Gleich neben dem berühmten Lakritzladen
in Berlin-Kreuzberg liegt die Fahrschule von Verkehr human. Straßencafés,
eine Schule, kleine Läden und Gewerbebetriebe bestimmen das
Straßenbild. Hier pulsiert das Leben noch auf der Straße.
Kinder auf Laufrädern, Radfahrer, der Laster vom Lebensmittelhandel
und dazwischen eine schweigende Gruppe Jugendlicher.
Stummer Protest gegen die Schließung des griechischen Restaurants?
Nein, die Fahrschüler machen einen Hörspaziergang. Still
zieht die Gruppe in zwanzig Minuten einmal ums Carré. Hinterher
vor dem Schulungsraum werden die Eindrücke diskutiert. Der
dröhnende Rap aus manchen Autos, der Sound einer Harley, Kinderlärm
auf dem Bolzplatz und das Dauerdröhnen an der Urbanstraße
haben Eindruck gemacht.
Zweiter Teil der Übung: In Zweiergruppen führt einer
den anderen, der dabei die Augen geschlossen halten soll. Sich
blind Verlassen auf einen anderen fällt schwer und nach dem
ersten Stolperer an meiner Hand öffnet Jonathan die Augen. „So
lieber nicht“, meint er und dirigiert mich über die
Bordsteinkante und hoffentlich auch um die allgegenwärtigen
Hundehaufen herum. Lothar Taubert, der Fahrlehrer, erklärt
den Sinn des Spiels: „Hier soll der Grundstein gelegt werden
für die Eigenverantwortung in der normalen Fahrsituation nach
der Führerscheinprüfung. Die Interventionsmöglichkeiten
der meist noch jüngeren Beifahrerinnen sind gleich Null. Da
wird von Freunden und Freundinnen erwartet, dass sie sich mit blindem
Vertrauen fahren lassen. Der meist jugendliche Fahranfänger
soll sich dieses Gefühl bewusst machen.“
Soweit, so ungewöhnlich beginnt der Fahrschulunterricht bei
Verkehr human. Aber natürlich müssen die Fahrschüler
auch hier Verkehrsvorschriften lernen. Im theoretischen Unterricht
geht es aber immer wieder auch um Fragen von sozialem Verhalten.
Gebe ich anderen Fahrern durch mein vorausschauendes Fahren die
Möglichkeit, in eine der schmalen Straßen einbiegen zu
können? Und wenn ich da so freundlich bin, wäre es dann
nicht konsequent, auch im verkehrsberuhigten Bereich nicht zehn
Autos auszubremsen, weil ich wirklich Schritttempo fahre? Und wie
reagiere ich auf die Radfahrer, die hier aus jeder Richtung kommen
und natürlich nicht Schritttempo fahren? Eine Debatte über
Regeln, Recht haben und Verantwortung übernehmen folgt.
Verantwortung und Moral
Verantwortung haben Autofahrer beispielsweise für die Kinder,
die erst lernen, dass der schnelle Weg quer rüber zum Eismann
oder das prima Versteck in der Parklücke nicht gerade sicher
sind, obwohl sie hier überall spielen dürfen. Es geht
also weniger um Rechtbehalten, Verkehr human mahnt die moralische
Verantwortung für das eigene Verhalten an. Bei allem Gerede
um Verantwortung und Moral: Wir sitzen in einer Fahrschule. Hier
muß niemand sitzen. Alle sind freiwillig hier und müssen
auch noch dafür bezahlen. Die Lust am Auto fahren ist ungebrochen
und eine Fahrschule lebt davon.
Jeanette und ich sind in der Gruppe die Älteren. Wir müssen
den Führerschein machen und wollen dabei unsere ökologischen
Ideale nicht verlieren. Verkehr human vermittelt eine ökologischere
und ökonomischere Variante des Autofahrens. Alle Schulfahrzeuge
fahren mit Erdgas. Erdgas ist ohne technischen Aufwand deutlich ökologischer
ist als herkömmliche Kraftstoffe. Auch das erste Tanken klappt
problemlos. Staunen gibt es nur über den Preis, der ist erheblich
niedriger als bei herkömmlichem Sprit. Das konventionelle Kuppeln,
Schalten, Gas geben und Bremsen ist anfangs schon komplizierter.
Auch Erdgasautos saufen den Fahrschülern beim Anfahren schon
mal ab.
Gleiten statt rasen
Dennoch ist Motorabstellen bei längerem Ampelhalt oder an
Bahnübergängen sinnvoll. Das macht von uns Fahranfängern
keiner so richtig gern, heißt es dann doch wieder: „Motor
starten, Gang einlegen, Kupplung kommen lassen und Gas geben.“ Aber
ein Ballon, der sich an den Auspuff gehängt in 30 Sekunden
Leerlauf prall füllt, beweist: Ohne Not wird in solchen Situationen
massenhaft Energie verschwendet und Atemluft in Sondermüll
verwandelt. Jonathan, der Azubi bei Verkehr human, erklärt: „Um
einen Liter Kraftstoff zu verbrennen, werden 15000 Liter Luft verbraucht.
Wie die dann riecht, könnt ihr hier am Ballon erschnüffeln.“ Die
Aufforderung hat allgemeines Naserümpfen zur Folge.
Nach soviel Trockenübung und Theorie geht’s ans Fahren.
Sitz, Kopfstütze, Sicherheitsgurt und Spiegel einstellen.
Motor starten. „Kupplung treten, ersten Gang einlegen, wenig
Gas, Kupplung kommen lassen und dann im Schrittempo durch die Graefestrasse“,
gibt Fahrlehrer Taubert klare Anweisungen.
„Die Ampel an der nächsten Ecke ist schon länger grün, in
den Leerlauf und rollen lassen.“ Nach vierzig Metern rollen muss ich doch
noch bremsen. Und dann geht es aus dem Stand wieder von vorne los. Vor der nächsten
Ampel bin ich bei Tempo 40 im fünften Gang.
Die Ansage des Fahrlehrers lautet: „Gleiten statt rasen.“ Der
Unterschied zwischen einer schnellen Fahrt durch die Stadt und
dem Gleiten im Verkehrsfluss ist enorm: Stress, Lärmbelastung,
Schmutz, Gefährdung anderer und etwa 30 Prozent höherer
Kraftstoffverbrauch gibts beim Lückenspringen zusätzlich,
nur der Zeitgewinn ist minimal. Elke hat schon ein paar Fahrstunden
mehr als ich und fährt gelassen. „Weil mich hier niemand
drängelt, habe ich Zeit meine Fahrmanöver ruhig zu überlegen
und durchzuziehen. Das gibt mir die nötige Sicherheit”,
lobt sie das Konzept.
„In Bewegung bleiben, weit vorausblicken“, sagt Taubert. „In
die Kurve hineinsehen oder besser hineindenken“. Die Kurve
ist nur eine ziemlich enge Verschwenkung der Fahrbahn wegen einer
Baustelle, „schön in der Mitte der eigenen Spur bleiben
und nicht den Sicherheitsabstand zu fahren.“ Bei einem Schlenker
durch eine Einbahnstraße lerne ich nach einer heftigen Bremsung,
dass Radfahrer aus der Gegenrichtung kommen können und an
der Einmündung auch Vorfahrt haben. Im Schritttempo geht es
zurück ins Gewusel der Graefestrasse. Ende der ersten Fahrstunde.
Eberhard Knappe
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