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EDERREISE
Auf Tuchfühlung
Wer sich beim Radfahren die Natur
nicht von einem toten Teerstreifen aus ansehen mag, ist
an der Eder goldrichtig. Hier öffnet sich eine
vergangen geglaubte Welt, in der es noch Pfützen und
Haarnadelkurven gibt und es hin und wieder so schmal
wird, dass einem die Äste um die Ohren fegen.
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Foto: Gerhard Fitzthum
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Die in den siebziger Jahren
einbetonierte Eder darf heute wieder frei
fließen. |
Offenbar nähern wir
uns der Quelle. Wo eben noch erdfarbener Waldboden
war, dominiert nun die Farbe Grün in ihren
frischesten Tönen. Moose und Farne gedeihen hier im
Schatten von Schwarzerlen und Moorbirken, dazwischen
überall kleine Rinnsale, die lautlos talwärts
strömen.
Kaum zu glauben, dass diese Urlandschaft jüngeren
Datums ist. In der Beton-Ära der siebziger Jahre
hatte man eine der Ederquellen gefasst und das Wasser
damit schon auf den ersten Metern in ein künstliches
Bett gezwungen. 1991 ließ ein mutiger Forstrat dann
aber das Mauerwerk beseitigen und das ganze Ederbruch
renaturieren, was ihm den Vorwurf der Schändung
eines Kulturgutes einbrachte. Inzwischen haben sich die
Wogen im Wittgensteiner Land aber wieder geglättet,
denn der ökologische Erfolg der Maßnahme
spricht für sich: Man zählt im Quellgebiet
wieder hundertfünfzig Blütenpflanzen,
fünfzig verschiedene Moose und vom Aussterben
bedrohte Arten wie das Nordische Purpurraitgras. Ein
kleines Stück talabwärts kann man auf einem
neuen Holzsteg ins Feuchtbiotop vordringen, ohne
Fußabdrücke zu hinterlassen. Auf Schautafeln
wird der Besucher hier zu den Themen „Wald“
und „Wasser“ informiert.
Unterwegs sind wir per Rad – mit prall
gefüllten Gepäcktaschen. Wir wollen dem erst
vor zwei Jahren markierten Ederauen-Radweg bis zur
Mündung im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis folgen.
Das bedeutet 180 Kilometer Fahrstrecke, obwohl die
Luftlinie deutlich kürzer ist. Die Kinder ahnen
Schlimmes, aber lange Steigungsstrecken gibt es nirgends.
Es geht die meiste Zeit sanft bergab.
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Foto: Gerhard Fitzthum
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Radfahrer des Eder-Radweges
müssen hin und wieder ein Stück auf die
Straße – meistens aber ohne viel Verkehr. |
Unterwegs auf Feldwegen
Erster Szenenwechsel in Erndtebrück: Das satte
Grün der Wiesen und Weiden verschwindet aus dem
Blickfeld, als wir in das kleine Industriestädtchen
eintauchen. Eine Gewerbehalle reiht sich an die
nächste, aus dem beschaulichen Radweg ist eine
breite Asphaltschneise geworden, der Boden ist
großräumig versiegelt. Als Wanderer würden
wir hier schlagartig die Lust verlieren, aber mit dem Rad
ist man schnell wieder draußen – in jener
„unverbrauchten Natur“, von der im Vorwort
der Radwanderkarte zurecht die Rede ist. Im Unterschied
zum Siegerland war das Wittgensteiner Land nämlich
immer nur schwach industrialisiert. Auch die
Landwirtschaft wurde aufgrund der schlechten Böden
stets nur im Nebenerwerb betrieben. Noch heute fehlt von
agrarindustriellen Großbetrieben jede Spur. Im
Außenbereich trifft man zwar gelegentlich auf
Fabrikruinen, leerstehende Hallen und aufgegebene
Betriebsgebäude, vor allem aber auf intakte
Landschaften, die genauso gut in Schottland liegen
könnten.
Das Ganze wirkt auch deshalb so idyllisch, weil wir
zumeist auf ungeteerten Feld- und Waldwegen unterwegs
sind. Statt als Komfortroute für Asphaltfreunde
erweist sich der Ederauen-Radweg als Angebot für
Radler, die einen möglichst intensiven Zugang zur
Natur suchen, die also keine Lust haben, sich die
Vielfalt der natürlichen Farben und Formen von einem
toten Teerstreifen aus anzuschauen. Wer sich in diese
Vielfalt eingebunden fühlen will, ist an der Eder
goldrichtig.
