|
|
Motorjournalisten
Was hältst Du von Cannes?
Eine bestimmte Spezies des Journalistenberufs steht unter dauerndem Einfluss – die Motorjournalisten. Der mit Häppchen, Events und dem Luxus der „happy few“ Verwöhnte kämpft nach Kräften um seine Unabhängigkeit. Ein aussichtsloser Kampf meint der „freie“ Journalist Burkhard Strassmann.
|
|
|
|
Skoda bewirbt soziale Werte. Ob nun das Auto edel, stark, hilfreich und gut ist oder der Fahrer ist doch letztlich egal. Ist das nicht sowieso irgendwie dasselbe. Komfortabel, sparsam und sportlich ist der Oktavia außerdem. Oder der Fahrer? |
|
|
|
|
Eigentlich hätte es ein regnerischer, unangenehm kühler Abend im Februar werden sollen, mit absehbarem Programm: Bier, Glotze, Bett. Doch dann rief der Chefredakteur an und sagte: „Was hältst du von Cannes?“ Wenige Stunden später wehte mir eine laue Mittelmeerbrise um die Nase. Wohlerzogenes, mit feinem Tuch uniformiertes Personal reichte mir Willkommenssekt, o pardon: Champagner. Im Hintergrund klimperte ein Pianist Unaufdringliches. Kollegen klopften mir auf die Schulter. Herren im blauen Zwirn stellten sich vor. Ich war kurzfristig in einer paradiesisch anmutenden Gegenwelt gelandet, mitten im Luxus der „happy few“. Umsorgt, betreut, für wichtig gehalten.
Volkswagen hatte geladen. Hatte mich nach Cannes geflogen und im legendären Hilton an der Strandpromenade einquartiert, wo das Zimmer 600 Mark kostete und die Badarmaturen vergoldet waren. Man würde mich mit feinsten Menues und erstklassigen Weinen verwöhnen und mir wenigstens einen goldenen Kugelschreiber oder einen automatischen Telefongebührenzähler, vielleicht aber auch eine originalverpackte Goretex-Jacke aufs Kopfkissen legen. Und all das aus Anlass der Vorstellung eines kleinen Nutzfahrzeuges, eines Transporters mit vier Rädern und Lenkrad, aber mit völlig neuentwickeltem Getriebe und aufsehenerregender „Pkw-Anmutung“. Doch wie kam ich zu der Ehre? Ich war Motorjournalist und schrieb für ein kleines norddeutsches Nutzfahrzeug-Magazin. Meine Gegenleistung: Ich musste eine Pressekonferenz von 45 Minuten über mich ergehen lassen. Am nächsten Morgen zwei oder drei Stunden lang die Mühe auf mich nehmen, mit kleinen Nutzfahrzeugen am Mittelmeer entlang zu fahren. Und später einen kleinen netten Artikel schreiben. Ein prima Deal!
|
|
|
Ford bewirbt Strandfahrzeuge. Samstag 11.10 Uhr. Und wo waren Sie? Die Botschaft ist eindeutig: Alle haben Spaß am Strand. Nur Sie waren nicht dabei. Kaufen Sie sich einen Ford Fiesta und schon gehören Sie dazu. Ohne Fiesta bleiben sie einsam – kein Strand und kein Spaß. |
|
|
|
Der missbrauchte Journalist
Der Kodex des Deutschen Presserates verlangt in den Paragrafen 7 und 15 die klare Trennung von Berichterstattung und privaten und kommerziellen Interessen Dritter. Ein lobenswertes, hochmoralisches, aber auch ausgesprochen naives Postulat. Denn jeder Journalist wird nach Möglichkeiten funktionalisiert und missbraucht: von Politikern, Kulturschaffenden, Industriellen, aber auch von honorigen Hilfsorganisationen und wackeren Elterninitiativen. Das Ziel ist stets das gleiche: Es soll einer schöneren, eleganteren oder profitableren Wahrheit zur verdienten Öffentlichkeit verholfen werden. Zwei Bereiche des Journalismus gelten dabei als besonders weit weg vom Einflussbereich der genannten Paragrafen 7 und 15: der Reisejournalismus. Und der Motorjournalismus.
