Reise 3/2004

Megatrend Wandern

Alle Sinne im Einsatz

Die tiefe Sehnsucht Natur zu genießen, kann man am besten beim Wandern stillen, sagt der Natur-Soziologe Rainer Brämer. Er beschreibt den schlichten Gehsport als Königsweg zur Natur, zur Gesundheit und zum Glück. Indes gehen immer mehr junge Menschen wieder wandern und machen aus der Kniebundhosenbewegung einen Trendsport.

Fotos: www.marcusgloger.de

Wenn Umweltprofis über nachhaltiges Reisen nachdenken, fällt ihnen außer dem Öffentlichen Verkehr oft nur noch das Radeln ein. Das liegt insofern nahe, als Reisen in unser aller Weltbild etwas mit Rollen zu tun hat. Man schwebt auf Rädern durch die Fremde und genießt nicht nur die himmlische Bewegungsfreiheit, sondern auch die Geschwindigkeit – beim Fahrrad besonders sinnlich durch den sausenden Fahrtwind erfahrbar. Aber gab es da nicht auch noch etwas anderes?

Dass Fahren auch etwas mit Gehen zu tun hat, ist heute kaum noch jemand bewusst. Dabei ist es erst zwei Menschenalter her, dass junge Menschen im Sommer leidenschaftlich gern auf „große Fahrt“ gingen – zu Fuß natürlich. Sie taten es dem „fahrenden Volk“ gleich, die ihren ganzen Besitz auf dem Rücken durch die Welt trugen. Stets hatten sie ein „Fahrtenmesser“ dabei, nicht zuletzt, um möglichen Ge„fahren“ und „Fährnissen" zu widerstehen. Fahren hat also etwas mit dem abenteuerlichen Aufbruch in die Fremde zu tun.

Heute dagegen werden Fußreisen unter Jugendlichen immer unbeliebter. Während Kinder noch überwiegend gerne ohne Fortbewegungshilfe durch die Landschaft streifen, kann sich unter Heranwachsenden nur noch ein gutes Viertel dafür erwärmen. Klassenfahrten sollen möglichst im Sitzen erfolgen und im nächsten Freizeitpark enden. Sich ohne maschinelle Unterstützung fortzubewegen, ist fast schon undenkbar – und wenn es nur das Bike (am besten natürlich mit Motor) ist.

Woher kommt diese Aversion gegen die uns angeborene Fortbewegungsart? Bringen junge Menschen rein physisch keine „Große Fahrt“ mehr auf die Beine? Erscheint ihnen ihr persönliches Fahrwerk für unsere schnelle Zeit zu langsam? Ist nicht mehr der Weg das Abenteuer, sondern nur noch das möglichst weit entfernte Ziel? Gilt Wandern als ein Auslaufmodell, an dem nur noch alte Leute – womöglich gar mit Filzhut, rotkariertem Hemd und Knikkerbockern – ihren Spaß haben?

Junge Leute wandern

Soziologen predigen schon seit längerem: Unsere Gesellschaft zerfällt immer mehr in autonome Parallelwelten. Was die einen immer mehr ablehnen, wächst den anderen immer mehr ans Herz. Eine vor zwei Jahren durchgeführte Befragung der Marburger „Forschungsgruppe Wandern“ unter 1200 Studierenden an elf deutschen Hochschulen ergab denn auch – im eklatanten Gegensatz zu den Jugendstudien derselben Forschungsgruppe – ein unerwartet steigendes Interesse des akademischen Nachwuchses an der Fußreise. Schon Studienanfänger outen sich zur knappen Hälfte als Wanderfans. Am Ende des Studiums sind dann gar drei Viertel dafür zu haben – fast genauso viel wie für das Radeln. Keine andere Outdoor-Aktivität verzeichnet in dieser Zeit auch nur annähernd einen solchen Sympathiezuwachs.

Fragt man sich weiter durch die Jahrgänge, entsteht das Bild eines regelrechten Wanderbooms. Von den erwachsenen Deutschen wandern über 50 Prozent gern, auch hier ist das Radeln mit 60 Prozent fast schon eingeholt. Tatsächlich nimmt die Zahl der Wanderfreunde von Jahr zu Jahr zu, die repräsentative Allensbacher Markt- und Werbeträger-Analyse kommt mittlerweile auf 34 Mio. Deutsche bei einer jährlichen Zuwachsrate von einem Prozent. Die Analysten des Unternehmermagazins „Impulse“ sprechen gar von einem „Megatrend“, der sich im Gegensatz zum bescheideneren Mountainbike-Trend (12 Mio.) auch noch fortsetzen wird.

