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LANDSCHAFT DES JAHRES
Radfahren am Fluss
Im Oderbruch, Europas
größtem Flusspolder, liegen viele Felder brach.
Ökologischer Landbau und sanfter Tourismus sollen
das Lebuser Land an Oder, Neiße und Warthe entlang
der deutsch-polnischen Grenze wiederbeleben. Die
Naturfreunde Internationale (NFI) ernennen es zur
„Landschaft des Jahres“.
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Foto: Johann Müller
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Das Lebuser Land erstreckt sich von
Lebus aus gut 45 km in Richtung Berlin. |
Im Ufergras kauert ein
Angler in der Mittagshitze. Ein Bussard hockt in der
Krone einer Kopfweide, schwingt sich kurz hoch und
schwebt über die Oder hinweg nach Frankfurt. Aus
einem flussnahen Wäldchen kommend, schiebt ein Mann
sein Fahrrad den Deich hinauf und fährt, mit einem
Korb Feldsalat am Lenker, den Fluss entlang in die Stadt
zurück.
Die Oderauen bei Slubice versprühen einen Duft,
der Erinnerungen weckt. Die Gemächlichkeit, die
Geräusche und Gerüche auf der polnischen Seite
des Grenzflusses erinnern an die ländliche
Bescheidenheit der 60er Jahre. „Eine ideale Region
für Naturschutz und sanften Tourismus“, meint
Manfred Pils, „und als solche sollte man sie
erschließen.“
Pils ist Generalsekretär der Naturfreunde
Internationale (NFI), die im brandenburgischen Lebus das
Gebiet beidseits der Oder zur „Landschaft des
Jahres 2003/2004“ gekürt haben. Gemeinsam mit
dem polnischen Verband PTTK eröffnete die NFI aus
diesem Anlass das Naturreservat „Auwälder bei
Slubice“. Und den neuen Radweg: Die zehn Kilometer
lange Strecke von Slubice nach Nowy Lubusz (Neu-Lebus)
ist Teil eines Projekts, das einen Radweg von den Sudeten
bis an die Ostsee vorsieht. Er erlaubt Radlern immer
dort, wo es Brücken gibt, eine „Acht“ zu
fahren, also auf die deutsche Seite zum
Oder-Neiße-Radweg zu wechseln. Und wieder
zurück.
„Das Lebuser Land – eine Brücke in
Europa“ lautet das Motto der jüngsten,
inzwischen neunten „Landschaft“. Alle zwei
Jahre wählen die 22 nationalen Verbände der NFI
eine grenzübergreifende und ökologisch sensible
Region in Europa zur „Landschaft des Jahres“.
Ziel des Projekts ist es, die nachhaltige Entwicklung des
Gebiets anzustoßen, kulturelle Barrieren zu
überwinden und Zusammenarbeit zu fördern. Die
Naturfreunde wollen mit der Bevölkerung vor Ort
Programme erarbeiten, die auch nach der Initialphase
weiter wirken.
Auch beim Projekt „Lebuser Land – Ziemia
Lubuska 2003/2004“ stehen die Erhaltung von
Naturräumen, der Gewässerschutz sowie die
Schaffung von Arbeitsplätzen im ökologischen
Landbau und im nachhaltigen Kultur- und Naturtourismus im
Mittelpunkt. „Wir wählen bewusst
ländliche Grenzregionen aus, um zu zeigen, dass die
Naturlandschaft wertvolles Kapital darstellt, nicht nur
für den Tourismus, sondern auch für die
Lebensqualität der Region“, sagt Pils.
Das Lebuser Land – Name und Ausdehnung des
Gebietes orientieren sich an den Grenzen des Bistums
Lebus aus dem 12. Jahrhundert – erstreckt sich von
Lebus aus gut 45 km in Richtung Berlin, 60 km in
östliche Richtung bis Gorzów Wielkopolski
(Landsberg) und je 40 km beidseits der Oder nach Norden
und Süden. Mit seinen Urstromtälern,
Urwäldern, Naturparks (Schlaubetal und
Warthemündung) und Seen sowie historischen
Stadtkernen, Johanniterburgen und
Zisterzienserklöstern ist das Gebiet eine
„einzigartige Natur- und Kulturlandschaft, die es
wert ist, besucht zu werden“, so die
Naturfreunde.
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Foto: Johann Müller
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In den Auen und Feuchtwiesen der
Flusstäler an Oder, Warthe und Neiße rasten
Kraniche. |
Obstbäume säumen die Chausseen im Oderbruch,
Kartoffel-, Raps- und Sonnenblumenfelder prägen das
Land um die einzeln stehenden, Gehöfte, die im Zuge
der Flurneuordnung im 18. Jahrhundert Kolonistenfamilien
per Losentscheid zugewiesen wurden. Das Oderbruch ist
eine kostspielige Gegend. Oft hat es Überlegungen
gegeben, aus Europas größtem Flusspolder wieder
Sumpfgebiet zu machen, die 20000 Bewohner umzusiedeln.
