Landflucht? Im Alb-Dörfchen Treffensbuch ist diese Bedrohung erst einmal abgewendet. „77 Bewohner haben wir zur Zeit“, berichtet Heiner Roser stolz. Er zählt auf: „Die Nachbarstochter wohnt mit den beiden Kindern wieder bei den Eltern auf dem Hof. Die Petra erwartet ein Baby. Oben im Dorf war eine Wohnung frei, da ist eine Familie mit sechs Kindern eingezogen…“ Generationenwechsel auf der Schwäbischen Alb: Roser, der den elterlichen Hof übernommen hat, hat selbst drei Kinder und freut sich, dass im Dorf wieder die Post abgeht. „Früher musste man hier um 10 Uhr ins Bett, weil einfach nichts los war. Jetzt wird es abends auch mal später“, erzählt er. Es gibt einen Volleyball-Treff, Grillabende, Dorffeste und kürzlich hat die Gemeinde mitten im Dorf ein Gemeinschaftshaus gebaut.
Und noch eine Besonderheit hat der kleine Ort: Drei der vier hier ansässigen landwirtschaftlichen Betriebe werden biologisch bewirtschaftet. Der Trend ist ansteckend: Auch in der Umgebung prangen überall Bioland-Schilder an den Höfen. Heiner Roser amüsiert sich köstlich, wenn er erzählt, wer inzwischen alles die Vorteile des Biolandbaus entdeckt hat.
Viele seiner heftigsten Widersacher sind bekehrt. Kein Wunder, tut der rührige Landwirt doch alles dafür, das Image der ökologischen Landwirtschaft zu verbessern. „Man muss als Biobauer hier schon darauf achten, dass man nicht zu alternativ wirkt. Sonst denken die anderen, man verdient mit Biolandbau nichts. Ich hab mir letztes Jahr einen neuen Traktor gekauft. Und wenn die mich weiter ärgern, kauf ich mir nächstes Jahr noch einen“, sagt Roser und grinst zufrieden.
Heiner Roser war 1993 der erste Landwirt im Dorf, der auf Bio umstellte. Statt mit seinen Kühen Milch zu produzieren wie sein Vater, züchtet er Jungvieh – aus Bequemlichkeit, wie er betont: „99 Prozent der werktätigen Bevölkerung kommt ohne Melken aus. Da habe ich mir gedacht, das muss ich doch auch schaffen.“ Sein Bio-Rindfleisch verkauft er ab Hof.
Die Arbeitszeit, die er einspart, investiert er in alles, was ihm Spaß macht. Er führt japanische Besuchergruppen, die sich für den Landschaftsschutz interessieren, lässt Studenten der Hochschule Kassel Verhaltensstudien mit seinen Rindviechern durchführen, unterrichtet Lehrlinge an der Berufsschule oder übernimmt Aufgaben für die Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege. „An solchen Tagen habe ich mehr Spaß und es geht mir abends besser, als wenn ich nur vor mich hin gearbeitet hätte“, sagt der energiegeladene Landwirt, dem man alles abnimmt, nur nicht, dass er sich’s gerne bequem macht.
Zwischen Feldern und Wiesen liegt Rosers Heimatort Treffensbuch oben auf der Hochebene der Schwäbischen Alb, etwa 20 Kilometer von Ulm und nur wenige Kilometer von Blaubeuren entfernt. Die Wanderwege in dieser Gegend führen durch hügelige Felder, lichte Wälder und üppige, grüne Täler. Touristen gibt es hier kaum. Sie bleiben unten im Tal, besichtigen das ehemalige Benediktinerkloster in Blaubeuren, bewundern den Blautopf, die smaragdgrün leuchtende Quelle des Flüsschens Blau, oder genießen in einer der vielen Ausflugsgaststätten die schwäbische Küche.
Lila Felder wie in der Provence
Wer sich doch auf die Höhe wagt, fühlt sich fast wie in der Provence. Wie ein breites violettes Band zieht sich ein blühendes Feld durch die Hügellandschaft. Lavendel – auf der rauen Alb? „Das ist Phacelia, eine Düngerpflanze, die auf brach liegenden Feldern gepflanzt und später untergepflügt wird“, erklärt Willi Bosch. Wenn der Reiseveranstalter und Naturschützer seine Wandergruppen auf den Pfaden rund um Blaubeuren oder Treffensbuch führt, freut er sich über jedes Zeichen ökologischer Landbewirtschaftung. Gerne zeigt er auch das eine oder andere Naturschutzprojekt, das er in den 70er Jahren mit initiiert hat. „Damals wurden wir als Spinner abgetan. Heute ist vieles von dem, was wir gefordert haben, selbstverständlich“, sagt Bosch.
Zum Teil war es Einsicht, zum Teil musste die Natur nachhelfen. Wie zum Beispiel das Sturmtief Wiebke, das in einer Nacht kurzerhand einen großen Teil des künstlich aufgeforsteten Fichtenbestands umlegte und wieder Platz machte für den verdrängten Buchenwald.
Am Steilhang oberhalb von Blaubeuren stößt die Wandergruppe unvermittelt auf einen aktuellen Beweis behördlichen Gesinnungswandels: Rund um die grauen Felstürme, die oberhalb des Orts aus dem Wald herausragen, ist der Steilhang kreuz und quer von frisch gefällten und zersägten Baumstämmen übersät. Schön sieht das nicht aus. Willi Bosch freut sich trotzdem über den Anblick. „Jetzt sieht man endlich die Felsen wieder. Hier haben sie systematisch die Bäume rausgeschnitten, die nicht heimisch sind“, erklärt er. Wird das gerodete Gelände am Fuß der Felsen regelmäßig gemäht oder beweidet, kann hier wieder die für die Alb typische Heidelandschaft entstehen.
Bosch kommt ins Schwärmen, wenn er von der einmaligen Pflanzenvielfalt und der Schönheit der Steppenheiden erzählt, die die rauen Konturen der Landschaft viel eindrucksvoller zur Geltung bringen als ein reiner Nutzwald.
Ein paar Wanderstunden entfernt liegt das Naturschutzgebiet Kühberg, ein Vorzeigeprojekt der lokalen Landschaftsschützer. Fast toskanisch muten die kargen, bräunlichen Bergkuppen an – wären da nicht die prächtigen, Jahrhunderte alten Linden, die vereinzelt auf den Wiesen stehen. Die Schäfer früherer Zeiten zogen auf ihren Weideflächen diese breitwüchsigen Bäume als Schattenspender heran.
Auch heute noch sind es die Schäfer mit ihren Herden, die die Heide auf dem Kühberg vorbildlich pflegen. Die Schafe fressen nicht zu viel und nicht zu wenig. Sie halten das Gestrüpp niedrig und lassen dabei immer seltener werdende Pflanzenarten wie die landschaftsbildenden Wacholdersträucher stehen.
Stundenlang könnte Willi Bosch über die Heide streifen, den Blick auf den Boden geheftet, auf der Suche nach einer späten Orchidee oder einer seltenen Distel. Der gelernte Biologe ist auf der Schwäbischen Alb geboren. Bevor ihn seine Begeisterung für Orchideen in andere europäische Länder – vor allem nach Griechenland – lockte, war er 15 Jahre lang Lehrer auf der Alb. Heute organisiert und führt er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Christa Grünbauer „Natur- und Kultur Wanderreisen“ in ganz Europa.
|