|
Staus im Strassenverkehr
Legende und Wirklichkeit Staus sind ein Problem. Sogar eines der größten Probleme,
könnte man meinen, wenn man dem Verband der Automobilindustrie
und einigen Stammtischen folgt. Wie schlimm ist es wirklich?
|
Jeder stehe durchschnittlich 67 Stunden im Jahr im Stau, und die Staus verursachten
volkswirtschaftliche Schäden von mehreren Prozent, so wird immer wieder
kolportiert – und dann noch die riesigen Umweltbelastungen durch den überhöhten
Treibstoffverbrauch und die Emissionen in den Staus. Das klingt wirklich bedrohlich:
Abhilfe scheint dringlich geboten. Die volkstümlich gehaltene Erklärung
ist eher schlicht: Die Fahrzeugflotte ist viel schneller gewachsen als das
Straßennetz, das könne ja nicht gut gehen. Vorteil dieser einfachen
Erklärung ist, dass die Konsequenz auch einfachen Gemütern klar wird:
Wir müssen die Straßen ausbauen, und zwar nicht zu knapp.
Im Vergleich zu der sehr handfesten Forderung nach mehr Straßenbau ist
die wissenschaftliche Basis der Argumentation eher dürftig. Auch wenn
einzelne Personen viel im Stau stecken, liegt auf der Hand, dass die genannten
67 Stunden als Durchschnittsgröße schlichter Unfug sind: Die
durchschnittliche Fahrzeit in Autos liegt einschließlich der Stauzeiten
bei etwa 200 Stunden im Jahr. Wären davon tatsächlich ein Drittel
Stauzeit, wären schon viel mehr Autofahrer entnervt vom Auto auf den öffentlichen
Verkehr umgestiegen. Grundlage für die hohe Abschätzung ist
wohl die sogenannte BMW-Staustudie, die teilweise mit recht eigenwilligen,
um nicht zu sagen aberwitzigen Modellansätzen operiert. Interessanterweise
ist diese Studie – anders als deren Ergebnisse – kaum zugänglich
und entsprechend auch nicht in der öffentlichen Diskussion.
Auch der Vergleich von Pkw-Bestand und Länge des Straßennetzes greift
zu kurz: Bekanntermaßen sind die Verkehrsstärken sehr unterschiedlich
und auf dem weit überwiegenden Teil der Straßen findet nur sehr
wenig Verkehr statt; man muß also schon örtlich oder wenigstens
nach Lage bzw. Straßenkategorien differenziert argumentieren.
Auf einer Fachtagung bei der Europäischen Verkehrsministerkonferenz
in Paris haben Wissenschaftler das Stauproblem neu analysiert. In
einer Berechnung wurde das sogenannte TREMOD-Verkehrsmodell zugrunde gelegt,
das im Auftrag des Deutschen und des Schweizer Umweltbundesamtes entwickelt
wurde. Das Ergebnis ist eindeutig: Stop+ Go-Zustände spielen demnach eine
nachrangige Rolle. Sie erhöhen den gesamten Treibstoffverbrauch
der Pkw um etwa ein Prozent. Die Schadstoffemissionen sind bei den Stickoxiden
unterproportional und bei den Kohlenwasserstoffen überproportional, in
beiden Fällen aber sind die Anteile bescheiden. Die Verkehrszeiten erhöhen
sich bemerkbar, aber keineswegs um ein Drittel: Je Einwohner und Tag kann man
von staubedingten Verlusten von durchschnittlich ein bis zwei Minuten ausgehen.
Zeitverluste dieser Größenordnung sind auch für Fußgänger
an roten Ampeln oder ÖPNV-Nutzer aufgrund von Verspätungen durchaus
normal. Auch bezüglich der volkswirtschaftlichen Schäden durch
Staus kam die Tagung in Paris zu dem Schluss, dass diese in der EU bislang
um etwa das Zehnfache oder mehr überschätzt wurden.
Freilich bestätigen diese Ergebnisse, dass der innerörtliche Verkehrsfluss üblicherweise
gestört ist, aber niemand könnte hier ernsthaft freie Fahrt verlangen:
Städtischer Verkehr ist auf wechselseitige Rücksichtnahme angewiesen,
an Kreuzungen kann nicht jede Fahrtrichtung gleichzeitig freigegeben
werden, Busse müssen anhalten und wieder anfahren können etc. Im
Autobahnverkehr zeigt sich im übrigen wieder, dass Tempolimits unter Verbrauchs-
und Emissionsaspekten gegenüber der freien Fahrt ohne Tempolimit
deutliche Vorteile aufweisen. Eine einfach herbeizuführende Änderung
der Straßenverkehrsordnung könnte die Umwelt deutlich
stärker entlasten als eine – praktisch nur beschränkt
realisierbare – Abschaffung der Staus.
Selbstverständlich bleibt es weiterhin Aufgabe der Verkehrsplanung, an
ausgewählten Stellen, wo dies möglich und relevant ist, den Verkehrsfluss
zu verbessern. Abgesehen davon, dass dies insbesondere im innerörtlichen
Bereich, wo die meisten Zeitverluste auftreten, an praktische Grenzen stößt,
sollte man sich insgesamt keine nennenswerten Treibstoffeinsparungen
und Umweltentlastungen erwarten: Die denkbaren Zielbeiträge sind klein
und werden leicht überkompensiert, wenn man durch Attraktivitätserhöhung
zusätzlichen Pkw-Verkehr induziert. Karl Otto Schallaböck
Mitglied des Wissenschaftlichen
Beirats des VCD
|
Verteilung von Verkehrsleistung, Treibstoffverbrauch, ausgewählten
Emissionen und Verkehrszeit von Personenkraftwagen auf zusammengefasste
Verkehrssituationen für Deutschland im Referenzjahr 1995
Verkehrs-
situation |
Verkehrs-
leistung |
Treibstoff-
verbrauch |
NOx
-Emissionen |
HC-
Emissionen |
Verkehrs-
zeit |
Autobahn
frei ohne
Tempolimits |
16,1 |
18,6 |
24,8 |
8,7 |
6,2 |
Autobahn
frei mit
Tempolimits
|
7,3 |
7,3 |
8,3 |
3,5 |
3,3 |
Autobahn, gebundener
Verkehr |
2,7 |
2,2 |
1,9 |
1,1 |
1,6 |
Autobahn
Stop+Go |
0,4 |
0,7 |
0,2 |
1,1 |
2,3 |
Außerorts |
40,4 |
33,3 |
38,0 |
33,3 |
27,1 |
Innerorts
Hauptver-kehrsstraße
frei |
0,5 |
0,4 |
0,4 |
0,5 |
0,5 |
Innerorts
Hauptver-kehrsstraße
gestört |
25,8 |
26,5 |
20,6 |
35,0 |
37,1 |
Innerorts
Nebenstraße |
6,2 |
9,5 |
5,4 |
13,7 |
17,0 |
Innerorts
Stop+Go |
0,5 |
1,4 |
0,4 |
2,9 |
4,9 |
Zusammen |
100,0 |
100,0 |
100,0 |
100,0 |
100,0 |
|
Quelle: K.O. Schallaböck, R. Petersen: Introductory Report: Germany, in:
European Conference of Ministers of Transport (ECMT), ed.: Traffic congestion
in Europe, ECMT Round Table 110, Paris 1999, p. 9–44, hier: 28
|
zurück zum Inhalt |
|
|