Umsatzgröße Wandern

Fragt man statt nach Freizeit- nach Urlaubsaktivitäten, so hängt das Wandern die gesamte Konkurrenz sogar meilenweit ab. Während sich rund zwei Drittel bis drei Viertel der Urlauber in deutschsprachigen Ländern ab und an auf Schusters Rappen in Bewegung setzen – die Hälfte davon sogar häufig – kommt das Radeln im Durchschnitt der allerdings sehr weit auseinander gehenden Befragungsergebnisse nur auf etwa 25 Prozent, das Skaten auf zehn Prozent und das Mountainbiken auf fünf Prozent. Wandern ist zweifellos die Kernaktivität im Deutschlandtourismus, Wanderer dessen Kernkundschaft und mithin sein größtes Ertragspotenzial.

Tatsächlich gibt die deutsche Wanderbewegung pro Jahr rund 12 Mrd. Euro für ihr Hobby aus – 2,50 Euro kostet jeder Wanderkilometer. Dieses exorbitante Umsatzvolumen wurde lange Zeit übersehen. Erst seit man gezielt auf die scheinbar so biederen Wanderkunden einzugehen beginnt, fällt es vielen Anbietern wie Schuppen von den Augen. So gehen die Umsatzzuwächse der Outdoor-Industrie hauptsächlich auf den steigenden Bedarf an leichter Wanderausrüstung zurück, unter den Reiseveranstaltern konnten die Wanderspezialisten selbst in der Krise noch zulegen, die in Österreich entwickelte Idee der Wanderhotels sorgt jetzt auch in Deutschland für Umsatzzuwächse. Wenn mittlerweile selbst die Discounter von Aldi bis Tchibo regelmäßig massenweise Wanderausrüstung anbieten, ist der Trend nicht mehr zu übersehen.

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Wanderer machen gerne Pausen – am liebsten im Grünen.

Aber nicht nur auf der materiellen, sondern auch auf der ideellen Ebene legt das Wandern zu. Statt kostümierter Seniorengruppen tauchen in den Journalen immer mehr junge Leute beim Wandern auf. Nachrichten- und Lifestylemagazine, Programm- und Kundenzeitschriften, ja sogar die Werbe-Organe des ADAC, der Lufthansa, der DB und manch edler Hotelkette haben sich längst des Themas bemächtigt. Der STERN krönte seinen 15-Seiten Bericht mit der Headline „Zu Fuß ins Glück“. Kaum ein Tourismusverband kann es sich noch leisten, ohne Sonderbroschüren zum Thema Fußreisen auf den Reisemessen zu erscheinen.

Neues Wander-Image

Auch in der Wirklichkeit werden Wanderer – jedenfalls statistisch gesehen – immer jünger. Ihr Durchschnittsalter liegt mittlerweile bei 47 Jahren und deckt sich fast mit dem der Radler und der Bevölkerung insgesamt. Das kann nur die Folge eines starken Zuwachses von Seiten jüngerer Jahrgänge sein. Und die kommen vorzugsweise aus den gehobenen Bildungsschichten – mit dem Ergebnis, dass mittlerweile jeder zweite Wanderer, der einem im Wald begegnet, über das Abitur oder einen Hochschulabschluss verfügt.

Was steckt hinter der unvermuteten Wiederentdeckung des Wanderns durch unsere meinungsführenden Schichten? Fragt man die Wanderer selber, wie es die Marburger „Projekt-Partner Wandern“ mehr als tausendfach in ihren jährlichen „Profilstudien Wandern“ tun, so dominiert unter ihren Motiven eindeutig der Wunsch, Natur zu genießen. Auf Platz 2 der Motivskala rangiert die Freude an der Bewegung (und nicht etwa irgendein sportlicher Ehrgeiz), dann folgt der Drang zum Kennenlernen neuer Landschaften und neuerdings auch wieder der Wunsch, die kleinen Abenteuer der großen Tour zusammen mit Partnern oder wenigen Freunden (kaum aber in der großen Wandertruppe) erleben zu können.