Die 60 km lange und bis zu 16 km breite Flussniederung,
deren Senke in der letzten Eiszeit entstanden ist und
zwischen 1747 und 1753 durch Trockenlegung urbar gemacht
wurde, umfasst 60000 Hektar Land, 1400 km
Entwässerungsgraben, 80 km Deich, 38
Schöpfwerke und unzählige Wehre. Seit der Wende
liegen große Teile der Agrarfläche brach, LPGs
und Zuckerfabriken mussten aufgeben.
Ohne Polen geht nichts
Einzige Option zur Wiederbelebung dürfte der
Fremdenverkehr sein. Nur erschließen sich die Reize
des Oderbruchs nicht sofort: „Et jibt hier nu mal
keene schicken Berge“, sagt Hermann Kaiser aus
Reitwein, der als Fremdenführer weiß, dass man
„solche Orte nur mit hohem Einsatz aus der Krise
holen kann“. Es macht dem Endvierziger Spaß,
Besuchern sein Dorf zu zeigen. „Eener muss et ja
machen, sonst passiert nüscht“, sagt Kaiser,
während er, auf dem Deich stehend, schildert, wie
das Oderwasser 1997 nur knapp unterhalb der Krone blieb.
Engagiert führt Kaiser, der sich im Zuge der
Deichsanierung für die Rettung hundert Jahre alter
Eichen, Eschen und Ahorne eingesetzt hat, Gästen die
Attraktionen seiner Heimat vor: die Oderauen, den
Schlossgarten, die imposante Backsteinkirche und den
Reitweiner Sporn, Höhe: 81 Meter. Die Tour
führt Gäste auf dem Europäischen Wanderweg
E11 entlang historischer Handelswege und slawischer
Burgwälle aus dem 7. Jahrhundert.
Auch Groß Neuendorf kommt auf die sanfte Tour. Der
435-Einwohner-Ort am Fluss hält Mieträder
bereit, für Bürgermeisterin Karin Rindfleisch
birgt der Oder-Neiße-Radweg die einzige Chance.
„Radfahrer sind arbeitsintensiv, weil sie meist nur
eine Nacht bleiben“, weiß die Frau, die sich
um die wirtschaftliche Entwicklung ihres Ortes sorgt,
„aber sie sind unsere Zukunft.“ Vermarkten
könne man die Region indes nur zusammen mit Polen.
So sei der Nationalpark Ujscie Warty (Warthemündung)
nicht nur ein Anglerparadies, sondern wegen seiner Biber,
Otter und Seeadler auch für Tierbeobachter
einzigartig. Daher ist für die Frau, die sich vom
Schiffsanleger und dem EU-Beitritt des Nachbarn Auftrieb
erhofft, klar: „Nur gemeinsam mit den Polen
können wir es schaffen.“ Henk Raijer
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Informationen |
Das Lebuser Land an
Oder, Neiße und Warthe ist ein Mekka
für Rad- und Wanderfans. Der Oder-Neiße-Radweg
und der Europäische Wanderweg E 11
führen durch naturbelassene
Landschaften. Auch jenseits der Oder wurden
inzwischen Teile des sanierten Deichs als
Radweg ausgewiesen.
Anfahrt: Zu
erreichen ist die Region mit der Deutschen
Bahn über Berlin-Zoologischer Garten,
von dort verkehren Züge nach
Frankfurt/Oder im Stundentakt, nach Kostrzyn
alle zwei Stunden ab Berlin-Lichtenberg. Ins
malerische Schlaubetal gelangt man auch
über Bahnhof Fürstenwalde auf der
Strecke Berlin–Frankfurt/Oder.
www.bahn.de
Für Natur-und
Kulturinteressierte empfehlen sich das
Naturschutzgebiet Ujscie Warty
(Warthemündung) für die
Tierbeobachtung von Seeadler, Fischotter,
Kranich, Biber, kanadischer Wildgans
unmittelbar östlich von Kostrzyn
(Küstrin), der historische Stadtkern von
Osno Lubuskie (Drossen) und das Kloster
Neuzelle. Info: Tel. (033652) 6102.
Ausgangspunkt für das Schlaubetal ist
Müllrose, Info: Tel. (033606) 7729-0.
Radvermietung und
geführte Radtouren organisieren:
Albatros Natur- und Aktivreisen in Beeskow,
Tel.: (033669) 153375.
Wanderungen
durch das Oderbruch und das Naturschutzgebiet
Warthemündung organisiert Sigrid
Bellack, Tel.: (030) 3933859.
Infos zur
Landschaft des Jahres:
Naturfreunde Internationale, Diefenbachgasse
36, A-1150 Wien, Tel.: (0043-1) 8923877 oder
im Internet:www.nfi.at
Der Tourismusverband
Märkisch-Oderland e.V., Postfach 28,
15301 Seelow, Tel./Fax: (03346) 150701, www.mol-t.de hat auch
Infomaterial zum Oder-Neiße-Radweg.
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Infografik:
Fairkehr/M.A.Venner
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