Der ganz normale Wahnsinn Ein Unfall der besonderen Art beschäftigt das Land. Ein rasender Testfahrer von DaimlerChrysler steht in dem dringenden Tatverdacht, ein langsameres Auto von der Autobahn gedrängt zu haben. Die 21jährige Fahrerin und ihr zweijähriges Kind waren auf der Stelle tot. Der Redakteur der Süddeutschen Zeitung Harald Hordych erlebte mit der Autobahnpolizei auf der A5 bei Karlsruhe den ganz normalen Wahnsinn.
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Karlsruhe, Anfang September – Es sind nur ein paar Sekunden, aber sie genügen Hauptwachtmeister Joachim Keller. „Des isch einer für uns“, sagt er zu seinem Kollegen, als der silberne BMW mit hoher Geschwindigkeit von hinten herangeschossen kommt. Er drückt auf einen Knopf in der Mittelkonsole, da ist der silberne BMW auch schon vorbeigerast und im Visier der Kamera, die an der Frontscheibe angebracht ist. Die Verfolgungsjagd beginnt, Keller beschleunigt seinen dunkelblauen Audi A6 Quattro auf 180 und setzt sich hinter den silbernen BMW. Wenn er nicht unmittelbar dahinterfährt, sind die Bilder als Beweis vor Gericht nicht zu gebrauchen. Für einen Moment war zu erkennen, dass der Fahrer einen Handy-Kopfhörer trägt, womöglich spricht er gerade, wer hätte auch etwas dagegen. An diesem sonnigen Tag herrschen eigentlich ideale Bedingungen für ein rasches Fortkommen. Der Verkehr fließt zwar dahin, aber von einer freien, ungehinderten Fahrt auf der linken der drei Spuren der Autobahn A5 zwischen Karlsruhe und Mannheim kann keine Rede sein. Genau das ist das Problem des Mannes in dem silbernen BMW. Es sind noch andere auf dieser Spur, andere Autos, die nicht so schnell sind wie er und die sich trotzdem das Recht herausnehmen, dort zu fahren. Das andere Problem ist, dass hier Schilder stehen, auf denen eine 120 in einem roten Kreis geschrieben steht. An der Lösung des ersten Problems arbeitet der Mann durch dichtes Auffahren auf einen VW-Polo. Er drückt. Er schiebt. Wie die Beamten in dem dunkelblauen Audi Quattro feststellen. Das andere löst er, indem er sich einfach darüber hinwegsetzt, denn von der Polizei ist anscheinend weit und breit nichts zu sehen. Auf einem Monitor im Innenraum des Quattro, vor den Knien des Hauptkommissars Rudi Greulich, läuft der Spielfilm zum täglichen Geschwindigkeitsrausch. „Das ist ein typischer Drängler, gehobene Mittelklasse, hochmotorisiert und offensichtlich ein Geschäftsmann, der keine Zeit verlieren will“, sagt Greulich. Ein paar Sekunden genügen, damit die Beamten Bescheid wissen, ob einer dem Vordermann nur kurz zu nah kommt und sich dann wieder zurückfallen lässt. Oder ob er dran bleibt. Ob er tatsächlich zum Drängler wird. Wenn ja – Zugriff. |
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Der Thrill hoher Geschwindigkeit im Auftrag des Gesetzes. Gerade in diesen Tagen hat Greulich eine Menge Fragen zu beantworten. Hier, nur wenige Kilometer von der Einsatzzentrale in Karlsruhe-Durlach entfernt, hat sich am 14. Juli ein Unfall ereignet, der die Öffentlichkeit heftig aufgeschreckt hat, so als habe sie seit Jahren auf einen solchen Fall gewartet: auf die Katastrophe, das Unglück, das aus einem Kavaliersdelikt das macht, was es für Greulich schon lange ist „eine überaus verwerfliche Tat“. Eine 21-jährige Frau und ihre zweijährige
Tochter kamen ums Leben, als sie von der Fahrbahn abkamen und gegen einen
Baum rasten. Die Staatsanwaltschaft hat einen 34-jährigen Mann in
dem dringenden Verdacht, durch das „Heranrasen“ mit einem Mercedes
CL 600 diesen Unfall ausgelöst zu haben. |
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Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 km/h auf Autobahnen würde schwere Unfälle deutlich verringern.
