Aufgemotztes Rad, spack sitzende Hose, verspiegelte Radlerbrille – der
sportive Radler ist vor allem am Outfit zu erkennen. In
Biergärten und Ausflugslokalen fällt er durch
seinen leicht o-beinigen Gang, die sehnigen Waden und das Klack-klack
seiner Spezialschuhe auf. Meist ist er männlich und
meist in Begleitung ähnlich Gekleideter – und es besteht
der berechtigte Verdacht, dass er im Alltag ein Fahrrad nicht
mit der Kneifzange anfassen würde.
Als überzeugte Alltagsradlerin rümpfe ich die
Nase über die SpeziesSchönwetterradler. Ich fahre im
Jahr soviel Rad wie diese Leute Auto. Immer in Hektik, aber nie
richtig schnell. Noch nie bin ich auf die Idee gekommen, Radfahren
als Sport zu betrachten. Ralderhosen wären mir peinlich.
Mein Rad ist alt, läuft schlecht und sieht auch so aus – und
ich bin auch nicht mehr ganz jung. Trotzdem sind wir bisher gemeinsam überall
hingekommen. Na ja, fast überall. Wenn es nicht zu
steil war oder der Anhänger nicht zu schwer.
Vielleicht würde ein bisschen Training wirklich
nicht schaden. Vielleicht bringt ja dieses Fitness-Biking die
nötige Kraft fürs anstrengende Alltagsradeln.
Im Fitness-Labor Das eigens organisierte Fitness-Bike trägt schon erheblich
zur Sportlichkeit bei. Weg ist die morgendliche Schwere auf dem
Weg zur Arbeit. Weg ist das Gefühl, energielos an jeder
Steigung zu kleben.
Den zweiten Energieschub bringt der Leistungstest im Trainingsinstitut.
Unter Aufsicht des Fitness-Biking-Papstes Klaus Baum besteige
ich ein Trimmrad und lasse mich an alle möglichen Messgeräte
anschließen. Baum, Inhaber des gleichnamigen
Kölner Trainingsinstituts, piekt mit einer Injektionsnadel
in mein Ohrläppchen, um eine Stelle fürs
spätere Blutabnehmen zu präparieren.
Nachdem der Ruhepuls notiert ist, geht es locker los. 66 Pedalumdrehungen
pro Minute soll ich halten. Das schaffe ich ohne große
Anstrengung. Nach drei Minuten schaltet der Heimtrainer
automatisch in die nächste Belastungsstufe. Der Widerstand
nimmt zu, als ob eine kleine Steigung das Treten erschweren würde.
Nach drei Minuten noch einmal das gleiche: Der imaginäre
Berg wird steiler. Jetzt brauchen die Beine richtig Kraft, um
die 66 Pedalumdrehungen zu halten. Das Herz pumpt schneller.
Die Luft wird knapp. Die ersten Schweißperlen bilden sich.
Am Ende jeder Etappe wird das Labor aktiv: Das ans Trainingsrad
gekoppelte Blutdruckmessgerät pumpt die Manschette auf,
Baum nimmt am Ohr einen Tropfen Blut zur Bestimmung des Laktatwertes
ab. Der Pulswert wird in einer Tabelle festgehalten. Dann wird
der Berg wieder steiler und es heißt noch einmal drei Minuten
strampeln und schwitzen. „Schaffen Sie noch eine Runde?“,
fragt Baum als die Maschine in den nächsten Gang schaltet,
und ich nicke mit zusammengebissenen Zähnen und strample
weiter. Drei Minuten können ganz schön lang werden.
Aber schließlich läuft der Count-down. Klaus Baum,
der – wenn er nicht Journalisten vom Fitness-Biking überzeugt – Marathonläufer
trainiert, feuert mich auf der Zielgeraden an und schafft es,
mich über die letzte Minute zu bringen. „Sie sind
fit und sie haben Biss“, attestiert er mir, als ich mit
rotem Kopf und wackligen Knien vom Heimtrainer steige. „Ihren
persönlichen Trainingsplan bekommen sie mit der Post.“
Training nach Plan Vier Trainingseinheiten pro Woche sieht mein 12-Wochen-Fitness-Plan
für mich vor – Radfahren bei unterschiedlichen Herzfrequenzen,
Tretzahl- und Koordinationstraining. Wie
beim Leistungstest geht es auch im Training locker los. Zum Glück,
denn der Kampf mit der Technik beansprucht meine ganze Aufmerksamkeit.
Die Anleitung für den unscheinbaren Fahrradcomputer umfasst
36 Seiten. Man muss sie nicht alle gelesen haben, wenn man
auf 95 Prozent der möglichen Funktionen verzichten kann.
Nach einer halben Stunde gebe ich entnervt auf und begnüge
mich mit den drei Hauptfunktionen Pulsfrequenz, Tretfrequenz
und Stundenkilometer, die nach einigem Rumdrücken
automatisch auf der Anzeige erscheinen.
147 Herzschläge bei 66 Pedalumdrehungen
pro Minute soll ich erreichen und über 30 Minuten halten.
Trotz größter Mühe entgleiten mir ständig
die Werte: Trete ich richtig, sinkt der Puls, versuche ich den
Puls zu beschleunigen, stimmt die Umdrehungszahl nicht mehr.
Kaum nähern sich beide Werte dem Optimum, läuft mir
ein Irischer Setter vor die Reifen. Ich muss scharf bremsen – und
wieder von vorn anfangen. Ganz nebenbei sollte ich auch noch
auf den Verkehr achten. Im Studio wäre das einfacher.
Nach einiger Zeit stellt sich jedoch von selbst
ein Rhythmus ein. Wenn ich den Computer mal ein paar Minuten
außer acht
lasse, die Abendstimmung am Rhein genieße und gleichmäßig
vor mich hin radle, spielen sich ein Pulswert von 150 und eine
Tretfrequenz von 70 ein. Der erste spürbare Trainingseffekt:
Der Körper entwickelt ein Gefühl für die optimale
Belastung.
Als ich mit der Pulsfrequenz zum ersten Mal auf die nächst
höhere Trainingsstufe gehe, komme ich schwer ins Schwitzen.
Von den sportiven Ehrgeizlingen, über die ich mich seit
Jahren lustig mache, bin ich kaum noch zu unterscheiden. Mein
Rad ist hip, enge Hosen sind einfach bequemer, die Kampfhaltung
kommt vom flachen Lenker und der Gesichtsausdruck ist verbissen,
weil’s halt anstrengend ist. Kaum kämpfe und schwitze
ich wie die anderen, werde ich auch als Konkurrenz ernst genommen.
Muss ich mal einen von den gut trainierten Jungs überholen,
weil Tret- und Pulsfrequenz es gebieten – inzwischen
kommt das ab und zu vor –, zieht stramme Wade garantiert
nach der nächsten Kurve mit Siegerlächeln wieder an
mir vorbei. Gehe ich nach dem Training mal o-beinig in den Biergarten, unterhalte
ich mich gerne über die Vorteile unterschiedlicher Radtypen,
Gangschaltungen oder Federelemente. Man trifft mich
seit kurzem auch häufig in Fahrradläden, wo ich
nach dem perfekten Sportgerät suche – leicht, schnell
und bequem, aber mit Licht, Schutzblechen und Gepäckträger.
Denn seit ich weiß, dass Radfahren Sport ist und Sport
mir Spaß macht, möchte ich auf diesen Spaß auch
im Alltag nicht mehr verzichten.
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