fairkehr: Warum ist das „verkehrsgerechte
Kind“ eine Illusion?
Limbourg: Auch wenn Kinder gelernt
haben, sich im Straßenverkehr verkehrsgerecht zu verhalten,
können sie sich noch nicht ständig auf den Straßenverkehr
konzentrieren. Durch die vielfältigen Reize aus unserer
Umwelt lassen sie sich leicht vom Verkehrsgeschehen ablenken
und scheinen dann alles Gelernte zu vergessen. Kinder können
sich noch nicht – wie Erwachsene – auf zwei Sachen
zugleich konzentrieren. Ein Kind, das mit einem Ball spielt,
ist nicht in der Lage, zur gleichen Zeit auf den Verkehr zu achten.
Aber auch „verkehrsgerechte Kinder“ würden die
Kinderunfallproblematik nur teilweise lösen, weil
bei der Hälfte aller Unfälle die Unfallverursachung
beim Fehlverhalten der Autofahrer liegt. Die Kinder verhalten
sich verkehrsgerecht und werden trotzdem angefahren.
fairkehr: Ab wann sind Kinder „verkehrstauglich“?
Limbourg: Wenn Kinder im Elternhaus,
im Kindergarten und in der Schule auf die selbständige Teilnahme
am Straßenverkehr ausreichend vorbereitet wurden und auch
genügend Erfahrungen als Fußgänger bzw. als Radfahrer
sammeln konnten, werden sie mit ca. 8–10 Jahren zu Fußgängern
und mit ca. 13–15 Jahren zu Radfahrern, die mit den täglichen
Anforderungen des Straßenverkehrs einigermaßen sicher
umgehen können.
fairkehr: Wohin soll die
Mobilitätserziehung der Zukunft gehen?
Limbourg: Kinder müssen
auch in Zukunft lernen, sich im Straßenverkehr zu Fuß,
mit dem Fahrrad, mit Inline-Skates und Kickboards, mit Bussen
und Bahnen und im Pkw so sicher wie möglich zu bewegen.
Damit sich Kinder in unserer bewegungsarmen Auto-, Fernseh- und
Computer-Zeit ausreichend bewegen, sollte die Mobilitätserziehung
die Nutzung von bewegungsfreudigen Fortbewegungsarten durch entsprechende
Unterrichtsangebote in Kindergarten und Schule fördern:
durch Fußgängertraining, Schulwegtraining, motorisches
Roller-/Radfahrtraining, Skater-Training, Verkehrstraining mit
dem Fahrrad, oder Teilnahme an der „I Walk to School“-Woche.
Mit dem Ziel, den Straßenverkehr für Kinder sicherer
zu machen, sollten Kinder frühzeitig dazu befähigt
werden, an der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse vor
Ort mitzuwirken, z.B. Aufklärung von Autofahrern durch Schulkinder über
die Schwierigkeiten von Kindern im Straßenverkehr,
Tempo30-Kontrollen durch die Polizei in Zusammenarbeit mit Schulkindern,
Beteiligung von Kindern an Stadt- und Verkehrsplanungsprozessen
in den Gemeinden usw.
fairkehr: Was muss sich ändern,
um die Verkehrssicherheit zu erhöhen?
Limbourg: Da Kinder nur begrenzt
in der Lage sind, sich verkehrssicher zu verhalten, muss ihre
Sicherheit durch technische, bauliche und überwachende Maßnahmen
verbessert werden. Die wichtigsten Maßnahmen zur Erhöhung
der Kindersicherheit sind:
-
Verkehrsberuhigung in Wohngebieten und im Umfeld von Kindergärten,
Schulen, Spiel- und Sportplätzen
- Reduktion der Geschwindigkeit von Tempo 50 auf Tempo 30 innerhalb
von Ortschaften
-
Einrichtung von kinderfreundlichen Straßenüberquerungshilfen
(Druckampeln und aufgepflasterte Zebrastreifen)
-
Beseitigung von Sichthindernissen im Straßenraum
-
Einrichtung von guten Fuß- und Radwegnetzen
- Einrichtung von sicheren Bus- und Bahnhaltestellen
- Anschnallpflicht in Schulbussen
- Überwachung der Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen
- Überwachung des Halte- und Parkverhaltens des Autoverkehrs
(zugeparkte Fuß- und Radwege, Halteverbote vor der Schule,
an Kreuzungen und von Fußgängerüberwegen
usw.)
- Überwachung der Benutzung von altersgerechten Kinderrückhaltesystemen
im Auto
-
Kontrolle der Fahrtüchtigkeit von Kinderfahrrädern
- Helmpflicht beim Radfahren
- Benutzung von reflektierender Kleidung bei Dunkelheit.
Interview:
Uta Linnert
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