Prinzipiell ist der Motorjournalist wie jeder Mensch unberechenbar. Sprunghaft in seinen Launen, gelegentlich mürrisch oder maulig, gelangweilt oder auch zickig, vielleicht ist er auch überkritisch oder gar einer Marke oder Firma gegenüber voreingenommen. Der unkalkulierbare Mensch ist die erste Herausforderung für jede erfolgreiche Pressearbeit. Er muss bearbeitet werden, und dazu bedarf es der Psychologie und der Menschenkenntnis. Die Maßnahmen, einen poteziellen Querschläger „einzunorden“, sind weltweit die gleichen. Erstens: Dislozierung. Man lockt ihn von zu Hause weg in eine fremde, unbekannte Umgebung, die aber einen Namen haben sollte: Barcelona. Oder Mallorca. Oder Rio. Zweitens: Man empfängt ihn mit offenen Armen und betreut ihn liebevoll und umfassend – am besten durch einen professionellen Veranstaltungsorganisator. Drittens: man stopft ihn mit hervorragendem Essen so voll, dass er nicht mehr Papp sagen kann. Viertens: Man streichelt sein Ich, indem man ihn mit wichtigen Führungspersonen bekannt macht, die sich für seine Meinung zu interessieren scheinen. Fünftens: Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Und schließlich: Man übernimmt alle, aber auch wirklich alle Spesen. Ich habe zum Beispiel niemals Devisen gebraucht, egal wohin ich eingeladen war. Nur bei Telefon und Minibar war ich vorsichtig; meist wurden aber auch diese Kosten übernommen. Und auch der Chef hat nie einen Pfennig dazubezahlt. Kluge Kollegen können sogar mit Gewinn aus einer solchen Veranstaltung hervorgehen. Vergessen wir mal die Miles&More-Bonusmeilen: Lädt die Industrie an einen Ort, der auch mit dem Pkw erreicht worden sein könnte, kann man die Fahrtkosten, die der Einladende selbstverständlich schon ersetzt hat, noch mehrfach verschiedenen Auftraggebern in Rechnung stellen. Es existieren da perfekt eingespielte Systeme!
Von Haus aus ist der Motorjournalist in der Regel Techniker bzw. Ingenieur. Er arbeitet entweder für nicht allzu renommierte Blätter oder in renommierten Blättern für mäßig renommierte Redaktionen. Er muss physikalische, chemische und technische Sachverhalte verstehen und halbwegs wiedergeben können oder zumindest die von der Industrie geschickten Pressemitteilungen weitgehend fehlerfrei umformulieren können. Der Motorjournalist ist meist schlecht angezogen, gern trägt er eine ältere Lederjacke, und nur solche, die sich in ihren Texten formal und inhaltlich schon fast gar nicht mehr von Firmenverlautbarungen unterscheiden, sieht man in Anzug und blauem Hemd. Doch letztlich ist der Motorjournalist ein armer Hund, der nur gelegentlich ein neues Auto fahren darf.