Geht es nach Rüdiger Grebe, so wird es bei diesem
maßvollen Ausbaustand bleiben. Der Lehrer aus Bad
Berleburg hatte Mitte der neunziger Jahre ein
Schulprojekt lanciert, bei dem ein 1,2 Kilometer langes
Teilstück einer aufgelassenen Bahntrasse unter
strikt ökologischen Gesichtspunkten zu einem
Radwanderweg umgebaut wurde. Diente die Maßnahme
eigentlich nur dazu, eine Lücke der Befahrbarkeit zu
schließen, so wurde sie nach der Eröffnung 1999
schnell zum „Urkilometer“ der Edertal-Route
– zu einem Modell- und Vorzeigestück
naturnaher Radwegeerschließung, für das sich
plötzlich auch die Kommunalpolitiker zu
interessieren begannen.
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Infografik: fairkehr
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Versunkene Dörfer
Ob alle von ihnen Grebes Philosophie der
Naturnähe begriffen haben, darf bezweifelt werden.
Im Moment wird sein Ansatz aber von den meisten Gemeinden
unterstützt. Vor Battenberg etwa ist unlängst
eine Radwegebrücke eingeweiht worden, die dem Radler
eine lästige Passage auf der Straße erspart.
Und in Hatzfeld denkt man darüber nach, der Bahn AG
den verwilderten Damm abzukaufen, der den Radwanderer in
ei nem der schönsten Flußabschnitte in eine
wunderbare Panoramaposition heben würde.
Die Konfrontation mit dem motorisierten Verkehr ist
auf dem Ederauenradweg aber schon jetzt die seltene
Ausnahme. Man muss zwar immer mal wieder ein Stück
auf die Straße, in der Regel aber nur auf
drittrangige Ortsverbindungen ohne viel Verkehr.
Unangenehm kann es aber am Edersee werden – sofern
man sonntags kommt. Bis zur Fertigstellung des geplanten
Rundwegs für Radler quält man sich hie und da
durch Ausflugsverkehr, atmet Auspuffgase und muss
aufpassen, nicht von einem gestressten Sonntagsfahrer
niedergefahren zu werden.
Dieses Jahr ist der Andrang so groß, dass man
sogar Sonderparkplätze eröffnen musste. Der See
hat nämlich den tiefsten Wasserstand seit Jahren
– eine Touristenattraktion ersten Ranges. Zu sehen
sind nun die Reste der Dörfer, die bei der
Füllung des Sees vor neunzig Jahren in den Fluten
verschwanden. Ursprünglich wollten wir mitsamt den
Rädern schon in Herzhausen auf den Ausflugsdampfer
steigen, aber nicht einmal das Fährboot in Asel
hatte genug Wasser. Wir rollen über die 1890 gebaute
Aselbrücke, die ansonsten fast das ganze Jahr
über tief unter der Wasseroberfläche liegt. Sie
steht unter Denkmalschutz und wird gerade restauriert.
Auch die Grundmauern der abgebrochenen Häuser sind
zu erkennen – und ein Friedhof.
Insgesamt neunhundert Menschen verloren durch den
Staudammbau ihre Heimat, doch längst hat man es
gelernt, die Tragödie von der positiven Seite zu
sehen. Als willkommener Nebeneffekt der Vertreibung
kehrte nämlich der Tourismus ein. See und Staumauer
wurden zum Dreh- und Angelpunkt des Waldecker
Freizeitgeschehens – ein Freitzeitgeschehen, das
freilich noch immer vom motorisierten Individualverkehr
bestimmt ist.
Erwartet hatten wir, dass der Radweg zwischen
Sperrmauer und Mündung immer langweiliger
würde. Doch weit gefehlt. Langsam in
Endspurtstimmung kommend, fliegen wir steigungsfrei durch
eine offene Landschaft – mal an der aufgelassenen
Bahnlinie, mal direkt an der Eder entlang. Der
Ederauen-Radweg macht hier einmal mehr seinem Namen alle
Ehre. Flankiert ist er von Auenwäldern, Schilfmeeren
und Kiesgrubenseen, die sich die Natur längst wieder
zurückerobert hat. An einem der schönen
Picknickplätze direkt am Fluss beobachten wir
Graureiher, Haubentaucher und einen Eisvogel und wundern
uns, zu welch großem Strom der Bach geworden ist, an
dem wir uns vor gerade einmal zwei Tagen eingefunden
hatten.