Dabei darf man sich unter der großen Tour nichts Weltbewegendes vorstellen. Zum Hauptmotiv Naturgenuss gehört es, sich nur in maßvollem Tempo und über maßvolle Distanzen durch die Natur zu bewegen. Die durchschnittliche Wanderstrecke liegt bei 15 km, die Durchschnittsgeschwindigkeit unter 4 km/h. Man geht nicht mehr im Frühtau, sondern erst nach einem ausgiebigen Frühstück los, macht unterwegs große Pausen – am liebsten im Grünen, aber kaum weniger gern in Berghütten und Landgasthöfen – und ist am Nachmittag wieder zurück. In der Regel dreht man dabei eine geschlossene Runde, die je nach Form und Laune auch mal spontan variiert wird. Kilometerfressen ist out, ebenso Mehrtageswanderungen mit festgelegten Marschetappen oder geführte Touren in der Großgruppe. Man geht nur so lange, wie man Lust hat, und will sich weder durch Zeit- oder Streckenpläne noch durch Gruppenzwänge gängeln lassen. Folglich organisieren sich auch nur noch fünf Prozent der Wanderer in Vereinen – Alpenverein eingeschlossen.

Fragt man Psychologen nach den Hintergründen der neuen Wanderwelle, so verweisen sie ganz grundsätzlich auf das Übermaß an Zivilisation, das sich besonders die führenden gesellschaftlichen Schichten in den letzten Jahren zugemutet haben. Man lebt in einer Art Glasmenagerie, zu Hause, im Betrieb und unterwegs, stets von Fenstern und Bildschirmen umgeben. Zahlreiche Maschinen halten die natürliche wie soziale Umwelt auf Distanz, der wesenlose Tastendruck ist eine bestimmende Kommunikationsform geworden. Nur wenige Sinne werden dafür um so intensiver gefordert: Wir müssen uns ständig einseitig konzentrieren, auf Handys, Internet, Fernseher, Mailen oder Auto fahren.

Für diese Art von selbstgeschaffener Kunstwelt, für den dauerhaft distanzierten Umgang mit Dingen und Personen ist das Naturwesen Mensch nicht geschaffen. Wir leben schon längst nicht mehr artgerecht, die einseitigen Belastungen verstärken das Gefühl von Erschöpfung und Ausgebranntsein. Von daher müssen wir ab und an zurück in unser arteigenes Biotop, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, mit uns selbst und unserer Umwelt. In der Natur werden alle Sinne optimal angesprochen, in der gleichmäßigen Bewegung kommt die eigene Natur wieder ins Lot.

Wandern ist also nur eine allzu natürliche Reaktion auf den dauerhaften Überforderungsstress einer größenwahnsinnigen Zivilisation. Da derzeit noch kein Ende unserer global beschleunigten Denaturierung abzusehen ist, wird der unter der Rubrik „Naturgenuss“ firmierende Kompensationsbedarf immer stärker. Das aber heißt, dass es sich beim derzeitigen Wanderboom nicht um eine Modeerscheinung, sondern um einen dauerhaften Trend handelt.

Hinzu kommt, dass man Natur nirgends intensiver erleben kann als beim Wandern. Das bloße Betrachten einer schönen Landschaft aus dem Panoramahotel bietet unseren Sinnen viel zu wenig Reize, das sportliche Erlaufen oder Erfahren der Natur richtet die Aufmerksamkeit zu stark auf den eigenen Körper. Der sinnlichste Ausgleich von innerer und äußerer Natur bedarf des allseitig-anstrengungslosen Durchstreifens natürlicher Landschaften im Schritttempo. Empirische Studien von Naturpsychologen und Sportmedizinern berichten von wahren Wunderdingen, die beim Müßiggang durch die Natur in uns vorgehen: Alles – Muskeln, Knochen, Organe, Stoffwechsel, Stimmungshormone, Geist und Hirnströme – kommt in ein solch angenehm gestimmtes Gleichgewicht, dass Wandern mittlerweile schon als therapeutisches Medium Verwendung findet.

Wiederentdeckung der heimischen Landschaft

Von daher spricht alles dafür, den „Megatrend Wandern“ ähnlich wie den Spaß am Radeln nach Kräften zu fördern. Zum Beispiel Urlaub: Zur Zeit führen die Haupturlaubsreisen der Wanderer wie die aller anderen Bundesbürger noch zu zwei Dritteln ins Ausland. In der jüngsten „Profilstudie Wandern“ erklärten jedoch 70 Prozent der Befragten ihre prinzipielle Bereitschaft, den nächsten Haupturlaub in einem deutschen Mittelgebirge zu verbringen. Damit aus dieser Absicht Realität wird, ist indes noch viel zu tun.