Darum ist er so anfällig für die Verlockungen von großer weiter Welt, denen er sich alle paar Wochen an einem anderen schönen Platz auf der Erde ausgesetzt sieht. Sein Beruf katapultiert ihn in Sphären, die er sich nie leisten könnte und würde. Er logiert fünfsternig! Ich war einmal in dem Hotel untergebracht, wo die Versailler Verträge beraten wurden. In meiner Suite hätte eine siebenköpfige Familie wohnen können (mit Balkon natürlich). Dort dinierten wir auf Kosten von Opel ganz wie die Reichen und Schönen. Ließen dreißig Jahre alte Weine zurückgehen. Nur durch solche Einladungen wird der Motorjournalist, was er im Grunde selbst nicht glaubt: bedeutend. Denn tief drinnen ist die Ahnung stets wach, dass er bestochen wird. Dass den Gastgebern am allerwenigsten an ihm persönlich liegt. Das ist ein lästiges Störgefühl, welches dazu führt, dass Motorjournalisten auf Dienstreise immer etwas verdruckst wirken: Sie dürfen sich nicht richtig freuen und keinen zu offensichtlichen Spaß an Sightseeing und Fettleber haben, sonst würden sie ja zugeben, beschenkt und verwöhnt zu werden. Stattdessen herrscht Coolheit. „Na Klaus, auch wieder dabei?“ – „Hans-Dieter, was macht der Ischias?“ Und Genörgel auf hohem Niveau: „Im letzten Jahr ging mein Zimmer noch zum Meer raus.“ Sowie, natürlich: „Holzklasse! Saßen wir bei der Vorstellung des Cabrios nicht Business?“
Damit auch solches Genörgel verstummt, ist eine Reise mit Autopräsentation, aber auch eine thematisch begründete Einladung (Eine neue Bremstechnik – auf finnischem Eis zu testen! Mit neuen Stollenreifen in die Sahara! Alles über Ladungssicherung – ein unvergesslicher Tag in der Lüneburger Heide!) mittlerweile regelmäßig als „Event“ konzipiert. Es wird mehr geboten als Technik, Essen und Unterkunft. Fiat lädt nach Lappland zur Mehrtageserprobung der stinknormalen Familienkutsche Stilo auf gefrorenen Seen und im Rentierwald. Mit veritablem Rallyemeister, Motorschlittensause und Huskyadventure. BMW bietet dreitägige Pressereisen mit dem Allradauto X5 in die „größte europäische Sandwüste“ an. Und Mercedes hatte mal an einem Abend die „Fachwelt“ nach Sevilla auf eine Finca geladen. Eigentlich ging es um ein Auto namens Vito. Doch zunächst gab es Fackeln, Kerzen, Wein ohne Ende, Vorführung der Wiener Hofreitschule mit edlen Lipizzanern. Später üppiges Tafeln in einer umgebauten Scheune, begleitet von einer hinreißenden dörflichen Flamenco-Gruppe. Große Stimmung, prima Fiesta. (Nur eins ging daneben: Zur Erheiterung der Gäste schafften es die Organisatoren nicht, die temperamentvollen Musikanten zum Schweigen zu bringen. So kam es erstmals in meiner Laufbahn als Motorjournalist zu einem Präsentationsabend ohne „Hintergrundgespräche“ mit halboffiziellen Informationen zwischen den Gastgebern und verdienten Journalisten. Ohne hinter der Hand getuschelte Personalien. Ohne karriererelevante Vieraugengespräche – „Der Posten eines Pressesprechers bei Volvo wird vakant – Interesse?“.)
|
|
|
|
Mitsubishi wirbt mit Flucht. Das Versprechen, mit einem Automobil könnte man jederzeit dem tristen und anstrengenden Alltag entfliehen bewirbt der japanische Anbieter wörtlich. Wer einen Pajero sein Eigen nennt, kann jederzeit aussteigen. Diese Illusion wird mitverkauft. |
|
|
„Embedded journalist“
Geschenke, Aufmerksamkeiten, Streicheleinheiten und geldwerte Vorteile – der im Irakkrieg so vielbestaunte „embedded journalist“ ist im Motorjournalismus die Regel. Dazu kommt: wer ein paar Jahre dabei ist, zum Tross gehört, wird stets als „Familienmitglied“ begrüßt. Das führt zu einer durchaus erwünschten sozialen Kontrolle. Und die Fürsorge der Konzerne endet ja nicht, wenn die Dienstreise vorüber ist. So flattern regelmäßig Einladungen auf den Schreibtisch, die aber auch gar nichts mehr mit Journalistmus zu tun haben – Skoda lud mich mal ein, für ein paar Tage nach Österreich in den Schnee zu kommen. Einfach so. Mit Familie, versteht sich.
