Nun ist es amtlich:
Die Menschen in Deutschland legen immer weitere Wege
zurück und nutzen dazu immer häufiger das Auto.
Bus und Bahn behaupten ihre Rolle in den
Ballungsräumen, fallen aber trotz beachtlicher
Erfolge in vielen Städten insgesamt gegenüber
dem Auto zurück. Berlin bleibt ÖPNV-Hauptstadt:
Hier haben über 40 Prozent der Haushalte keinen
Pkw.
Dies sind die zentralen Erkenntnisse der bundesweit
größten Erhebung zum Mobilitätsverhalten,
der KONTIV. Bei der „kontinuierlichen Erhebung zum
Verkehrsverhalten“, die das infas-Institut und das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im
Auftrag des Bundesverkehrsministeriums im vergangenen
Jahr durchgeführt haben, wurden rund 130000 Personen
in über 50000 Haushalten im ganzen Bundesgebiet
befragt. Kern der Befragung war die Erfassung aller Wege
außer Haus an einem Stichtag – vom kurzen
Fußweg zum Einkaufen über die Fahrt zum
Arbeitsplatz bis zur Radtour aufs Land. Erwünscht
waren zudem weitere Angaben zu im Haushalt vorhandenen
Fahrzeugen, Monatskarten oder der Entfernung zur
nächsten Haltestelle.
Ausgezählt
Bei 61 Prozent der zurückgelegten Wege war das
Auto erste Wahl, in knapp der Hälfte der Fälle
immerhin mit mehreren besetzt. Bahn und Bus kamen auf 8,
die Füße auf 23 und das Rad auf 9 Prozent der
Wege. Da immer mehr Deutsche Führerschein und Auto
besitzen, verschiebt sich nach Einschätzung von DIW
und infas die Verkehrsmittelwahl. Während die im
Verkehr verbrachte Zeit mit 74 Minuten und die Anzahl der
Wege mit 3,6 pro (Werk-)Tag nur leicht gestiegen sind,
wird vor allem weiter gefahren – im täglichen
Durchschnitt über 40 Kilometer.
Erstmals belegt wurde nach Angaben der
federführenden Institute die starke
Einkommensabhängigkeit von Fahrzeugausstattung und
Mobilitätsumfang: Je höher das Einkommen, um so
mehr Autos besitzt ein Haushalt und um so mehr wird
gefahren. So verfügen 70 Prozent der Haushalte mit
einem Einkommen ab 3600 Euro monatlich über zwei und
mehr Pkw. Personen mit höherem Einkommen legen mit
durchschnittlich 60 Kilometern pro Tag rund doppelt so
große Enfernungen zurück wie Menschen mit
geringem Einkommen.
Zum Tragen kommt auch die stärkere Verbreitung
des Führerscheins bei Älteren, insbesondere bei
Frauen: So verfügen rund 80 Prozent der Frauen
zwischen 55 und 59 Jahren über eine Fahrerlaubnis
– 1982 waren es gerade mal 30 Prozent.
Der öffentliche Verkehr kann vor allem in den
Ballungsräumen seine Stärken entwickeln: In der
„ÖPNV-Hauptstadt“ Berlin beispielsweise
besitzen 41 Prozent der Haushalte kein Auto. Während
im bundesweiten Durchschnitt 25 Prozent der Befragten ab
14 Jahre angaben, mindestens einmal pro Woche Bahn und
Bus zu fahren, sind es in Berlin 57, in Hamburg 53 und in
Bremen 46 Prozent. Am unteren Ende der Skala stehen
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit rund 15
Prozent.
Den höchsten Fahrrad-Anteil verzeichnet Bremen
mit 17 Prozent. Bremen zeigt sich auch als „Stadt
der kurzen Wege“, da hier mit 29 Kilometer pro
Person und Tag deutlich geringere Entfernungen
zurückgelegt werden als im Durchschnitt der
Länder. Die weitesten Wege gibt es in Hamburg (46 km
pro Person und Tag) – davon allerdings ein
bundesweit einmalig hoher Anteil von fast 40 Prozent mit
Bahn und Bus. Thüringen liegt bei den Fußwegen
an erster Stelle: Hier werden über 30 Prozent der
Wege zu Fuß erledigt (Bundesdurchschnitt 22,6
Prozent).
Die von vielen als notwendig erachtete Trendwende
zugunsten von Bahn und Bus, Fahrrad und zu Fuß ist
jedenfalls insgesamt nicht in Sicht. Dabei sind
Alternativen zum Auto vielfach vorhanden und besser als
vermutet: DIW und infas ermittelten aus den Wegen der
KONTIV ein Potenzial für Bahn und Bus von rund 24
Prozent. Viele Wege, die mit dem Auto gemacht wurden,
wären demnach mit Bus und Bahn ähnlich gut
erreichbar.
Jürgen Eichel
Mehr Infos: www.kontiv2002.de
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