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Wanderer machen gerne Pausen – am liebsten im Grünen.

Denn mit der deutschen Wanderlandschaft steht es nicht zum Besten. Jahrzehntelang hat sich kaum ein Touristiker darum gekümmert, ob die wunderschönen Urlaubskulissen bei näherem Hingehen auch das halten, was die Bilder versprechen. Tatsächlich sind in dieser Zeit Wald und Feld in einem Maße für den Wirtschaftsverkehr erschlossen worden, dass in manchen Regionen kaum noch ein schöner Wanderweg zu finden ist.

Während Wandergäste mit Abstand naturnahe Wege und Pfade bevorzugen und hartgeschotterte und asphaltierte Trassen – womöglich noch entlang von Straßen – strikt ablehnen, führen heutzutage fast zwei Drittel der in Deutschland markierten Wanderwege über Teer und Schotter, rund 15 Prozent haben Straßenkontakt. Das hängt mit der Neigung früherer Wanderwegeschöpfer zusammen, möglichst viele Ortschaften in die meist schon mehr als ein halbes Jahrhundert alten Wanderstrecken einzubeziehen. Der moderne Wandergast sucht dagegen so weit wie möglich Abstand von Hektik, Lärm und Verkehr, den er scheinbar eher im Ausland findet.

Qualitätsoffensive Wandern

Dabei sind speziell die Mittelgebirge von ihrem Landschaftspotenzial her immer noch ausgesprochene Wanderparadiese, aber man muss die erholsamen Wege mühsam suchen. Hier herrscht ein enormer Modernisierungsbedarf, bei dem es – ähnlich wie beim Radverkehr – nicht ohne erhebliche Investitionen abgeht. Wenn das ländliche Wegenetz mit zuweilen radikaler Einseitigkeit auf die Bedürfnisse des Forst- und Landwirtschaftsverkehrs zugeschnitten wurde, wird man für die rücksichtslos vertriebenen Wanderer entweder traditionelle Trails zurückbauen oder neue Pfade schaffen müssen. Dazu gehört eine Wegeführung, die die vielen kleinen Naturschönheiten wieder zugänglich macht, sowie ein Wanderleitsystem, das die Orientierung in unbekannter Landschaft auch Unkundigen ermöglicht.

Die ersten Modernisierungsprojekte dieser Art sind bereits in Angriff genommen worden – allen voran der Rohaarsteig im Sauerland, der in Führung und Ausstattung ganz auf die Natürlichkeits-Bedürfnisse moderner Wandergäste zugeschnitten wurde. Der außerordentliche Erfolg dieses Pilotprojektes hat die auf den ersten Blick hohen Investitionen nicht nur gerechtfertigt, sondern auch innerhalb kurzer Zeit auch schon wieder eingespielt. Nachfolgeprojekte wie Rheinsteig, Harzer Hexenstieg, Frankenweg und viel andere sind auf dem Weg.

In diesem Zusammenhang sind erstmals in der Wandergeschichte von den Marburger Projektpartnern Wandern Qualitätskriterien für Wanderwege entwickelt worden. Im Gegensatz zu Radwegen stellen sie nicht nur Ansprüche an die Wegebefestigung und -beschilderung, sondern versuchen, so weit wie möglich den gesamten Erlebnisgehalt eines Wanderweges zu erfassen.

Dazu werden auf der Basis einschlägiger wandersoziologischer und naturpsychologischer Erkenntnisse knapp 200 Merkmale im Rahmen von 36 Kriterien Kilometer für Kilometer registriert und in positiver wie negativer Hinsicht gewichtet. Fällt die Bilanz am Ende eindeutig positiv aus, so kann der Weg durch das Deutsche Wanderinstitut mit dem „Deutschen Wandersiegel“ ausgezeichnet werden.

