „Ich hatte einmal eine Ferienwohnung im Fichtelgebirge, da brauchte man ein Auto, um morgens an Brötchen zu kommen“, erzählt er. „Das war nicht so toll.“ Seither studiert er vor der Wahl seines Ur-laubs-orts die Fahrpläne und beherzigt die Regel: „Wenn man ohne Auto Urlaub macht, muss der Standort an einer gut befahrenen Bahn- oder Busstrecke liegen.“ Wer weniger geübt ist bei der Auswahl seines Urlaubsziels oder einfach keine Lust hat auf detaillierte Recherchearbeiten vorab, muss das Auto nehmen, zu Hause bleiben oder wieder einmal in die Schweiz fahren.

Vorbild Schweiz

„Ich glaube, wir verdanken es der direkten Demokratie, dass sich bei uns das große Bekenntnis zum öffentlichen Verkehr so flächendeckend durchgesetzt hat“, sagt Jürg Tschopp, Verkehrsreferent beim Verkehrsclub der Schweiz (VCS). „Wir hatten das Glück, dass in den 90er Jahren eine ganze Reihe von Volksbefragungen durchkamen, bei denen es um Investitionen für den öffentlichen Verkehr ging. Dadurch wurde eine grundlegende Entscheidung für Bus und Bahn getroffen und die Finanzierung langfristig gesichert.“ Die Identifikation der Schweizerinnen und Schweizer mit „ihrer“ SBB und „ihren“ Postautos – den gelben Bussen, die auch noch das letzte Bergdorf regelmäßig anfahren – ist in der kleinräumigen Schweiz sehr hoch. „Die Verkehrsmittel stehen für ein Stück Schweiz, für Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit“, sagt Tschopp. „Der Schweizer Perfektionismus führt außerdem dazu, dass Infrastruktur und Bahnhöfe sorgfältig unterhalten werden. Das erleichtert die Identifikation.“

Die extreme Eigenständigkeit der Kantone hat dem Gesamtkonzept nicht geschadet. „Gerade bei der Vermeidung von Straßen- und Güterverkehr haben viele Kantone starke lokale Interessen, die sich mit denen der Gesamtbevölkerung decken“, urteilt der VCS-Experte. Das Volk entscheidet, die Regierung setzt um: Während die deutsche Bundespolitik ihre Untätigkeit gerne mit dem föderalen System entschuldigt (siehe auch Interview Seite 20), setzen Bund und Kantone in der Schweiz beschlossene Ziele gemeinsam um.

Immer mehr Autos

In Deutschland drängt die Zeit: Die Anzahl der Haushalte, die kein Auto besitzen, nimmt stetig ab. Anfang der 70er Jahre hatten noch über 40 Prozent der Haushalte kein Auto, Anfang der 90er Jahre waren es noch 30 Prozent. Die KONTIV-Haushaltsbefragung aus dem Jahr 2002 hat ergeben, dass inzwischen nur noch 20 Prozent aller Haushalte autofrei sind. „Menschen ohne Auto fühlen sich vor allem in den Bereichen Freizeit und Urlaub benachteiligt“, stellte Nicole Göbel fest, die für ihre Diplomarbeit an der Universität Bonn Haushalte ohne Auto nach ihren Wegen befragte. „Obwohl sie im Alltag kein Auto brauchen, erwägen sie die Anschaffung eines Autos für Ausflüge und Reisen.“ Eine bedauerliche Entwicklung, findet Petra Bollich vom VCD: „Eigentlich haben alle ein Interesse daran, dass nicht noch mehr Autos unnötigerweise auf die Straße kommen“, sagt die VCD-Tourismusreferentin. „Viele touristische Ziele verlieren ihre Attraktivität, weil sie am Wochenende und in der Ferienzeit vom Autoverkehr überrollt werden. Das gilt leider auch für Naturschutzgebiete.“

