EU-Osterweiterung Verkehr im neuen Osten Mit dem 1. Mai 2004 wird die Europäische Union durch den Beitritt von zehn mittel- und osteuropäischen Ländern auf 25 Mitglieder anwachsen. Damit entsteht der größte Binnenmarkt der Welt. Nachhaltig oder nachteilig: Wie wirkt sich der Verkehr im neuen Europa für Mensch und Umwelt aus?
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Die EU ist sich der Tatsache bewusst, dass es so mit dem Verkehr nicht weiter gehen kann. Zu diesem Schluss kann man jedenfalls kommen, wenn man sich eine Reihe von Zitaten vor Augen hält, die man ihrer Klarheit wegen eher in Texten von Umweltorganisationen erwarten würde, denn in offiziellen EU-Papieren. Beginnen wir mit einem Blick auf die Webpage der zuständigen Generaldirektion: „Offene Grenzen und bezahlbare Verkehrsmittel erlauben den Europäern persönliche Mobilität in bisher ungekanntem Ausmaß. Güter werden rasch und effizient vom Hersteller zum Verbraucher transportiert, oft über mehrere Länder. Die Europäische Union hat dazu beigetragen, indem sie die nationalen Märkte für den Wettbewerb öffnete und physische und technische Barrieren für den freien Verkehr abbaute. Aber das gegenwärtige Verkehrssystem und seine Wachstumsraten sind auf Dauer nicht tragbar.“ |
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In der von den EU-Regierungs- und Staatschefs 2001 in Göteborg beschlossenen Nachhaltigkeitsstrategie wird folglich richtigerweise ausgeführt: „Die Verkehrsüberlastung hat rasch zugenommen, so dass der Verkehr fast zum Erliegen kommt. Dies trifft vor allem die städtischen Gebiete (…) Die gemeinsame Verkehrspolitik sollte sich der Zunahme der Verkehrsüberlastung und Verschmutzung annehmen und die Nutzung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln fördern.“ Eine „prioritäre Behandlung von Investitionen in die Infrastruktur von öffentlichen Verkehrsmitteln und der Schiene“ wurde angekündigt. Mit diesen Zitaten setzt die Kommission konsequent ihre Ankündigungspolitik für eine umweltverträgliche, nachhaltige und bürgernähere Verkehrspolitik fort. Bereits 1995 hatte sie bei der Veröffentlichung der sogenannten „Bürgernetze“ angemerkt: „Ein gut funktionierendes europäisches Verkehrssystem setzt einen attraktiven und umweltverträglichen lokalen und regionalen Personenverkehr voraus (…) Dieser trägt zu wirtschaftlicher Entwicklung und Beschäftigung bei und verringert das Verkehrsaufkommen (…) Dank eines geringeren Energieverbrauchs, einer geringeren Lärmbelästigung und eines verminderten Schadstoffausstoßes trägt er außerdem zur Regenerierung der Umwelt bei. (…) Er vermindert die soziale Ausgrenzung … Der (ÖPNV) ist (…) von grundlegender Bedeutung.“ Als Resümee wird in den „Bürgernetzen“ anerkannt, dass „öffentliche Verkehrsmittel (…) bei der Verringerung der Umweltbelastung, der Unterstützung des Wirtschaftswachstums und der Förderung des sozialen Zusammenhalts eine maßgebliche Rolle“ spielen. Als Bonbon wird versprochen, „im Rahmen der Strukturfonds vor allem einen umweltverträglichen Nah- und Regionalverkehr (zu) fördern.“ Das sind aus Verbraucher- und Umweltsicht wunderschöne und visionäre Aussagen. So was hört man gern. Doch bekanntlich sind Worte das eine, die Politik manchmal etwas anderes. Woran lässt sich die konkrete Verkehrspolitik besser ablesen als an der Verkehrsentwicklung und an Investitionen? Die entsprechenden Zahlen sprechen auch eine deutliche Sprache, bloß leider eine andere als die zitierten Sätze der Kommission. Und dies gilt sowohl für die Mitgliedstaaten wie auch für die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer, die ab Mai 2004 zur EU gehören werden. |
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Das Beispiel Polen Werfen wir einen Blick zu unserem direkten Nachbarn nach Polen. Dort verdoppelte sich zwischen 1980 und 1990 die Zahl der Pkw, von zunächst 66 Pwm pro 1000 Einwohner auf 138. Wieder 10 Jahre später, im Jahr 2000, war die nächste Verdoppelung perfekt. Pro Tausend Einwohner gab es nun bereits 272 Pkw pro 1000 Einwohner, und damit eine Dichte, wie sie Griechenland vorzuweisen hat. Die Autodichte in Warschau liegt mittlerweile über der vergleichbarer westlicher Großstädte, und das merkt auch jeder, der diese Stadt besucht. Autos werden nicht gekauft, damit sie herumstehen. Deshalb verwundert es nicht, dass auch die Pkw-Fahrten explosionsartig
anstiegen. Im Jahr 2000 verzeichnen die Statistiker doppelt so viele gefahrene Personenkilometer im Straßenverkehr wie 1990.