Auch die wandertouristisch bislang führenden Alpenländer sind auf die deutsche Qualitätsoffensive aufmerksam geworden. Dabei bietet die Schweiz besonders gute Voraussetzungen für eine zeitgemäße Renaturierung ihrer Wanderwege. Denn auf der Basis eines gemeinsamen „Leitbildes Langsamverkehr“, das die Themen Fußverkehr, Wandern, Radfahren und historische Verkehrswege einschließt, wurde im Jahre 2000 das dortige Bundesamt für Straßen mit der Oberaufsicht für die Wanderwege betraut. Damit ergeben sich natürlich ganz andere Wirkungsmöglichkeiten als in Deutschland, wo noch alles nebeneinander her wurstelt. Vielleicht könnte sich auch der VCD einem solchen Leitbild anschließen und damit das Fußreisen zu seinem ureigenen Thema machen.

Rainer Brämer

Der Autor ist Leiter der Forschungsgruppe Wandern an der Universität Marburg und berät eine Vielzahl von Wanderregionen.

 

Bahnwandern auf „Leiterwegen“

Rundtouren sind unter Wanderern sehr viel beliebter als Streckentouren von A nach B - warum eigentlich? Besteht nicht der heimliche Reiz, ja der eigentliche Mythos des Wanderns gerade im erlebnisschwangeren Aufbruch in die Fremde und im Erreichen neuer Ziele? Das Problem ist: Wie kommt man dann zurück? Immerhin will die überwiegende Mehrheit aller Wanderer abends wieder zu Hause sein.

Theoretisch liegt die vierbuchstabige Antwort auf der Hand: ÖPNV. Aber praktisch bleiben viele Fragen offen. Fahren Bahn und Bus auch am Wochenende und dann auch häufig genug , damit man nicht so lange warten muss? Da das fast nur entlang hochfrequentierter Verkehrsadern der Fall ist: Wieviel triste Kilometer braucht man, um von den Stationen in die Natur zu kommen? Wie weit ist die nächste halbwegs grüne Zielstation entfernt?

Man muss in Deutschland schon kräftig suchen, bis die Bedingungen stimmen. Allerdings kann man die notwendigen Voraussetzungen auch gezielt schaffen. Beispiel Burgwald, ein riesiges Waldgebiet südlich des neuen Nationalparks Kellerwald: An seinem Rand verbindet die „Burgwaldbahn“ Marburg im Süden mit Frankenberg im Norden im Stundentakt, am Sonntag im Zweistundentakt. Abgesehen von den Zielbahnhöfen kommt man von allen Zwischenstationen recht schnell in den Wald.

Parallel dazu verläuft der „Burgwaldpfad“ – der Top-Wanderweg der Region, ausgezeichnet mit dem Deutschen Wandersiegel. Aber er zieht sich nicht zäh von Bahnhof zu Bahnhof, sondern verbindet im gehörigen Abstand zur Zivilisation die schönsten und abenteuerlichsten Szenerien des Burgwaldes. Der Trick: Von allen Bahnhöfen gibt es ein oder zwei eigens markierte Zugangswege zum Pfad. Bahn und Pfad bilden eine Art Leiter, die Zugangswege sind die Sprossen. Man geht vom Bahnhof über den Zugang bis zum Pfad, genießt dort die einsame Natur und steuert, wenn man genügend Frische aufgetankt hat, den nächsten oder übernächsten Bahnhof an. Von dort schließt sich dann irgendwann die nächste Etappe an – immer auf Strecke, mit bekanntem Anfang und unbekanntem Ziel.

Im Prinzip bieten sich alle ländlichen, auch am Wochenende betriebenen Bahn- wie natürlich auch Buslinien für solche Leiterwege an. Besonders prädestiniert sind von Waldbergen begleitete Flusstäler – wie etwa das der Murg im Schwarzwald („Murgleiter“ parallel zur neuen S-Bahn in Planung), des Mittelrheins („Rheinsteig“) und die der Lahn oder Sieg („Lahnhöhenweg“, „Sieghöhenweg“). Es muss aber nicht immer eine Leiter sein. Bei großen Städten mit strahlenförmigen Nahverkehrslinien ins Umfeld ist es das Rad: Ein riesengroßer Rundwanderweg führt wie eine Radfelge ohne Stadtberührung durch den grünen Erholungsgürtel drumherum. Man fährt morgens auf einer Linie, gewissermaßen eine Speiche des Rades, bis zum Wanderweg. Ihm folgt man bis zur nächsten oder übernächsten ÖPNV-Speiche, die einen wieder in die Stadt bringt. Prominentestes Beispiel: Der 66-Seen-Weg rund um Berlin. Hier macht auch der ÖPNV aktiv mit.

Rainer Brämer

 

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