50 Prozent des Verkehrsaufkommens in Deutschland ist Freizeit- und Tourismusverkehr. Tourismus als Arbeitsgebiet ist im Wirtschaftsministerium angesiedelt, Verkehr im Verkehrsministerium. Da das interdisziplinäre Arbeiten nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen deutscher Bundesbehörden gehört, fühlt sich so richtig keiner dafür zuständig, wie Urlauber sinnvoll ihr Ziel erreichen. Das gleiche Spiel findet in den Ländern statt: Hier können sich Vertreter der Wirtschafts- und Verkehrsministerien im Streit um die Farbe der touristischen Beschilderung zermürben. Gemeinsame Konzepte gibt es dagegen kaum.

„Früher kamen zu uns noch 13 Prozent aller Urlauber mit der Bahn“, sagt ein Mitarbeiter des Mecklenburgischen Wirtschaftsministeriums. „Heute sind es nur noch acht Prozent. Da geht die Nachfrage erheblich zurück.“ Betrachtet man das Angebotsspektrum ist das, als würde ein Wirt, der nur Bier auf der Karte hat, den Rückgang beim Weinkonsum beklagen.
Ist Urlaub ohne Auto wirklich so unattraktiv? Peter Brandauer ist Bürgermeister von Werfenweng, einer kleinen Berggemeinde im Salzburger Land. Als die Österreichische Regierung 1996 Partnergemeinden für ein Pilotprojekt zu Urlaub ohne Auto suchte, meldete sich Werfenweng und setzt seither auf einen besseren Service für Urlauber ohne Auto. In seinen Werbeflyern und auf seinen Internetseiten wirbt der Ort für „SAMO“ – das Konzept für sanfte Mobilität im Urlaub – und versucht Gäste zur Anreise mit der Bahn zu bewegen.
Von Anfang an stand der Gemeinderat hinter dem engagierten Bürgermeister. Die Hotels, die sich an SAMO beteiligen, zahlen zwischen 50 Cent und einem Euro pro Gast und Nacht an die Gemeinde. Davon finanziert Werfenweng die besonderen Leistungen, mit denen der Ort Urlauber belohnt, die ohne Auto anreisen. Ein Viertel der Urlauber kommen inzwischen ganz ohne Auto nach Werfenweng, 15 weitere Prozent tauschen vor Ort den Autoschlüssel gegen den „SanftMobilSchlüssel“ ein, der zur Nutzung von Elektromobilen, Hoteltaxen und Fahrrädern berechtigt, freien Eintritt zum Badesee gewährt und viele andere Extras bietet. Keine Frage: Urlaub ohne Auto ist zumindest in Werfenweng ein Erfolgsmodell.

„Das Angebot muss stimmen, dann kann man es auch verkaufen“, sagt Brandauer. „Die Argumentation mit der Umwelt reicht nicht aus. Die Urlauber müssen vor Ort mobil sein, und es muss Vergünstigungen für die geben, die ihr Auto zu Hause lassen.“ Spaß, Bequemlichkeit und Qualität sind laut Brandauer die Faktoren, die ein solches Produkt erfolgreich machen.

Gutes Beispiel für sanfte Mobilität im Urlaub: Im ZweiTälerLand im Südschwarzwald sind Rad- und Wanderwege mit dem Bus- und Bahnnetz verknüpft.

Dabei kann auch Werfenweng nicht auf die rückhaltlose Unterstützung der Verkehrspartner zählen: Der Haus-zu-Haus-Gepäcktransport, der oft entscheidend für einen Urlaub mit der Bahn ist, war auch in Österreich zu umständlich und zu teuer. Da organisierten die Werfenwenger kurzerhand eine Privataktion: Um den Österreichischen Bahnen (ÖBB) zu zeigen, wie es geht, ließen sie zwei Winter lang das Gepäck ihrer Gäste zu Hause abholen, in Container verladen und nach Werfenweng bringen. „Inzwischen hat die ÖBB unser Modell übernommen“, fasst Brandauer den Erfolg der Aktion zusammen.