Die Anteile des Umweltverbundes – öffentlicher Nahverkehr (ÖPNV), Fahrrad, Fußgänger – sanken
hingegen dramatisch, ebenso die Leistungen des Eisenbahnverkehrs, die sich im gleichen Zeitraum halbierten. Doch nun kommt bald richtig Geld von der EU. Bereits vom Januar 2004 an können Projekte, die aus den Strukturfonds finanziert werden sollen, in Angriff genommen werden; eine formelle Freigabe wird dann nachträglich im Mai, nach dem offiziellen Beitritt, erfolgen. Rund 14,1 Mrd. Euro an Strukturfonds- und 7,6 Mrd. Euro an Köhäsionsfondsmitteln werden zwischen 2004 und 2006 in die 10 Beitrittsländer fließen. Für Polen sind davon 8,3 Mrd. Euro aus dem Strukturfonds und zwischen 3,5 und 4 Mrd. Euro aus dem Kohäsionsfonds vorgesehen. Von letzterem gehen 50% direkt in Verkehrsinvestitionen. Doch wie werden diese aussehen, wo wird investiert? |
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Neue Situation in den mittel- und osteuropäischen Staaten Schauen wir zunächst wieder zurück in die „alte“ EU, um zu sehen, was bislang wie finanziert wurde. In der Zeit von 1989 bis 1993 wurden allein aus den EU-Strukturfonds ca. 8 Mrd. Euro, zwischen 1994 bis 1999 gar 13,7 Mrd. Euro in Verkehrsinfrastrukturen gesteckt. Die Verteilung der Mittel auf die einzelnen Verkehrsträger lässt allerdings die umweltpolitisch positiven Aussagen der Kommission in einem gänzlich anderen Licht erscheinen: 70% der Mittel wurden in den Straßen- und Autobahnbau gesteckt, gerade einmal 16% für Eisenbahnen (zumeist Ferntrassen), 3% für Flughäfen, 5% für Häfen und 4,5% für „andere verkehrsbezogene Aktivitäten“, wozu der „Ausbau des intermodalen Verkehrs“, der hoch gelobte „Personennahverkehr“ sowie „Studien“ gerechnet werden.
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Weitere Verkehrsprojekte finanzierte man aus dem Kohäsionsfonds, der bislang nur vier Mitgliedstaaten, nämlich Spanien, Portugal, Griechenland und Irland offen stand: Zwischen 1993 bis 1999 flossen hieraus ca. fünf Mrd. Euro in Verkehrsmaßnahmen: zu 69,0% waren es Straßen und Autobahnen, zu 23,0% der Bau bzw. der Ausbau von Eisenbahnstrecken, 4,4% gingen in Flughäfen, 3,0% in Häfen und 0,6% in „sonstiges“. Man muss entweder ein Künstler oder ein Politiker sein, um aus diesen Zahlen eine Schwerpunktsetzung für den öffentlichen Verkehr ablesen zu können! Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten. Dies bewahrheitete sich bislang in der EU eindrücklich. Kaum war der eiserne Vorhang gefallen, wurde auch für die Beitrittsländer der Verkehrsinfrastrukturbedarf ermittelt und das sogenannte „TINA“-Netz entwickelt. TINA ist die Abkürzung von „Tansport Infrastructure Needs Assessment“. Im Kern geht es hierbei um die Ausdehnung der transeuropäischen Verkehrsnetze gen Osten. Elf Länder sind tangiert, es wurden zehn sogenannte „Korridore“ ausgewählt. Als Bedarf definierte man den Neu- bzw. Ausbau von 18030 km Strassen, 20290 km Schienen, 38 Flughäfen, 13 Seehäfen und 49 Binnenhäfen. Allein in diesen „europäischen Korridoren“. Insgesamt sollen die Maßnahmen nach den aktuellsten Berechnungen rund 90 Milliarden Euro kosten. Die Hälfte, rund 44 Mrd. Euro, wird der Straßenbau verschlingen, der Schienenausbau wird mit 37 Mrd. Euro veranschlagt, 0,306 Mrd. Euro für Fluss-, 4,416 Mrd. Euro für Flughäfen und 1 Mrd. Euro für Terminals. Hinzu kommen dann noch rund 3 Mrd. Euro für Seehäfen. Die Bauphasen sollen bis zum Jahr 2015 laufen. Auch daraus kann nicht jeder unmittelbar eine klare Prioritätensetzung