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Ein Unbekannter hat eine kleine, liebevoll arrangierte Andachtsstätte aufgebaut. Auf weißen Kieselsteinen steht eine Laterne mit einem Totenlicht, aber die Kerze brennt nicht. Dahinter sitzen ein aus Stroh gebasteltes Kaninchen, eine Spielmaus und ein kleines rosafarbenes Marsmännchen, an dessen Hals ein rotes Herz hängt: „With Love“ steht darauf. Es ist, als ob sich die Kuscheltiere und der in einer schlichten Glasvase verwelkende Blumenstrauß mit roten Blüten und das Totenlicht um einen kleinen Baumstumpf scharen würden. Er überragt das Arrangement ein wenig, und auf ihm liegt, mit Bedacht genau in die Mitte gerückt, ein einziger kleiner Schuh, eine dunkelblaue Sandale, wie sie zweijährige Kinder tragen, abgeschabt, ein wenig mitgenommen, als sei der Schuh verletzt. Drei Meter dahinter erhebt sich ein Baum, dessen Rinde abgerissen ist, weggefetzt, vom Aufprall des Kia, der hier am 14. Juli um sechs Uhr morgens gegen die Kiefer gefahren und dann förmlich zerborsten ist. Die 21-jährige Jasmin A. und ihre zweijährige Tochter Rebecca waren auf der Stelle tot. „Das Kindle saß wohl noch im Sitz“, sagt Greulich leise. |
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Fakt ist, dass die junge Frau plötzlich
ihr Steuer herumgerissen hat, der Wagen schleuderte, geriet außer
Kontrolle und prallte gegen den Baum. Warum hat sie das getan? Dass die
Staatsanwaltschaft überhaupt ermitteln konnte, was an diesem schönen
Sommermorgen geschah, verdankt sie vier Augenzeugen, die das Geschehen
verfolgten, erklärt Oberstaatsanwalt Peter Zimmermann in seinem Karlsruher
Büro mit den nüchternen Betonwänden. Ein Zeuge, der selbst „mit
hoher Geschwindigkeit“ unterwegs war, wurde von einem Fahrzeug überholt,
das mit „deutlich höherer Geschwindigkeit fuhr“. Zimmermann
geht von 250 Stundenkilometern aus. An dem kleinen Polo ist der silberne BMW vorbei. Jetzt ist Raum da, Platz für Geschwindigkeit. Endlich kann der Fahrer beschleunigen, es ist, als ginge ein Ruck durch den Wagen. Hauptwachmeister Keller tritt ebenfalls sofort kräftig aufs Gas, und der Quattro beschleunigt in wenigen Sekunden von 123 auf 187 Stundenkilometer. Jetzt nur nicht abreißen lassen, damit sich kein anderer Wagen dazwischensetzen kann. Da leuchten schon wieder die Bremsleuchten des BMW wie ein Feuerwerk, diesmal ist es ein roter Peugeot, der den BMW aufhält. Wieder drängt er, wieder schiebt er. Das genügt. Greulich klappt die Sonnenblende
des Quattro hinunter, und der Fahrer des BMW sieht im Rückspiegel
plötzlich ein Display aufleuchten. „Stop Polizei“ steht
da. Sofort geht der BMW in die zweite Spur, zum ersten Mal. Der Mann nickt immer nur, und dann erzählt er davon, dass er soviel zu erledigen und noch mehr Sorgen habe: Seine Firma laufe nicht gut, seine Kinder lebten nach der Scheidung in Frankfurt und überhaupt … „Ich war total in Gedanken“, sagt er. Doch da widerspricht ihm Greulich energisch: „Nein, Sie haben genau gewusst, was Sie tun, das macht man nicht einfach so in Gedanken.“ Das ist so etwas wie der Leitsatz für Greulich, den Chef der Verkehrsgruppe Schnellverkehrsüberwachung, die Quintessenz seines 30-jährigen Berufslebens als Polizeibeamter. Immer wieder lassen sie die Fahrer gewähren, wenn diese nur einen kurzen Moment auf den Vordermann auffahren. Würden sie jedes Mal einschreiten, wenn der geforderte Sicherheitsabstand von mehr als der Hälfte der eigenen Geschwindigkeit nicht eingehalten wird, könnten die beiden gleich die Autobahn sperren und praktisch alle Verkehrsteilnehmer verwarnen. Und für einen, der 135 fährt, wo 120 erlaubt sind, tippt Keller noch nicht mal das Gaspedal an. Nein, es geht den sechs Beamten nur um die Verfolgung der gravierendsten Fälle. Und vor allem um Abschreckung. Um das Schaffen eines Bewusstseins in der Öffentlichkeit. Für Greulich ist das rücksichtslose Heranfahren und Drängeln, teilweise mit einem Abstand von weniger als zehn Metern, ein Verbrechen, ein „charakterlicher Verstoß“, wie er fast kämpferisch sagt. Man kann ihn gut verstehen, der 55-Jährige hat schließlich schon eine Menge gesehen. Bilder, die Greulich und seinen Kollegen nicht aus dem Kopf gehen, wenn sie wieder und wieder erklären, warum weniger als 20 Meter Abstand auf den Vordermann bei Tempo 140 jedwede adäquate Reaktion ausschließen. Weil in der Sekunde, die man für Reaktion und den Tritt aufs Bremspedal braucht, unzählige wertvolle Meter ungenutzt verstreichen. „Da machen sie gar nichts mehr.“ |
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Es muss richtig weh tun Greulich kann sich da in einen badisch-gemütlichen Zorn hineinreden. Er verachtet es, wenn das Heranrasen als kalkulierte Drohung eingesetzt werde. Die Fahrer würden manchmal erst in letzter Sekunde eine Art Notbremsung vollführen. Wer Rennen auf der Autobahn verhindern will oder den täglichen Nahkampf
auf den Schnellstraßen, der muss drakonische Strafen einführen, findet
Greulich. „Es muss richtig weh tun, damit die Leute es lassen.“ Und
es müssen Kontrolleure unterwegs sein, die unberechenbar sind, genauso
aus dem Nichts kommen wie die Raser selbst. Der Artikel ist ungekürzt am 5. September 2003 auf der Seite Drei der Süddeutschen Zeitung erschienen. |
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Schluss
mit dem Raserparadies Deutschland: Der VCD fordert Tempo 120 auf Autobahnen
europaweit. |
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