Und dann gibt es die Erleichterungen im Alltag. Journalisten allgemein nehmen gern und ohne Bedenken Journalistenrabatte in Anspruch. Telefon und Handy ohne Grundgebühr, Computer und HiFi mit satten Abschlägen, Neuwagen (und Ersatzteile wie Reifen etc.) bekommen sie um 15 Prozent billiger als Normalsterbliche. Motorjournalisten kaufen Autos noch billiger ein, indem sie Fahrzeuge aus der Testflotte übernehmen. Die Kings unter den Kollegen sind solche, die für die wichtigen Meinungsbildner der Nation arbeiten. Sie brauchen überhaupt kein Geld mehr fürs Autofahren auszugeben. Sie haben immer Testfahrzeuge vor der Tür stehen und können sich einen Privatwagen, Steuer, Versicherung und eine ganze Menge Spritgeld sparen.
|
|
|
Chrysler wirbt für Flugzeuge. Klar, dass auch die von Chrysler gebauten vierrädrigen „Flugzeuge“ auf der Erde bleiben. Aber die Geschwindigkeit und der Status eines Flugzeuges will sich der Käufer mitkaufen. Dass mit derartigen Anzeigen zu schnelles Fahren provoziert wird, würde der Hersteller weit von sich weisen. |
|
|
|
Schwedischer Elchtest
Glaubt man ausländischen Kollegen, muss das Image der deutschen Motorjournalisten hinsichtlich seiner Unabhängigkeit von der Fahrzeugindustrie besonders miserabel sein. Was bekam man nicht von ausländischen Kollegen alles zu hören, als seinerzeit der kleinste Mercedes, die A-Klasse, im später so genannten Elchtest umkippte. Deutsche Motorjournalisten wussten nämlich schon vorher um die Schwäche, blieben aber brav. Ein schwedischer Kollege musste erst verunglücken, bevor das konstruktive Desaster öffentlich wurde. Als das Auto auf der Seite lag und der Testfahrer verschrammt war, rief der Schwede zuerst das Fernsehn an. Dann die Ambulanz. Und dann Mercedes. Ein braver deutscher Motorjournalist hätte zuerst die Pressestelle alarmiert, die sofort das Gelände abgeriegelt hätte. Der schwedische Kollege sagte mir später, er hätte wochenlang Angst um seine körperliche Unversehrtheit gehabt. Reine schwedische Paranoia, versteht sich.
In Deutschland wäre solch eine Angst auf jeden Fall unsinnig. Hier funktioniert die Kontrolle der Bericherstattung auch noch in den seltenen Fällen, dass ein Journalist tritz aller Nettigkeiten und Umarmungen aus dem Ruder läuft. Dass genügt ein Anruf in der Chefredaktion. Einmal ging es in der Titelgeschichte des Nutzfahrzeugmagazins, für das ich lange geschrieben habe, um Abschleppunternehmen. Ein Abschleppwagen war auf dem Titelblatt abgebildet, der einen Mercedes S-Klasse geschultert hatte. Und? Skandal! Eine S-Klasse, bekam der Chef zu hören, geht nicht kaputt, basta! Hatte der Chef wieder was gelernt. Wenig später erhielt ich bei derselben Firma ein mehrjähriges Hausverbot. Grund: Ich hatte jene lustige Begebenheit in Sevilla, bei der ein global player eine winzige Flamencotruppe nicht zum Schweigen bringen konnte, unanständigerweise in einer Wochenzeitung glossiert.
Und wieso lässt sich eine freie Presse so etwas gefallen? Betrachten wir das Schicksal einer Geschichte, die ich über Tankkarten recherchiert hatte. Tankkarten benutzen Lkw-Fahrer gern, weil sie damit Rabatt bekommen und kein Bargeld mit sich herumtragen müssen. Ein Mitarbeiter des Mineralölkonzerns BP hatte mir erzählt, dass in Spanien Trucker auch Huren mit der Tankkarte bezahlen. So etwas plauderte ich natürlich begeistert weiter. Nun begab es sich, dass irgendwelche Hierarchen bei BP Wind von meinem kleinen Interview bekamen. Sie riefen meinen Chefredakteur an und verlangten Einsicht in mein Manuskript, die sei erhielten. Daraufhin erreichte die Redaktion ein Brief, wie ich ihn noch nie gesehen hatte: Die eine Hälfte zierte ein klotziger Briefkopf mit den Namen zahlloser Rechtsanwälte. Die andere Hälfte bestand aus wüsten Drohungen.
Der Bericht wurde nie gedruckt. Der Chefredakteur wies mich auf die regelmäßigen ganzseitigen Anzeigen des Mineralölkonzerns hin.
Burkhard Strassmann |
zurück zum Inhalt |
|
|