Dass wir uns nicht einfach nur ein paar Tage die
Freizeit vertrieben, sondern eine richtige Reise gemacht
haben, wird uns aber erst am Abend im Zug wirklich
bewusst. Die Gewissheit, sich eine Landschaft als Ganze
erschlossen und sich damit bleibende Eindrücke
erradelt zu haben, lässt den vorzeitigen Abbruch der
Tour leichter verschmerzen. Die Gewitterwolken waren aber
einfach zu drohend, die Bahnstation von Wabern kam da
gerade recht. Im nächsten Jahr werden wir hierher
zurückkehren und unsere Reise fortsetzen: Dorthin,
wo die Eder in die Fulda mündet und dann weiter auf
dem gleichnamigen Radweg zum Weserradweg, dem
bekanntesten und beliebtesten seiner Art in Deutschland.
Die Ruhe und die fantastischen Naturlandschaften, die uns
das Edertal bot, werden wir dann aber wohl vermissen.
Gerhard Fitzthum
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Foto: Gerhard Fitzthum
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Mit dem Bau der Sperrmauer versanken
im Edersee drei Dörfer in den Fluten. |
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Informationen
Anreise: Die
Ausgangspunkte des Ederauen-Radwegs sind mit dem
öffentlichen Verkehr bestens erschlossen.
Anreise zur Quelle: Zug von Marburg oder Siegen in
Richtung Erndtebrück/Bad Berleburg, Ausstieg
am Bahnhof Lützel. Von dort sind es vier
Kilometer ohne nennenswerte Steigungen, wo der
markierte Ederauen-Radweg beginnt. Rückfahrt
vom Bahnhof Edermünde-Grifte oder Wabern (IC
und RE-Halt, Linie
Frankfurt–Marburg–Kassel). Auf
hessischem Gebiet ist der Fahrradtransport
kostenlos, im nordrheinwestfälischen
Streckenabschnitt müssen pro Rad drei Euro
bezahlt werden. Fahrrad- und Personentransporte
(auch für größere Grupppen) vor Ort:
Taxi-Roth, Bad Laasphe, Tel.: (02752) 5430
Sehr gute Informationen zum Bahnfahren in der
Region enthält die VCD Fahrplankarte Weser-Fulda
samt Auslugsführer (siehe nebenstehende
Anzeige).
Kultur: Das
Sperrmauermuseum im ehemaligen Turbinenhaus
informiert über die Geschichte des Stausees
und dokumentiert auch die Zerstörung der Mauer
durch den Luftangriff der Allierten vom 17. Mai
1943 und die daraus resultierende Überflutung
des unteren Edertales. Öffnungszeiten
täglich von 12–18 Uhr. Tel.: (05623)
930289, www.ausstellung-edersee.de.
Karte:
Ederauen-Radweg 1: 50000, Bielefelder
Verlagsanstalt, ISBN 3-87073-263-6. Die Karte
enthält auch eine Liste mit
fahrradfreundlichen Gastbetrieben.
Die Anbindung an andere
Fluss-Fahrradwege ist ideal. An der
Mündung kann man auf den Fulda-Radweg wechseln
und hat in Hann. Münden die Wahl entweder die
Werra aufwärts oder die Weser abwärts zu
fahren.
Kellerwald wird
Nationalpark: Die ausgedehnten alten
Buchenwälder südlich des Edersees in
Nordhessen werden zum Nationalpark erklärt.
Eine Verordnung soll zum 1. Dezember 2003 in Kraft
treten. 37 Prozent des dortigen Waldes sind
älter als 140 Jahre und Naturschützer
weisen darauf hin, dass es ab dieser Altersklasse
zu faszinierenden Beobachtungs- und
Forschungsmöglichkeiten kommt: beginnende
Urwaldprozesse, Naturverjüngung und die
Entwicklung eines echten Naturwaldes.
Ausrüstung:
Zu empfehlen sind Trekkingräder mit
Stollenprofil, normale Stadträder eignen sich
auch, sofern sie keine allzuschmalen Felgen haben.
• Touristik Service Waldeck-Ederbergland
GmbH, Südring 2, 34497 Korbach,
Tel.: (05631) 954359, Fax -954378. www.waldecker-land.de; E-mail: info@
waldecker-land.de
• Touristikverband Siegerland-Wittgenstein
e.V., Koblenzer Str. 73, 57072 Siegen, Tel.: (0271)
333-1020, Fax -1029; www.siegerland-wittgenstein-tourismus.de;
e-mail: tvsw@siegen-wittgenstein.de
• Touristik Service Kurhessisches Bergland
e.V., Parkstr. 6, 34576 Homberg (Efze), Tel.:
(05681) 775-480, Fax -710614. www.kurhessisches-bergland.de, E-mail:
kurhessisches-bergland@t-online.de
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