Alpenpolitik Ursprüngliche Wintererlebnisse Die letzten Alpentäler stehen vor der touristischen Totalerschließung. Denn nur mit Seilbahnen und Alpinskifahrern ist das große Geld zu machen. Gerhard Fitzthum berichtet über eine gute Initiative des Deutschen Alpenvereins für die Entwicklung des sanften Tourismus.
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Sieht man vom Energieverbrauch für die Anreise einmal ab, so besteht an der Existenz sanfter Touristen in den Alpen kein Zweifel. Es sind jene Zeitgenossen, die sich in diesem sensiblen Naturraum nicht mit Hilfe von Motorfahrzeugen und anderen technischen Geräten, sondern mit eigener Muskelkraft fortbewegen und dabei auf bereits bestehenden Wegen bleiben – Zeitgenossen also, die weder die Almwiesen zertreten noch in die Rückzugsräume der bedrohten alpinen Tierwelt vordringen. Sie nutzen das Gebirge nachhaltig: Ohne das Landschaftsbild zu zerstören, Lärm zu machen, Abgase zu produzieren und unnötig Energie zu verbrauchen. In einem umfassenderen Sinne nachhaltig ist ein solcher Tourismus damit aber noch nicht, zumindest nicht zwangsläufig. Dafür bräuchte es eine gelingende Vermittlung von Ökologie und Ökonomie – nicht nur die Natur, auch die einheimische Bevölkerung müsste profitieren. Das ist oft genug nicht der Fall: Weil Wanderer und Bergsteiger weder in Massen auftreten noch Eintrittskarten in die Landschaft lösen, bringen sie zu wenig Geld ins Tal, weniger jedenfalls als die Wintersportler, die eine energie- und landschaftsfressende Infrastruktur benötigen – und diese über die Liftkarte teuer bezahlen. Deshalb blicken Gemeinden ohne nennenswerte Sport- und Spaßzone stets neidvoll auf die nächstgelegene Großdestination, an der auch und gerade im ehedem ruhigen Winter der Rubel rollt. Bietet sich nun die Gelegenheit, einen Anteil von diesem Kuchen abzubekommen, so wechselt der Gemeinderat zumeist blitzschnell die Fronten – und der ruhe- und idyllesuchende Wandergast, der dem Ort jahrelang die Treue gehalten hatte, zählt plötzlich nicht mehr.
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Kapital Sanfter Tourismus Dieses Damoklesschwert schwebt zur Zeit über dem Tiroler Bergdorf Vent. Im einzigen noch ruhigen Seitenarm des Ötztals kursieren Planskizzen für einen modernen Skilift, der bis zum Taufkarjoch hinauf führen soll – mitten durch die von der Landesregierung ausgewiesene „Ruhezone“, in der die Errichtung von Schleppliften und Seilbahnen für die Personenbeförderung eigentlich verboten ist. Diese Anlage wäre der erste Schritt auf dem Weg zum Zusammenschluss der Pitztaler und der Ötztaler Gletscherskiarenen, auf die es die Bergbahnbetreiber zuletzt abgesehen haben. Zwar wurden die Pläne nach einem Sturmlauf der Naturschützer erst einmal zurückgezogen, erfahrungsgemäß ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder aus der Schublade geholt werden. Darüber hinaus ändert die derzeitige Windstille nichts am grundsätzlichen Problem: Die wirtschaftliche Dissonanz zwischen dem noch beschaulichen Vent und der Nachbargemeinde Sölden, wo man sich durch den Skirummel seit Jahren goldene Nasen verdient. Diese Dissonanz hat den Deutschen Alpenverein (DAV) jetzt aus der Reserve gelockt. Er gehört zu den schärfsten Kritikern der geplanten Skigebietserweiterung und befürchtet, dass die Alternative „Ski total oder wirtschaftliche Stagnation“ die Bewohner des Bergsteigerdorfs auf lange Sicht in die Arme der Wintersport-Lobby treiben wird. Ganz selbstlos ist das plötzliche Engagement nicht, denn der DAV hat an den Talschlüssen von Pitz- und Ötztal einiges zu verlieren: Mit immerhin acht eigenen Hütten ist das Wildspitzgebiet eines seiner prominentesten Bergsportreviere. Aus diesem Grund vollzieht der weltweit größte und einflussreichste Bergsteigerverband nun den Strategiewechsel, den er 1994 in seinem neuen Grundsatzprogramm schon formuliert hatte – weg von einem bloß verhindernden und hin zu einem gestaltenden Naturschutz. „Wir wollen“, so Stefan Witty, der Naturschutzbeauftragte des DAV, „nicht länger immer nur ‘Nein’ sagen, sondern der lokalen Bevölkerung wirtschaftliche Alternativen aufzeigen und auch bei der Umsetzung helfen.“ Millionen von Euro hat der DAV bereits in die Sanierung der Venter Hütten und Wege gesteckt, um das sanfttouristische Kapital des Bergsteiger- und Skitourengebiets effektiver ausschöpfen zu können. Ansatzweise sei das auch schon gelungen, sagt Witty: „Die Zahl der Gäste, die im Sommer zu Fuß oder im Winter mit Tourenskiern kommen, ist in den letzten beiden Jahren um 20 Prozent gestiegen, und es werden noch mehr werden, weil wir ab dieser Wintersaison wieder alle Hütten der Ötztaler Skirunde offen halten.“ Im Rahmen der Aktion ‘Pro Vent’, einer Gemeinschaftsaktion von DAV, Österreichischem Alpenverein und Tourismusverband, sollen fortan jedes Jahr weitere 50000 Euro in Sicherung und Aufbau angepasster Infrastrukturen investiert werden. Ausbaugrenzen für Skigebiete Damit ist die Wende eingeleitet, an die viele schon nicht mehr geglaubt hatten: Der von Kritikern immer wieder als „ADAC der Bergsteiger“ verhöhnte DAV beschäftigt sich nicht länger nur damit, die kurzfristigen Freizeit-Bedürfnisse seiner Klientel zu bedienen, sondern übernimmt vor Ort Verantwortung – für jene nachhaltige Entwicklung, von der zuletzt auch seine eigene Zukunft abhängt. Der auf die Gipfel gerichtete Blick schwenkt nun gleichsam in die Täler hinunter, die die Alpinisten ansonsten so gerne hinter sich lassen. Mit etwas Glück kündigt sich mit dem Modell ‘Vent’ sogar ein Paradigmenwechsel im organisierten deutschen Hochgebirgs-Tourismus an: Über ihre Mitgliedsbeiträge würden die von Ferne anreisenden Bergfreunde dann den Landschaftsschutz mitfinanzieren, den sie in der Vergangenheit als alleinige und selbstverständlichste Aufgabe der einheimischen Bevölkerung betrachtet hatten. Zudem verlangt der DAV die Festlegung eindeutiger Ausbaugrenzen für die bestehenden Skigebiete. Er nähert sich damit der alten Forderung von Reinhold Messner nach einem grundsätzlichen Erschließungsstopp in den Hochlagen der Alpen. Ob sich die Tiroler Politiker auf diese Diskussion einlassen werden, darf allerdings bezweifelt werden. Seit den letzten Wahlen kann die Tiroler ÖVP ähnlich frei schalten und walten wie die CSU im benachbarten Bayern. In einer ersten Regierungserklärung hat sie deutlich gemacht, dass sie den gesetzlichen Gletscherschutz in Einzelfällen aufzuheben gedenkt. Gemunkelt wird, dies werde überall dort der Fall sein, wo es sich „um wirtschaftlich benachteiligte Gebiete“ handelt. Wirtschaftlich benachteiligt erscheinen Orte aber immer – wenn sie von Goldgruben des Massentourismus umgeben sind. |
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