zugunsten öffentlicher Verkehrsmittel ablesen. Straßenbau hat Vorrang Hatten die Beitrittsländer, als sie Anfang der 90er Jahre ihren „Bedarf“ der Europäischen Union anmeldeten, noch gehofft, dass sich das Brüsseler Füllhorn bald massiv über ihre zum Teil noch unberührten Landschaften ergießen würde, so wurden sie bald enttäuscht. Denn Brüssel deutete an, nur rund 10% der Investitionskosten der Transeuropäischen Projekte übernehmen zu können; den Rest bitte schön müssten die Beitrittsstaaten schon selbst aufbringen! Und dies wird dramatische Konsequenzen haben. Denn ein solcher finanzieller Kraftakt würde die Staaten überfordern, und die sich daraus ergebenden Konsequenzen können gefährlich sein. Der Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU weist in einer jüngst verabschiedeten Stellungnahme darauf hin, dass Länder wie Polen oder Ungarn derzeit nur ca. 0,5% ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Unterhaltung und Neubau der gesamten Verkehrsinfrastruktur (inkl. des ÖPNV) ausgeben können. Die Realisierung allein der genannten TINA-Projekte würde aber jährliche Investitionen in dreifacher Höhe, also von rund 1,5% des BIP, verschlingen. Und das allein in den Korridoren! Da bleibt für die vielen Dinge außerhalb der Korridore nichts mehr übrig. „Die Konzentration der Investitionen auf TEN- bzw. TINA-Projekte (kann) bei der Haushaltslage der Mitgliedstaaten und der Beitrittsländer zu einer Vernachlässigung der regionalen und nationalen Infrastruktur führen“, so der WSA. Im Klartext: Bei der Knappheit der Mittel werden zwar sowieso nicht alle der angekündigten Projekte kommen, doch was Priorität haben wird, lässt sich erahnen. Es dürfte eher der Straßenbau denn eine nachhaltige Verkehrspolitik sein. |
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Radikaler Wandel Wer glaubt, dass die Verkehrspolitik in den MOE Staaten anders aussehen wird als die der 15 EU- Mitgliedstaaten, der hat sich getäuscht. In der Realität wiederholt sich in den Beitrittstaaten derzeit genau das, was vor rund 15 Jahren nach der Wiedervereinigung im Osten Deutschlands zu beobachten war: ein radikaler Wandel im Verkehrssektor, weg von Schiene und Öffentlichem Personennahverkehr, hin zum Pkw und Lkw. Werfen wir noch mal einen Blick in ein noch fast druckfrisches EU-Dokument zurück. Die Kommission stellt in einer Mitteilung „Überprüfung der Umweltpolitik 2003“ vom Dezember 2003 fest, dass es beim Verkehr keinerlei Hinweise darauf gibt, dass sich die EU auf dem richtigen Weg zu einer nachhaltigeren Politik befinden würde. Sie konstatiert, dass die Emissionen im Verkehrssektor weiter steigen, und dass gerade in den Beitrittsländern die Trends „nicht ermutigend (seien): Im Schienen- und Busverkehr kam es zu einem starken Rückgang, und im Luft- und Pkw-Verkehr waren höhere Wachstumsraten als in der EU zu verzeichnen.“ Na denn: Lesen wir also weiterhin ab und an mit offenen Mund und staunendem Blick neue, wunderschöne Ankündigungen der Kommission wie die, sie werde „sich der Zunahme der Verkehrsüberlastung und Verschmutzung annehmen und die Nutzung von umweltfreundlicheren Verkehrsmitteln fördern.“ Und hoffen dann darauf, dass eines Tages die Versprechungen auch wahr werden. Sie verrät uns ja nicht, wann das der Fall sein soll. Der Autor Lutz Ribbe ist Direktor der Umweltpolitischen Abteilung von Euronatur und seit 1998 Mitglied im Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU. |
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