„Wenn wir in Deutschland bei Touristikern für unser Anliegen werben, ist die erste Reaktion immer: Mit der DB ist das nicht zu machen“, sagt VCD-Referentin Bollich. „Das Beispiel Werfenweng zeigt, dass man die Bahn durch Eigeninitiative auch zum Handeln animieren kann.“

Eigeninitiative gefragt

Tatsächlich ist die Deutsche Bahn AG in Sachen Urlaub kein einfacher Partner. „Ich versuche wirklich jeden Kunden zur Bahnanreise zu überreden. 70 Prozent meiner Kunden reisen mit der Bahn an“, sagt der auf Böhmen spezialisierte Reiseveranstalter Erwin Aschenbrenner. „Dafür bekomme ich von der DB überhaupt keine Unterstützung.“ Aschenbrenner sucht selbst die Verbindungen heraus, berät und holt die Kunden direkt am Bahnsteig ab. Nur die Tickets möchte er nicht selbst ausstellen. „Ich bin Reiseveranstalter und kein Fahrkartenverkäufer“, sagt er. Aber die DB boykottiert seine Kooperation mit einer Bahnagentur, da nur Reiseveranstalter die einfach gestaffelten RIT-Tickets ausstellen dürfen. „Da kommt man sich schon manchmal blöd vor, dass man die Arbeit der Bahn macht und dann noch nicht mal einen Service bekommt“, ärgert sich Aschenbrenner.

Den Regionen geht es nicht besser: Bei Streckenstilllegungen oder Zugstreichungen achtet bei der DB AG keiner darauf, ob damit ganze Urlaubsgebiete vom Bahnnetz abgehängt werden – nicht einmal dann, wenn es sich um eine „Fahrtziel Natur“-Partnerregion wie das Niedersächsische Wattenmeer handelt. Mit der Abschaffung der Interregios verlor die Region vor zwei Jahren ihre Verbindung zum Fernverkehr. Nun kooperiert das Land Niedersachsen mit der Bahnkonkurrentin NordWestBahn, um seine Gäste auf die Nordseeinseln zu bekommen, und lässt einen Zug direkt von Münster an die Küste fahren (siehe „Direkter Zug ans Meer“, Seite 23).

Kundenprofil

Auch bei diesem Projekt spricht der Erfolg für sich. Die Nachfrage ist groß, sobald die Angebote stimmen. In Großstädten wie Berlin, Hamburg, Köln oder Bremen ist das Kundenpotenzial am größten. Denn hier leben überdurchschnittlich viele Menschen ohne Auto. Es sind vor allem die unter 30-Jährigen, die beruflich noch nicht etabliert sind und keine Familie haben, und die über 65-Jährigen, die nicht mehr fahren wollen oder können, das Auto aus finanziellen Gründen abschaffen müssen oder es nach Aufgabe des Berufs nicht mehr brauchen.

Dazu kommen alle die, die zwar für den Alltag ein Auto haben, es im Urlaub aber lieber zu Hause lassen: Tourenradler und Streckenwanderer, die nicht an den Startpunkt ihrer Tour zurückkehren wollen, Städtetouristen, denen das Auto nur hinderlich wäre, und alle die, die sich im Urlaub lieber fahren lassen, als sich selbst konzentrieren zu müssen – Junge, Alte, Radler, Wanderer, Singles, Paare, Familien, Gruppen, Wellness-Urlauber oder Kegelclubs.

„Ein Angebot für Urlauber, die ohne Auto Urlaub machen möchten, ist längst überfällig“, findet Astrid Clasen-Czaja, die für TUI das Hotelangebot in Deutschland managt. Sie wünscht sich eine Zertifizierung von Regionen und Häusern – ein Gütesiegel für Urlaub ohne Auto. „Angesichts der demografischen Entwicklung halte ich das für dingend geboten“, sagt die TUI-Managerin.

Regine Gwinner

 

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